Berlin Führende Ökonomen in Deutschland warnen angesichts eines drohenden russischen Militäreinsatzes gegen die Ukraine vor unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen. „Geopolitische Unsicherheiten vor der eigenen Haustür und ein potentieller politischer Konflikt mit Russland bedeuten für die EU auch wirtschaftliche Unsicherheiten“, sagte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater, Handelsblatt Online.
Abgesehen von der Sicherheit der Gaslieferungen aus Russland über die Ukraine, sei die Ungewissheit groß, welche Weiterungen das Vorgehen Russlands im Osten Europas noch haben werde. „Eine generelle Verunsicherung der wirtschaftlichen Erwartungen kann im Extremfall die konjunkturelle Entwicklung insgesamt belasten“, warnte Kater. Aber noch bestünden gute Hoffnungen, dass der Konflikt politisch eingedämmt werden könne.
Darauf hofft auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn. Denn die politische Eskalation in der Ukraine, „die jeder Vernunft Hohn spottet, hat auch ökonomisch fatale Konsequenzen für die Menschen in der Ukraine“, sagte Horn Handelsblatt Online. Die Institutionen seien nur noch begrenzt funktionsfähig. „Sollten die Auseinandersetzungen die Grenze zum Kriegerischen überschreiten, droht der finanzielle Kollaps“, warnte der IMK-Chef.
„In einer solchen unübersichtlichen Situation können der IWF oder die EU wenig ausrichten, ein Staatsbankrott wäre dann unvermeidlich.“ Horn befürchtet dann globale Verwerfungen. „Aus europäischer und globaler Sicht verstärkt sich damit die ohnehin vorhandene Unsicherheit, die derzeit immer noch eine erhebliche Bürde für einen stabilen globalen Aufschwung ist.“
Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier, hält die direkten ökonomischen Auswirkungen zwar überschaubar, da die Exportbeziehungen in die Ukraine nicht so groß seien . "Jedoch kann das Sentiment der Investoren getrübt werden und damit die Lage an den Finanzmärkten belasten", sagte Bielmeier Handelsblatt Online.
Die wichtigsten Fakten zur Krim
Nach dem Umsturz in der Ukraine richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Halbinsel Krim, wo Russland seine Schwarzmeerflotte stationiert hat und wo russische Soldaten am Freitag den Flughafen der Stadt Sewastopol abriegelten. Die Halbinsel ist traditionell pro-russisch und geografisch, historisch und politisch vom Rest des Landes getrennt. Hier eine wichtige Fakten zur Krim:
Die Halbinsel - bis auf eine schmale Landverbindung eigentlich fast eine Insel - ragt ins Schwarze Meer. An der Ostküste reicht ein Landstreifen fast bis an das russische Festland heran. Im Westen ist die Krim vor allem bekannt als Ort der Jalta-Konferenz von 1945. Dort trafen sich die Sieger des Zweiten Weltkriegs - der sowjetische Diktator Josef Stalin, US-Präsident Franklin Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill -, um die Nachkriegsordnung für Europa zu besprechen.
1954 schlug Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow die Krim seiner Heimat Ukraine zu, die damals zur Sowjetunion gehörte. Bis zum Zusammenbruch der UdSSR 1991 spielte das praktisch keine Rolle. Dann aber wurde die Krim Teil der unabhängigen Ukraine. Nach wie vor sehen sich knapp 60 Prozent der zwei Millionen Einwohner dort als Russen.
An der Südküste der Krim liegt die Hafenstadt Sewastopol. Dort ist die russische Schwarzmeerflotte mit tausenden Soldaten und Militärangehörigen stationiert. 2009 drohte die damalige ukrainische Führung, Russland müsse die Flotte bis 2017 abziehen. Doch nach der Wahl von Viktor Janukowitsch zum Präsidenten 2010 war davon keine Rede mehr: Er stimmte einer Stationierung der Flotte bis 2042 zu.
Die Krimtataren waren 1944 unter Stalin brutal deportiert worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 durften sie auf die Krim zurückkehren. Sie machen jetzt etwa zwölf Prozent der Bevölkerung dort aus. In dem Machtkampf der vergangenen Monate hatten sie sich auf die Seite der Janukowitsch-Gegner gestellt.
Mitte des 19. Jahrhunderts führte Russland einen militärischen Konflikt über das Gebiet: den Krim-Krieg gegen das Osmanische Reich, dem Frankreich, Großbritannien und andere zu Hilfe geeilt waren. Hauptinteresse Russlands war der Zugang zum Schwarzen Meer. Doch konnte das Zarenreich sich das Gebiet trotz des blutigen Konflikts in den Jahren 1853 bis 1856 nicht sichern. Es wurde für neutral erklärt. Berühmt ist seit diesem Krieg die britische Krankenschwester Florence Nightingale, die sich um Verwundete auf der Krim kümmerte. Sie gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege.
Vor negativen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft warnt auch Christian Dreger, Forschungsdirektor im Bereich International Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Die Krise in der Ukraine beeinträchtigt die Integration der Weltwirtschaft“, sagte Dreger Handelsblatt Online. „Insbesondere dürfte das Verhältnis zwischen Russland und der EU bei einer weiteren Zuspitzung erheblich belastet werden.“ Es komme nun darauf an, die Ukraine „möglichst rasch“ politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. Dazu könne die EU beitragen. „Allerdings kann eine Lösung nicht ohne Russland erreicht werden“, sagte Dreger.
Angesichts eines drohenden russischen Militäreinsatzes auf der Krim hatte der ukrainische Übergangspräsident Turtschinow am Samstag die Kampfbereitschaft der Armee angeordnet. In einer im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation sagte Turtschinow, es gebe einen Aktionsplan für den Fall einer Aggression Moskaus. Zudem werde der Schutz von Atomkraftwerken, Flughäfen und weiterer Einrichtungen im Land verstärkt.