Systemkritik Kapitalismus in der Reichtumsfalle

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Ist der Kapitalismus alternativlos?

Ein verkaufsoffener Sonntag auf der Düsseldorfer Königsallee - es stellt sich die Frage: Lässt sich eine Gesellschaft organisieren, die sich damit begnügt, den Wohlstand zu bewahren statt zu mehren? Quelle: dpa

Man kann diese Frage wegwischen, kann ihre Beantwortung auf morgen verschieben und heute die Maschine am Laufen halten, irgendwie, bis zur nächsten großen Krise. Das ist der erste Weg.

Am Elend wird der Kapitalismus nicht zugrunde gehen. Vielleicht am Reichtum

Der zweite Weg ist mühsamer, steiler und führt ins Unbekannte. Er liegt darin, Antworten zu suchen auf weitere, noch größere, schwierigere Fragen.

Lässt sich eine Gesellschaft organisieren, die sich damit begnügt, den Wohlstand zu bewahren statt zu mehren? Wie schafft man es, so zu wirtschaften, dass die Zufriedenheit der Menschen wächst, nicht der Umsatz der Unternehmen? Ist es möglich, der Natur einen Wert zu geben, der über dem der 10.000 Dinge liegt?

Oder kurz gefragt: Gibt es eine Alternative zum Kapitalismus?

Eigentlich ist diese Frage uralt, Tausende Male wurde sie gestellt in Hunderten von Jahren, von Marxisten, Romantikern, Befreiungstheologen, Arbeiterführern, Dritte-Welt-Aktivisten. Aber immer wurde sie aus der Perspektive der Armen formuliert, immer ging es um den Vorwurf, der Kapitalismus schaffe es nicht, das Elend zu beseitigen. Und immer war es das Ziel, ein System zu erfinden, das die Armut schneller beseitigt, als die Marktwirtschaft das schafft.

Versuche und Ideen gab es viele: die Lehren Mahatma Gandhis in Indien zum Beispiel, denen zufolge jeder Dorfbewohner seine Kleidung und seine Nahrung selbst herstellen sollte, um unabhängig zu werden von den Märkten. Oder die Träume von einer anarchistischen Selbstverwaltung, derzufolge sich kein Mensch persönlich bereichern kann und die während des Spanischen Bürgerkriegs kurzzeitig Wirklichkeit wurde. Und schließlich der Sozialismus in seinen verschiedenen Varianten, der in dem Glauben antrat, die halbe Menschheit in eine bessere Welt führen zu können, und am Ende von diesen Menschen abgeschafft wurde.

All diese Versuche sind gescheitert, die Träume geplatzt, letztlich waren sie unsozialer als die kapitalistische Maschine, die nicht nur mitunter obszön anmutenden Überfluss produzierte, sondern auch viele Hundert Millionen Chinesen, Inder, Südkoreaner, Vietnamesen und Brasilianer aus der Armut befreite.

Am Elend wird der Kapitalismus nicht zugrunde gehen, aber vielleicht am Reichtum. Die Not der Massen hat er gelindert, an eine Revolution von unten ist kaum zu denken. An einen neuen Systementwurf von oben sehr wohl.

Das Geld, das zum Ende des 20. Jahrhunderts zu den !Kung gekommen war, blieb nicht lange bei ihnen. Diamanten wurden vermutet unter dem roten Sand der Kalahari. Die !Kung wurden von ihrem Land vertrieben. Manche verdingen sich heute als Dienstboten auf Farmen oder als billige Landarbeiter. Andere sind dem Alkohol verfallen oder leben zurückgezogen in Reservaten, wo sie versuchen wieder auf die Jagd zu gehen, wie früher. Vielleicht sind es nicht nur die Industrieländer, die eine Alternative zum Kapitalismus benötigen. Die !Kung brauchen sie auch.

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