Start des Lieferkettengesetzes „Das ist Bürokratie pur“

Eine Näherin bei der Arbeit Quelle: imago images

Zum Jahreswechsel tritt das Lieferkettengesetz in Kraft. Die Wirtschaft warnt und klagt seit Monaten – ohne Erfolg. Doch auch Experten bestätigen: weder das Gesetz noch die zuständige Behörde sorgen für die nötige Klarheit.

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Drei Tage vor Weihnachten sieht sich das Bundeswirtschaftsministerium zu einer Klarstellung genötigt. Es geht um das Lieferkettengesetz, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird, und um das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz Bafa, das dieses Gesetz kontrollieren soll. Zum Jahreswechsel, lässt das Ministerium verkünden, werde das Bafa „voll arbeitsfähig sein“. 50 Personen würden dann am Standort Borna in Sachsen ausschließlich dafür tätig sein. Und überhaupt: „Bereits seit dem letzten Jahr arbeitet das Bafa mit Hochdruck daran, die inhaltlichen und technischen Voraussetzungen für die Umsetzung des Gesetzes zu schaffen.“

Die ministerielle Verteidigung markiert den vorläufigen Höhepunkt einer heftigen Kontroverse. Beim Lieferkettengesetz handelt es sich um eines der umstrittensten und meist umkämpften Regulierungsvorhaben der jüngeren Zeit. Über Jahre hinweg hatten sich weite Teile der deutschen Wirtschaft gegen Pläne gewehrt, die sie verpflichten sollten, ihre Lieferanten und Zulieferer sorgfältiger zu prüfen – und gegebenenfalls sogar für Missstände und mangelnde Kontrolle zu haften. 

Als das Gesetz dann im Sommer 2021 trotz aller Proteste noch von der großen Koalition verabschiedet wurde, begannen umgehend die Klagen über die Details. Erst vor einigen Wochen noch forderten die Präsidenten von vier Wirtschaftsverbänden in einem Brandbrief an Wirtschaftsminister Robert Habeck Augenmaß bei der Einführung.

Bürgergeld, Rentenerhöhung, 49-Euro-Ticket: Das bringt das neue Jahr
Strom- und Gaspreisbremsen: Viele Gas- und Stromkunden können ab März mit einer Entlastung rechnen: Dann sollen die geplanten Preisbremsen starten. So sollen Gasverbraucher für 80 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs einen Bruttopreis von 12 Cent pro Kilowattstunde garantiert bekommen. Analog sind beim Strom 40 Cent je Kilowattstunde geplant. Die Vergünstigungen sollen nach dem Start rückwirkend auch für Januar und Februar greifen. Quelle: imago images
Bürgergeld: Das Bürgergeld löst im Januar das Hartz-IV-System ab. Die Bezüge in der Grundsicherung steigen um mehr als 50 Euro, Alleinstehende erhalten künftig 502 Euro. Wesentliche Teile der Reform treten dann erst zum 1. Juli in Kraft. Die Jobcenter sollen sich stärker um Arbeitslose kümmern können. Besser als bisher soll die Vermittlung in dauerhafte Arbeit anstatt in einfache Helferjobs gelingen. Quelle: imago images
49-Euro-Ticket: Im öffentlichen Personennahverkehr soll man im neuen Jahr für 49 Euro im Monat deutschlandweit unterwegs sein können. Wann der Nachfolger des 9-Euro-Tickets startet, ist noch unklar. Ursprünglich sollte es Anfang 2023 losgehen. Jetzt ist der 1. April im Gespräch. Quelle: imago images
Kindergeld: Das Kindergeld steigt zum 1. Januar auf einheitlich 250 Euro pro Monat und Kind. Das bedeutet für das erste und zweite Kind ein Plus von 31 Euro und für das dritte Kind ein Plus von 25 Euro im Monat. Quelle: imago images
Rentenerhöhung: Rentnerinnen und Rentner können im kommenden Jahr voraussichtlich mit mehr Geld rechnen. In Westdeutschland sollen die Renten im Juli um rund 3,5 Prozent steigen und in Ostdeutschland um gut 4,2 Prozent. Die Daten sind vorläufig, Klarheit gibt es im Frühjahr. Quelle: dpa
Steigende Krankenkassenbeiträge: Für die Versicherten werden die Krankenkassenbeiträge - momentan im Schnitt bei 15,9 Prozent - um voraussichtlich 0,3 Punkte auf im Schnitt 16,2 Prozent angehoben. Quelle: dpa
Wohngeld: Mehr Haushalte sollen ab Januar mit einem staatlichen Mietzuschuss entlastet werden: Zu den bisher 600.000 Wohngeld-Haushalten sollen bis zu 1,4 Millionen weitere dazukommen. Das Wohngeld soll außerdem um durchschnittlich 190 Euro im Monat aufgestockt werden. Damit erhalten die berechtigten Haushalte im Schnitt rund 370 Euro monatlich. Wohngeld können Haushalte beantragen, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, trotzdem aber wenig Geld haben. Quelle: dpa

Es half alles nichts. Ab Neujahr wird das deutsche Gesetz greifen, zunächst für rund 900 Unternehmen, die mehr als 3000 Mitarbeiter beschäftigen. Nur an Widerstand und Widerwillen ändert das wenig. Der Tenor: Das Gesetz käme, inmitten von Energiepreisschock und Konjunkturängsten, zur Unzeit. Außerdem werfe es noch zu viele ungelöste Fragen auf.

Dirk Jandura zählt zum Beispiel zu den großen Skeptikern. Der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA findet das Paragrafenwerk „handwerklich schlecht gemacht“. Es weise „eine Vielzahl an Unklarheiten und unbestimmten Rechtsbegriffen auf, die Unternehmen bei der Umsetzung ratlos zurücklassen“. Dazu gehe das Bafa in seinen Handreichungen zur Umsetzung „weit über die gesetzgeberischen Anforderungen hinaus“. Ein Fragebogen der Behörde weise etwa allein 437 Antwortoptionen auf. „Das ist Bürokratie pur und hat keinen Bezug zur unternehmerischen Praxis“, moniert Jandura. Nur für klagefreudige NGOs, Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen sei das Gesetz „Weihnachten und Ostern zugleich“. 

Zu all den anderen Belastungen kämen „jetzt noch die Unsicherheiten durch das Lieferkettengesetz für die international aktiven deutschen Unternehmen hinzu“, unterstreicht auch der Hauptgeschäftsführer des DIHK, Volker Treier. Die notwendige Diversifizierung von Lieferbeziehung könne nur gelingen, wenn es Planbarkeit und in jedem Fall „weniger bürokratische Fesseln“ gäbe. Beides sei beim derzeitigen Rechtsstand des Gesetzes „so nicht gegeben.“

So oder so ähnlich klingen die Beschwerden von verschiedenen Seiten. Bisher waren dies Befürchtungen im Konjunktiv, in wenigen Tagen aber wird es ernst. Vom groß angekündigten Belastungsmoratorium merken die Verbände bislang herzlich wenig. Und dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) in diesen Tagen eine Debatte über Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen wiederzubeleben versucht, die er schon mal beginnen wollte – auch dies erscheint bisher nur als vage Absicht. Die Ampel-Linie ist jedenfalls eine andere.

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Bis auf Weiteres regieren die Fragezeichen. Anahita Thoms findet Ziel und Absicht des umstrittenen Lieferkettengesetzes vollkommen richtig, das ist ihr wichtig zu betonen. Dennoch bestätigt auch die Partnerin der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie die vielfach geäußerte Kritik. „An diversen Stellen erzeugt das Gesetz leider bisher Rechtsunsicherheit statt -sicherheit“, sagt Thoms. Mit Inkrafttreten befänden sich Unternehmen in einer „neuen Dimension der rechtlichen Verantwortung“, sagt die Anwältin, die zahlreiche Konzerne bei der Umsetzung berät. Die Pflicht zur Nachhaltigkeit in den Lieferketten sei „von nun an kein soft law mehr, sondern hard law.“

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Zwei so genannte Handreichungen und ein Merkblatt hat das Bafa bisher veröffentlicht, um Unklarheiten in der Praxis zu beseitigen. Doch das Gegenteil ist bisher offenbar der Fall. Alle, die mit Umsetzung und Interpretation des Gesetzes zu tun hätten, wünschten sich „mehr Engagement und intensiveren Dialog“ mit der Behörde in Borna, sagt Thoms, „auch wenn sich die verantwortliche Abteilung gerade erst im Aufbau befindet“. Vielleicht wird wenigstens dieser Wunsch ja nach Weihnachten noch wahr.

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