Tarifstreit Sieg nach Punkten für Bsirske

Gewerkschaften und Arbeitgeber im öffentlichen Dienst auf deutlich mehr Lohn geeinigt – und dabei ihr Gesicht gewahrt. Die IG Metall könnte sich daran ein Beispiel nehmen. Ein Kommentar.

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Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske auf einer Kundgebung am Flughafen von Frankfurt am Main Quelle: dpa

Man muss nur einmal ordentlich auf den Putz hauen – und schon bekommt man, was man will. Dieser Eindruck drängt sich beim Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst auf. Verdi-Chef Frank Bsirske hatte es vor der entscheidenden dritten Verhandlungsrunde noch einmal richtig krachen lassen. Mit Streiks an deutschen Flughäfen brachte er zwar Passagiere und Airlines gegen sich auf – doch die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht.

Er hat eine ordentliche Lohnerhöhung durchgesetzt, Leistungseinschnitte bei der Betriebsrente abgewehrt, die neue Entgeltordnung, über die seit elf Jahren verhandelt wird, unter Dach und Fach gebracht: Deutschlands streikfreudigster Gewerkschafter kann sich am 1. Mai von seinen Getreuen feiern lassen.

Eigentlich hatte sich die Gewerkschaft eine Sechs-Prozent-Forderung auf die Fahne geschrieben. Davon ist die Einigung weit entfernt. Doch angesichts absehbar niedriger Inflationsraten bieten die verabredeten 4,75 Prozent in zwei Stufen den rund 2,1 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen immer noch ein sehr deutliches Reallohnplus. Allerdings wird die Inflationsprognose, sollten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute recht behalten, etwas geringer ausfallen als beim letzten Abschluss aus dem Jahr 2014. 

Verdi kündigt für mehrere deutsche Flughäfen Warnstreiks am kommenden Mittwoch an. Passagiere müssen mit starken Verzögerungen und massiven Flugausfällen rechnen.

Die Kosten für den Abschluss beziffern die Kommunen jetzt auf rund sechs Milliarden Euro. Bei ihrem Angebot, das eine Drei-Prozent-Tariferhöhung in zwei Stufen umfasste, hatten sie nicht einmal mit der Hälfte dieser Summe gerechnet. Offenbar wog das Gewerkschaftsargument, dass den Kommunen in diesem und im kommenden Jahr ein Steuerplus von fast neun Prozent winkt, doch stärker als der Hinweis der Arbeitgeber auf die Verschuldung der Städte und Gemeinden in Höhe von rund 145 Milliarden Euro.

Bedanken können sich Verdi und Beamtenbund wohl auch bei Thomas de Maizière. Mit Blick auf die Flüchtlingskrise – die zu einem guten Teil in den Verwaltungen geschultert werden muss – hatte der Bundesinnenminister schon zum Auftakt der Tarifverhandlungen seine Wertschätzung für die öffentlich Bediensteten kundgetan. Dies stärkte die Verhandlungsposition der Gewerkschaften, auch wenn de Maizière sich noch um Schadensbegrenzung bemühte, als er die massiven Warnstreiks als „unverhältnismäßig“ abkanzelte.

Gewerkschaften erringen Sieg bei kommunaler Zusatzversorgung

Auch beim zweiten großen Thema der Tarifrunde, der kommunalen Zusatzversorgung, gehen die Gewerkschaften als Sieger vom Platz. Pauschale Leistungskürzungen bei der Betriebsrente, die für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes immerhin 25 bis 30 Prozent ihrer späteren Rentenansprüche ausmacht, sind vom Tisch. Die Arbeitgeber halten aber Zusagen auf dem bisherigen Niveau angesichts der Niedrigzinsphase schlicht für nicht finanzierbar. Hinzu kommt, dass die Zahl der Leistungsempfänger rapide steigen wird. Fast jeder dritte Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist älter als 55.

Doch statt Leistungskürzungen durchzusetzen, wird es nun für einen Zeitraum von zehn Jahren Zusatzbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur betrieblichen Altersvorsorge geben. Diese hängen allerdings, wie von den Gewerkschaften angemahnt, von der Finanzsituation der jeweiligen regionalen Zusatzversorgungskasse ab. Entstehen Überschüsse, wie zuletzt etwa bei der bayerischen Kasse, werden die Zusatzbeiträge gesenkt. Die Arbeitgeber hatten sich lange gegen eine Lösung, die auf die Finanzkraft der jeweiligen Kasse Bezug nimmt, gesträubt.

Die Einigung auf die neue Entgeltordnung haben sich Bsirske und seine Kollegen für Abstriche beim Weihnachtsgeld abkaufen lassen. Seit 2005 der neue Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) eingeführt wurde, ringen kommunale Arbeitgeber und Gewerkschaften darum, wie Sparkassenangestellte, Altenpflegerinnen oder Schulhausmeister in den Entgelttabellen eingruppiert werden. Dass jetzt rund ein Viertel aller Tätigkeiten im kommunalen Dienst besser gestellt und damit auch besser bezahlt werden, kostet natürlich Geld. Statt aber Abstriche bei den Lohnprozenten zu machen, haben sich die Sozialpartner darauf verständigt, das Weihnachtsgeld um vier Prozent zu kürzen und dieses Niveau drei Jahre lang einzufrieren. Ein verkraftbares Zugeständnis dafür, dass es durch die höhere Eingruppierung dauerhaft mehr Geld für die Beschäftigten gibt. 

Welche Rechte Fluggäste bei Streik haben

Nicht durchsetzen konnten sich die Gewerkschaften bei der Erhöhung der Vergütungen für Auszubildende. Um den unter Nachwuchsmangel leidenden öffentlichen Dienst attraktiver zu machen, hatten sie hier eine monatlich Anhebung um 100 Euro gefordert. Stattdessen gibt es jetzt nur ein Plus von insgesamt 65 Euro in zwei Stufen. Auch mit der Forderung, sachgrundlose Befristungen aus dem öffentlichen Dienst zu verbannen, bissen die Gewerkschaften bei den Arbeitgebern auf Granit.

Spannend wird nun, wie es nach dem Abschluss im öffentlichen Dienst in der Tarifrunde für die 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie weiter geht. Zum einen sendet die Einigung das klare Signal, dass sich ein frühzeitiger massiver Streikeinsatz durchaus lohnen kann. Die IG Metall weiß das und hat schon am ersten Tag nach dem Ende der Friedenspflicht mehr als 110.000 Warnstreikende für ihre Fünf-Prozent-Forderung mobilisiert.

Auf der anderen Seite zeigt der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst aber auch, wie sich eine für alle Seiten gesichtswahrende Lösung erreichen lässt. Die Kunst besteht darin, einen hohen Abschluss durchzusetzen, den die Gewerkschaft ihren Mitgliedern als Erfolg verkaufen kann. Und der für die Arbeitgeber durch die lange Laufzeit trotzdem verkraftbar ist und ihnen zudem Planungssicherheit gewährt. Bleibt zu hoffen, dass sich die Metaller am Ende zu einer ähnlichen Lösung durchringen.  

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