Streitgespräch "Die Rettungspakete haben deutsches Vermögen geschützt"

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"Es braucht zeit, bis die Erfolge sichtbar sind"

So viel Geld brauchen Krisenländer 2014
Jon Serrano aus Spanien könnte schon bald ins hessische Bad Homburg umsiedeln. Wenn sein Praktikum weiterhin so gut läuft, winkt ihm eine Lehre in einem Sanitärbetrieb. Wie Jon geht es vielen jungen Spaniern. Arbeit finden sie leichter im Ausland. Die Lage im eigenen Land entspannt sich dagegen nur langsam. Zwar war die Anzahl der Arbeitssuchenden zuletzt um mehr als 100.000 zurückgegangen, doch seien laut Behörden immer noch 4,7 Millionen Spanier ohne Job. Neben der Situation am Arbeitsmarkt machen auch notleidende Kredite Spaniens Banken weiter zu schaffen: Wie die Zentralbank noch im Herbst mitteilte, belaufen sich die Problemkredite auf wertlose Immobilien mittlerweile auf rund 180 Milliarden Euro. Dennoch will es Spanien ab jetzt alleine schaffen: Regierungschef Marian Rajoy hatte zuletzt noch einmal bekräftigt, dass sein Land keine weiteren EU-Hilfen mehr beantragen werde. Rund 1,3 Billionen Euro hält Spanien derzeit an Verbindlichkeiten in Form von Staatspapieren, ungefähr so viel, wie das Land jährlich erwirtschaftet. Rund 189 Milliarden konnte das Land dabei 2013 von Investoren einsammeln, 230 Milliarden muss es in 2014 refinanzieren. Quelle: dpa
Auch die Ratingagenturen sind von der Reformwilligkeit der Spanier mittlerweile überzeugt und sehen Licht am Ende des Tunnels. Zwar beließen die großen Agenturen mit Baa3 (Moody's) und BBB- (Standard & Poor's) ihr Rating an der unteren Schwelle des Investment-Grades. Weil sich die mittelfristigen Aussichten für die Wirtschaft aber verbessert hätten, korrigierten beide Agenturen ihren Ausblick von „negativ“ auf „stabil“. Dass Investoren langsam aber sicher das Vertrauen in die Krisenstaaten zurückgewinnen, spiegelt sich auch an den gesunkenen Renditen auf Staatsanleihen wieder. Während auf dem Höhepunkt der Angst, im Juli 2012, Anleger für spanische Zehnjahresbonds noch 7,62 Prozent Rendite forderten, genügt ihnen heute die Hälfte. Damit kann sich Spanien gerade günstiger refinanzieren als Anfang 2010. Quelle: dpa
Tausende Pilger aus aller Welt kamen in diesem Jahr nach Rom, um den neuen Papst Franziskus zu sehen. Außer dem Kirchenoberhaupt hat es 2013 noch so manch andere Neuerung in Italien gegeben. Im April etwa löste der Demokrat Enrico Letta den Wirtschaftsprofessor und Interimspremier Mario Monti an der Regierung ab. Vorangegangen war ein zäher Kampf mit dem populistischen „Volk der Freiheit“, Partei des europäischen Dauerquerulanten Silvio Berlusconi. Trotz der politischen Stabilität, sehen die Ratingagenturen Standard & Poor's (S&P) und Moody's Italien weiterhin nur als durchschnittlich gute Anlage (BBB bzw. Baa2), Ausblick: „negativ“. Zu wenig sei bislang bei den Sparanstrengungen rumgekommen, lautet die Kritik. Auch die notleidenden Kredite könnten 2014 ein großes Problem für Italiens Banken werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen stünden weiter unter Druck. Eine Entspannung bei den Kreditforderungen der Banken in Höhe von etwa 144,5 Milliarden Euro könnte längere Zeit in Anspruch nehmen. Quelle: REUTERS
Rund 2,3 Billionen Euro schuldet der Stiefelstaat den Gläubigern am Kapitalmarkt – das sind rund 200 Milliarden mehr als die Italiener 2013 erwirtschaftet haben. Doch die hohen Verbindlichkeiten können Investoren nicht abschrecken, wieder mehr in Italien zu investieren: 363 Milliarden Euro konnte die Regierung in Rom 2013 einsammeln, rund 100 Milliarden Euro mehr wird sie 2014 brauchen, um fällige Verbindlichkeiten zu bedienen. Doch auch das sollte gelingen. So stehen die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen derzeit mit 3,9 Prozent so hoch wie im Mai 2010. Höchststände von mehr als sieben Prozent im November 2011 scheinen weit weg. Quelle: dpa
Seit die Finanzkrise Portugal traf, ist die Lissaboner Innenstadt abends oft menschenleer. Viele Geschäfte haben geschlossen, Wohnungen stehen leer. Die Reformen, die das Zehn-Millionen-Einwohner-Land zu schultern hat, verlangen den Bürgern einiges ab. Denn um den Haushalt auf eine schwarze Null zu bringen, gingen unter anderem Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung flöten, Löhne und Renten wurden gekürzt. Seit Mitte 2013 scheinen die Reformen jedoch Wirkung zu zeigen. Der Industrie geht es besser, die Exporte ziehen langsam aber sicher wieder an. Tatsächlich muss es Portugal ab dem Sommer wieder alleine schaffen. Dann nämlich läuft das dreijährige EU-Hilfsprogramm aus, im Rahmen dessen Portugal insgesamt 78 Milliarden Euro erhalten hat. Erst am Freitag hatte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) ihren Ausblick von langfristig negativ auf einfach negativ geändert. An der eigentlichen Bonitätsbewertung BB (Non-Investment-Grade) hat sich allerdings nichts getan. S&P begründen ihre bleibende Skepsis damit, dass das oberste Gericht im Lande immer noch das Reformpaket von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho kippen könnte. Quelle: dpa
Aller Skepsis zum Trotz sind Portugal-Anleihen bei Investoren wieder gefragt. Die Rendite für zehnjährige Papiere lag zuletzt mit 5,38 Prozent so niedrig wie im Juli 2010. Die Chance ist da, dass Portugal die rund 58 Milliarden Euro einsammeln kann, die 2014 fällig werden. Selbst 2013 konnte das gebeutelte Land etwa 16,6 Milliarden Euro an den Märkten aufnehmen. Insgesamt liegen die portugiesischen Verbindlichkeiten an Investoren mit rund 150 Milliarden Euro etwa 10 Prozent niedriger als das Bruttoinlandsprodukt. Quelle: dpa
Sanfte Töne aus Irlands Hauptstadt Dublin: Im Dezember hatte der EU-Musterschüler offiziell den EU-Rettungsschirm verlassen. Irland war vor drei Jahren das erste Euro-Land, das bei den europäischen Partnern um Notkredite bitten musste – insgesamt 67,5 Milliarden Euro waren seither geflossen. Mit fast 350 Milliarden Euro hatte es sein aufgeblähtes Bankensystem vor dem Untergang retten müssen. Künftig will sich das Land wieder allein über die Kapitalmärkte finanzieren. Die Ratingagentur Moody´s allerdings bewertet Irland immer noch als Ramsch (Ba1). Es bleibe die Sorge, dass die Regierung die zugesagte Summe von 64 Milliarden Euro für die Unterstützung der maroden Banken wird aufstocken müssen. Allerdings hofft man auf der grünen Insel, dass Moody's es eher früher als später den anderen beiden Ratingagenturen, Standard & Poor's und Fitch, gleichtut und Irland wieder Investment-Grade-Status zuspricht. Der Nachfrage nach Irland-Anleihen könnte das einen Schub verleihen: Denn mit einem Junk-Rating hat Irland keinen Zugang zu den Investoren, die nur Investment-Grade-Papiere kaufen dürfen. Quelle: AP

Wie erklären Sie sich dann, Herr Sinn, dass die Krisenländer inzwischen alle Leistungsbilanzüberschüsse haben – und das ohne Ausnahme.

Sinn: Das liegt am Kollaps der Wirtschaft und an den Zinsnachlässen durch die Rettungsschirme. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, dann haben die Exporte in keinem Land den Vorkrisentrend überschritten. Dagegen sind die Importe überall dramatisch eingebrochen, was eben daran liegt, dass die Wirtschaftsleistung eingebrochen ist Das ist leider kein Zeichen für eine Gesundung, sondern genau das Gegenteil davon.

Fratzscher: Wir sollten anerkennen, dass Spanien zum Beispiel Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem umgesetzt hat, die noch weitreichender sind als die der Agenda 2010 in Deutschland. Die Länder müssen sicherlich noch weitere Reformen realisieren, aber es braucht Zeit, bis die Erfolge sichtbar sein werden. Und wir sollten etwas bescheidener sein: In Deutschland hat es fünf Jahre gebraucht, bis sich die Erfolge der Agenda 2010 ausgewirkt haben. Ich sehe keinen Grund, weshalb das in Spanien, Frankreich oder Irland anders sein sollte.

Sinn: Spanien hat eine Double-Dip-Depression erlebt. Die Industrieproduktion ist 30 Prozent unter Vorkrisenniveau, und die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 Prozent. Es hat um fünf Prozent real abgewertet, müsste aber um 30 Prozent abwerten, um wieder zu gesunden. Nur in Irland ist wirklich was passiert. Das Land hat seit 2006 bis heute um real 15 Prozent abgewertet. Als die Iren in die Krise kamen, gab es noch keine Rettungsschirme. Deswegen haben sie sofort schmerzhafte Reformen beschlossen. Das haben die Länder in Osteuropa, die ihre Währungen an den Euro gekoppelt hatten, aber keine Hilfen erhielten, genauso getan. Die südeuropäischen Länder dagegen, die nach der Lehman-Pleite gemeinsam in die Krise schlitterten, haben sich einfach das Geld gedruckt, das sie sich nicht mehr leihen konnten. Deshalb kamen die Reformen später.

Die Kardinalfrage ist doch, wie kommen wir von der immens hohen Staatsverschuldung herunter. Reichen Reformen aus, oder brauchen wir doch noch einmal einen radikalen Schuldenschnitt?

Sinn: Diese Länder kommen nur aus ihrer Krise heraus, indem sie die Löhne und Preise kräftig senken. Aber das passiert nur, wenn die Wirtschaft in der Flaute ist. Das wollen die Politiker natürlich verhindern, und deshalb werden sie versuchen, durch immer neue Schulden ein wenig Schein-Wachstum zu erzeugen. So steigen die Schulden immer weiter – und das ist keine Lösung. Was wir brauchen, ist ein großer Schuldenschnitt für die Staatsschulden, die Bankschulden und die Target-Schulden der Euro-Krisenländer. Darüber sollte auf einer großen Konferenz verhandelt werden. Nach einem solchen Schuldenschnitt können wir die Euro-Zone nach Regeln, die besser funktionieren als die alten, neu konstruieren. Und einige Mitglieder werden die Währungsunion dann auch verlassen müssen.

Fratzscher: Das wäre das beste Rezept, um ein Desaster zu verursachen! Ein Schuldenschnitt für Länder wie Italien oder Spanien ist der falsche Weg: Er würde unweigerlich zu einer tiefen Depression in Europa und auch in Deutschland führen. Es würde niemanden helfen und die wirtschaftliche Erholung um viele Jahre verzögern. Eine nachhaltige Entschuldung kann nur über eine weitere Konsolidierung der Staatsausgaben und über Wachstum gelingen.

Sinn: Die Politik hat leider kein Instrument, mit dem sie Wachstum erzeugen könnte.

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