
Die EZB darf Staatsanleihekäufe wohl auch in unbegrenzter Höhe tätigen. Das erklärte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs und stärkt so EZB-Präsident Mario Draghi den Rücken. Setzt sich das Gericht aber über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinweg, droht Europa ein Institutionenstreit.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres erstmals eine Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg weitergeleitet. Grund: Ein umstrittenes Staatsanleihekaufprogramm (OMT) der Europäischen Zentralbank, das 2012 angekündigt, aber nie umgesetzt worden war.
OMT steht für Outright Monetary Transaction und sieht vor, dass die EZB Staatsanleihen zur Not auch in unbegrenzter Höhe der Länder ankaufen wird, die dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterstehen. Damit sollen die Zinsaufschläge für Krisenländer nicht zu groß werden.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Das Bundesverfassungsgericht befand die derzeitige Ausgestaltung des OMT-Programms mit dem EU-Primärrecht für nicht vereinbar. Vor allem drei Punkte waren den Verfassungshütern ein Dorn im Auge: Erstens dürfe sich die Zentralbank nicht an möglichen Schuldenschnitten beteiligen, zweitens nicht in unbegrenzter Höhe Staatsschulden ankaufen und drittens eine Marktpreisfindung nicht durch Anleihekäufe verzerren.
Generalanwalt Pedro Cruz Villalon gab heute eine Empfehlung an den EuGH ab, an die sich die Richter in Luxemburg in der Regel auch halten. Sie ist allerdings nicht bindend. Er kam zu dem Schluss, dass das OMT-Programm grundsätzlich mit EU-Primärrecht vereinbar ist, vorausgesetzt, es sei „verhältnismäßig“ und „gut begründet“.
Doch diese Einschränkungen erscheinen eher aussagelos, als wirklich einen Rahmen für das Anleihekaufprogramm zu setzen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit den Einwänden des Bundesverfassungsgerichts gegen OMT nun Rechnung getragen wurde?
Der Notenbankrechtler Professor Helmut Siekmann von der Universität Frankfurt sieht das Entgegenkommen des EuGHs zwar generell vorhanden, allerdings macht er einen Punkt aus, in dem der Generalanwalt weit von der Beurteilung der Karlsruher Richter abweiche: „Der Generalanwalt hat nicht verstanden, warum das Bundesverfassungsgericht einen Schuldenschnitt bei gekauften Staatsanleihen ausschließt.“
Siekmanns Ansicht nach ist ein zentraler Grundsatz der Geldpolitik, dass sie risikolos sein soll. Dabei spielt er auf die Argumentation des Generalanwalts an, in der es heißt, dass „die Übernahme von Risiken der Tätigkeit einer Zentralbank als solcher" innewohne.
„Ich würde mich gegen diese Argumentation wenden“, sagte Siekmann weiter. „Wenn die Zentralbank Anleihen kauft, muss sie diese so mit Abschlägen bewerten, dass ein Verlustrisiko aller Voraussicht nach auszuschließen ist.“ Der Generalanwalt hatte stattdessen dargelegt, die Mitgliedstaaten hätten schon dadurch ein Risiko übernommen, als sie beschlossen, die EZB zu errichten und dadurch mögliche Ausfälle in Kauf genommen. „Das sehe ich nicht so“, betonte Siekmann. Wenn die EZB aber Staatsanleihen zu einem Preis kaufe, der ein nennenswertes Ausfallrisiko zur Folge habe, bedeute das, dass sie einen Kredit ohne „ausreichende Sicherheit“ vergebe. „Das wäre keine Geldpolitik mehr, sondern Staatsfinanzierung.“
Allerdings sieht Siekmann auch in einigen Punkten ein Entgegenkommen gegenüber den Karlsruher Richtern. So schlägt Generalanwalt Villalon vor, dass eine sogenannte „Stillhaltezeit“ für den Ankauf der Staatsanleihen am Sekundärmarkt gegeben sein muss. Es könne nicht sein, dass Anleihen ausgeben werden, die nicht staatliche Marktteilnehmer kaufen und wenige Sekunden später diese Anleihen wieder von der EZB angekauft werden.
So werde das „Verbot praktisch umgangen“, das die Staatsfinanzierung durch die EZB nach EU-Vertrag verbietet, heißt es in der Argumentation des Generalanwalts.
Wird dieses Entgegenkommen dem Bundesverfassungsgericht reichen oder droht doch noch ein offener Machtkampf zwischen EuGH und den Karlsruher Richtern? Siekmann hält ein solches Szenario für unwahrscheinlich: „Ich sehe keinen glatten Affront in der Empfehlung des Generalanwalts. Ein Entgegenkommen ist da. Hat man erwartet, dass man dem Bundesverfassungsgericht in allen Punkten folgt? Wohl eher nicht.“
Die EZB wird wohl am Ende doch mit ihrer neuen Vorstellung einer Geldpolitik durchkommen. Es würde nicht nur viel Mut vom Bundesverfassungsgericht dazugehören, einem Urteil des EuGH zu widersprechen, sondern es könnte auch einen offenen Bruch zwischen den Gerichten zur Folge haben. Meist, so scheint es, ist man mehr an einer guten Zusammenarbeit interessiert, als nicht zuzulassen, dass rote Linien überschritten werden.