Überraschende Folgen Wie die Finanzkrise auf die Realwirtschaft durchschlägt

Die Finanzkrise sickert wie Kriechöl in die hintersten Winkel der Realwirtschaft – mit manch überraschenden Folgen.

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Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland (in Tausend)

Vom obersten Stockwerk der Konzernzentrale der Lufthansa am Frankfurter Flughafen hat Wolfgang Mayrhuber einen schönen Blick über den Airport. Bis zum Ende des Sommers genoss er die Aussicht noch. Weder das teure Öl noch die Finanzkrise konnten der Laune des Lufthansa-Chefs etwas anhaben. Denn die Fluglinie verkaufte trotz aller Widrigkeiten mehr Tickets als ein Jahr zuvor – und das zu höheren Preisen.

Seit zwei Wochen ist es jedoch mit Mayrhubers guter Laune vorbei. „Die Krise ist bei uns angekommen“, sagt ein Lufthansa-Manager, „wir spüren einen deutlichen Rückgang gerade bei den Geschäftsreisenden.“ Rund 13 Prozent aller Geschäftsreisenden sind in der Finanzbranche beschäftigt. Ihre teuren Tickets sorgten bisher fast für den gesamten Gewinn.

Mayrhuber hat gute Chancen, in diesem Jahr noch einmal mit einem hohen Gewinn davonzukommen. Andere Branchen und viele Mittelständler erleben die Mischung aus Konjunktur- und Finanzkrise viel rauer. Immer klarer und mit über einjähriger Verzögerung erreichen die Probleme, die bisher fast nur das Geldgewerbe quälten, auch diejenigen, die mit greifbaren Gütern und Dienstleistungen wirtschaften. Der Transmissionsriemen von der einen in die andere Welt beginnt sich zu spannen. „Die Geldbeschaffung wird schwieriger und dauert länger“, erläutert Roman Zeller, Geschäftsführer des Turn-around-Experten AlixPartners. „Außerdem ist der Preis für Risiko nach oben gegangen.“

Die Schicksale, die sich hinter den kühlen volkswirtschaftlichen Analysen verbergen, sind umso erschütternder. Christiane van Zwoll, Wirtschaftsanwältin in der Kölner Innenstadt, sagt über ihre Mandanten, meist Selbstständige und kleine Unternehmer: „Bei denen herrscht schlicht Panik, viele befürchten, schon morgen keine Kredite mehr zu bekommen; etliche wollen gar ihr Geld bei ihrer Bank abheben, weil sie Angst um ihre Einlagen haben.“ Noch vor wenigen Tagen habe ein insolventer Softwareunternehmer vor ihr gesessen: „Das war ein gestandener Mann, der weinte.“ Zwar sei die Zahl der Insolvenzberatungen kaum angestiegen. „Doch in einigen Wochen werden bei uns die Opfer der Krise anklopfen.“

Die Wege der Krise in die Service- und Gütersphäre sind vielfältig

Lange schien es so, als müssten die Banken ihr gegenseitiges Misstrauen alleine ausbaden. Unternehmen wie Deutschlands Vorzeige-Softwarekonzern SAP, Sportwagenbauer Porsche oder der Elektrokonzern Siemens meldeten noch weit nach Ausbruch der Finanzkrise im Frühsommer 2007 glänzende Zahlen. Deutschlands Paradebranche, der Maschinenbau, legte um fast 14 Prozent zu und rechnet für 2008 immerhin noch mit fünf Prozent Plus.

Doch nach der Eskalation in der zurückliegenden Woche geht auch das zu Ende. Konzernchef Henning Kagermann musste vor wenigen Tagen eingestehen, dass „sich SAP den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, wie sie seit der zweiten Septemberhälfte die Märkte erfasst, nicht entziehen konnte“. Seit vier Monaten in Folge bröckeln bei den Maschinenbauern die Aufträge. Im August lag das Niveau zehn Prozent unter dem Vorjahresmonat. Die Stahlkocher, die noch vor wenigen Wochen die Finanzkrise als vorübergehende Erscheinung abtaten, schraubten das erwartete Wachstum der Nachfrage 2009 um über ein Drittel auf 4,0 bis 4,5 Prozent zurück. Und auch die Autohersteller beginnen zu darben. Opel und BMW stoppen die Bänder, um die Produktion zu drosseln, allein bei den deutschen Premium-Herstellern sollen bereits 300.000 Fahrzeuge auf Halde stehen.

Die Wege der Krise aus der Geld- in die Güter- und Servicesphäre sind vielfältig. Fällt eine Bank mangels genügend Eigenkapitals als Kreditgeber aus, greift die Not schnell ins produzierende Gewerbe über. Der europäische Flugzeugbauer Airbus zum Beispiel, Produzent des weltgrößten Passagierflugzeugs A380, musste Anfang Oktober seinem französischen Zulieferer Latécoère früher als geplant Geld überweisen. Offenbar trauten die Banken dem Unternehmen nicht mehr und wollten ihm keine zusätzlichen Kredite mehr geben.

Doch das könnte nur ein kleiner Vorgeschmack sein. Bis einschließlich 2009 stehen die meisten Flugzeugfinanzierungen schon. Von 2010 an dagegen droht es für die großen Hersteller wie Boeing und Airbus eng zu werden. „Unsere Kunden haben zunehmend Probleme, Kauf- und Leasingverträge zu finanzieren“, musste Boeing-Chef Jim McNerney gerade in einem internen Rundschreiben eingestehen.

Auch für die Autofinanzierer wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Lease-trend aus München ist eine der größten banken- und herstellerunabhängigen Leasinggesellschaften in Deutschland mit Autos im Wert von 268 Millionen Euro im Bestand. Jeden Monat leiht sich Leasetrend bis zu 15 Millionen Euro von Banken für den Kauf von Neufahrzeugen, um sie an Unternehmen zu verleasen. Doch seit sich die HSH Nordbank aus der Refinanzierung von Leasinggeschäften mit einem Volumen von acht Milliarden Euro zurückzog, sei das Geschäft „viel schwieriger geworden“, sagt Leasetrend-Vorstandschef Gerhard Fischer. Besonders Landesbanken und internationale Banken würden als Partner kaum zur Verfügung stehen. Stattdessen springen Sparkassen in die Bresche, mit denen nun Rahmenverträge ausgehandelt werden müssten. „Die Leasingkosten werden um zwölf bis 15 Prozent steigen“, sagt Fischer.

Lindenau-Werft: 500 Arbeitsplätze sind akut bedroht Quelle: dpa

Dass pralle Auftragsbücher nichts helfen, wenn das Geld für Vormaterialien und Löhne fehlt und die Zeit bis zum Eingang der Außenstände zu überbrücken ist, zeigt die Lindenau-Werft in Kiel. Das Familienunternehmen musste vor Wochen drohende Insolvenz anmelden, obgleich die Werft Aufträge in Höhe von mehr als 225 Millionen Euro in den Büchern hat. Das Unternehmen war nicht mehr flüssig, weil die Banken die Zwischenfinanzierung immer weiter hinauszögerten und die Werft selbst nicht genügend auf der hohen Kante hatte. „Die Banken kommen immer wieder mit neuen Auflagen“, sagt ein Lindenau-Manager, „rücken dann aber keine Kredite heraus.“ Jetzt sind insgesamt über 500 Arbeitsplätze in dem Kieler Unternehmen akut bedroht. „Bei ihren Engagements in undurchsichtige Finanzprodukte waren die Banker schnell bei der Hand, bei uns prüfen sie bis zum Gehtnichtmehr“, schimpft ein hochrangiger Lindenau-Manager.

„Immer mehr Unternehmen kommen jetzt in die Schieflage, die volle Auftragsbücher haben und im Grunde nicht insolvent sind“, sagt Hans Haarmeyer, Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrecht am Rhein-AhrCampus in Remagen. Statt weiter Kredite zu vergeben, wollten viele Banken vor allem ihr Risiko senken. Oder sie könnten die Löcher, die Kredite in ihrer Bilanz hinterließen, nicht wie früher durch kurzfristige Ausleihungen bei anderen Banken stopfen. Der langjährige Insolvenzrichter plädiert deshalb für ein Moratorium. Heute müssen Unternehmen binnen 21 Tagen den Gang zum Insolvenzrichter antreten, wenn sie für weniger als 90 Prozent ihrer fälligen Verbindlichkeiten flüssige Mittel vorweisen könnten. „Diese Frist ist unter den gegebenen Bedingungen zu kurz“, sagt Haarmeyer, „Unternehmen, die unter normalen Marktverhältnissen locker überleben würden, kommen jetzt in die Klemme.“

Auch das gesprochene Wort verliert an Wert, grassiert im Geldgewerbe erst mal die Angst. „Die kippen von heute auf morgen alles“, sagt ein bayrischer Maschinenbauer, dem eine US-Bank einen Kredit in Höhe von zwei Millionen US-Dollar zugesagt hatte. „Das war alles in trockenen Tüchern, nur die Unterschrift fehlte“, erzählt der Geschäftsführer des 1000-Mitarbeiter-Unternehmens. „Die haben ihre Zinsen auf zwölf Prozent mehr als verdoppelt, und dann war für mich die Geschichte natürlich gelaufen.“ Der Bayer kann nur von Glück reden, dass er im Gegensatz zu vielen Mittelständlern die Verbindung zu anderen Banken in den vergangen Jahren nicht kappte.

Auf der Suche nach neuen Kreditgebern

„Weniger ist mehr, war die Devise in den vergangenen Jahren“, sagt ein Finanzmanager von Bilfinger Berger – nur dass der Mannheimer Baukonzern sich dem Trend entzog und weiter mit 15 Finanzinstituten arbeitete. Heute sind die Badener froh über ihre altmodisch-üppigen Bankverbindungen. Die erleichtern die Kreditbeschaffung und Risikostreuung. „Brauchte man für die Finanzierung eines Projekts früher vier Banken, sind es jetzt zehn.“ Zwar ist Bilfinger Berger nicht von Kreditkündigungen betroffen, da die Baubranche vor allem von langfristigen und gut abgesicherten Darlehen lebt. „Wenn wir im Moment dringend Geld bräuchten, wäre es aber schwierig“, gibt der Finanzmanager zu. „Und teurer werden die Kredite langfristig sowieso.“

Die Angst vor dem Konkurs von Banken hat inzwischen aber auch die Unternehmen sensibilisiert. Bei einem großen rheinischen Dienstleister schrillten nach den Zusammenbrüchen der vergangenen Wochen die Alarmglocken, als es darum ging, kurzfristig 100 Millionen Euro bei einer seiner Banken zu parken. Das Unternehmen schichtete schnell um. „Heute liegen höchstens 30 Millionen Euro bei jeder unserer Hausbanken“, sagt der Konzernchef. Ähnlich vorsichtig, nur einige Nummern größer, handelte auch Karl-Gerhard Eick, Finanzchef der Deutschen Telekom. Er parkte flüssige Mittel von 17 Milliarden Euro in Paketen zu maximal 600 Millionen Euro auf 29 Banken verstreut.

Fallen die Banken als Kreditgeber aus, könnten hie und da auch andere Geldgeber in die Lücke springen. So wollte Peter Kowalsky, der Erfinder der Lifestylebrause Bionade, zusammen mit dem schwäbischen Nudelhersteller Alb Gold im US-Bundesstaat Iowa eine Produktionsanlage errichten und diese ausschließlich mit Bankkrediten finanzieren. „Das hat sich im Zuge der Finanzkrise geändert“, sagt Alb-Gold-Inhaber Klaus Freidler. Erst Anfang 2009 – ein halbes Jahr später als geplant – soll der Bau der Fabrik nun beginnen. Im Gegensatz zu seinem Geschäftspartner macht Bionade-Chef Kowalsky dafür Schwierigkeiten mit den US-Zulassungsbehörden verantwortlich. Die Finanzierungsstruktur will er aber dennoch ändern: Statt Banken sollen jetzt private Investoren Mittel für den Fabrikbau aufbringen und in einem Fonds bündeln. Geldgeber, mit denen er früher nie etwas zu tun haben wollte.

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