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Staatsanleihekäufe der EZB Kippt Karlsruhe doch Draghis Geldpolitik?

Die EZB darf nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe kaufen. Das Bundesverfassungsgericht könnte das verhindern.

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Zur Lösung der Krise im Euroraum darf die EZB zu außergewöhnlichen Mitteln greifen - auch der Kauf von Staatsanleihen ist erlaubt. Quelle: dpa

Die EZB darf Staatsanleihekäufe wohl auch in unbegrenzter Höhe tätigen. Das erklärte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs und stärkt so EZB-Präsident Mario Draghi den Rücken. Setzt sich das Gericht aber über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinweg, droht Europa ein Institutionenstreit.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres erstmals eine Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg weitergeleitet. Grund: Ein umstrittenes Staatsanleihekaufprogramm (OMT) der Europäischen Zentralbank, das 2012 angekündigt, aber nie umgesetzt worden war.

OMT steht für Outright Monetary Transaction und sieht vor, dass die EZB Staatsanleihen zur Not auch in unbegrenzter Höhe der Länder ankaufen wird, die dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterstehen. Damit sollen die Zinsaufschläge für Krisenländer nicht zu groß werden.

Der Instrumentenkasten der EZB

Das Bundesverfassungsgericht befand die derzeitige Ausgestaltung des OMT-Programms mit dem EU-Primärrecht für nicht vereinbar. Vor allem drei Punkte waren den Verfassungshütern ein Dorn im Auge: Erstens dürfe sich die Zentralbank nicht an möglichen Schuldenschnitten beteiligen, zweitens nicht in unbegrenzter Höhe Staatsschulden ankaufen und drittens eine Marktpreisfindung nicht durch Anleihekäufe verzerren.

Generalanwalt Pedro Cruz Villalon gab heute eine Empfehlung an den EuGH ab, an die sich die Richter in Luxemburg in der Regel auch halten. Sie ist allerdings nicht bindend. Er kam zu dem Schluss, dass das OMT-Programm grundsätzlich mit EU-Primärrecht vereinbar ist, vorausgesetzt, es sei „verhältnismäßig“ und „gut begründet“.

Doch diese Einschränkungen erscheinen eher aussagelos, als wirklich einen Rahmen für das Anleihekaufprogramm zu setzen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit den Einwänden des Bundesverfassungsgerichts gegen OMT nun Rechnung getragen wurde?

Der Notenbankrechtler Professor Helmut Siekmann von der Universität Frankfurt sieht das Entgegenkommen des EuGHs zwar generell vorhanden, allerdings macht er einen Punkt aus, in dem der Generalanwalt weit von der Beurteilung der Karlsruher Richter abweiche: „Der Generalanwalt hat nicht verstanden, warum das Bundesverfassungsgericht einen Schuldenschnitt bei gekauften Staatsanleihen ausschließt.“

Siekmanns Ansicht nach ist ein zentraler Grundsatz der Geldpolitik, dass sie risikolos sein soll. Dabei spielt er auf die Argumentation des Generalanwalts an, in der es heißt, dass „die Übernahme von Risiken der Tätigkeit einer Zentralbank als solcher" innewohne.

„Ich würde mich gegen diese Argumentation wenden“, sagte Siekmann weiter. „Wenn die Zentralbank Anleihen kauft, muss sie diese so mit Abschlägen bewerten, dass ein Verlustrisiko aller Voraussicht nach auszuschließen ist.“ Der Generalanwalt hatte stattdessen dargelegt, die Mitgliedstaaten hätten schon dadurch ein Risiko übernommen, als sie beschlossen, die EZB zu errichten und dadurch mögliche Ausfälle in Kauf genommen. „Das sehe ich nicht so“, betonte Siekmann. Wenn die EZB aber Staatsanleihen zu einem Preis kaufe, der ein nennenswertes Ausfallrisiko zur Folge habe, bedeute das, dass sie einen Kredit ohne „ausreichende Sicherheit“ vergebe. „Das wäre keine Geldpolitik mehr, sondern Staatsfinanzierung.“

Allerdings sieht Siekmann auch in einigen Punkten ein Entgegenkommen gegenüber den Karlsruher Richtern. So schlägt Generalanwalt Villalon vor, dass eine sogenannte „Stillhaltezeit“ für den Ankauf der Staatsanleihen am Sekundärmarkt gegeben sein muss. Es könne nicht sein, dass Anleihen ausgeben werden, die nicht staatliche Marktteilnehmer kaufen und wenige Sekunden später diese Anleihen wieder von der EZB angekauft werden.

So werde das „Verbot praktisch umgangen“, das die Staatsfinanzierung durch die EZB nach EU-Vertrag verbietet, heißt es in der Argumentation des Generalanwalts.

Wird dieses Entgegenkommen dem Bundesverfassungsgericht reichen oder droht doch noch ein offener Machtkampf zwischen EuGH und den Karlsruher Richtern? Siekmann hält ein solches Szenario für unwahrscheinlich: „Ich sehe keinen glatten Affront in der Empfehlung des Generalanwalts. Ein Entgegenkommen ist da. Hat man erwartet, dass man dem Bundesverfassungsgericht in allen Punkten folgt? Wohl eher nicht.“

Die EZB wird wohl am Ende doch mit ihrer neuen Vorstellung einer Geldpolitik durchkommen. Es würde nicht nur viel Mut vom Bundesverfassungsgericht dazugehören, einem Urteil des EuGH zu widersprechen, sondern es könnte auch einen offenen Bruch zwischen den Gerichten zur Folge haben. Meist, so scheint es, ist man mehr an einer guten Zusammenarbeit interessiert, als nicht zuzulassen, dass rote Linien überschritten werden.

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