Unvermeidliche Insolvenzwelle „Zombiefirmen gefährden gesunde Unternehmen“

Patrik-Ludwig Hantzsch ist Leiter der Wirtschaftsforschung beim Verband der Vereine Creditreform in Neuss. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Insolvenzen und Neugründungen in Deutschland und Europa sowie die Finanzierung mittelständischer Unternehmen. Quelle: privat

Kommt das dicke Ende noch? Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform, über die erwartete Pleitewelle in Deutschland und die volkswirtschaftlichen Gefahren verschleppter Insolvenzen.

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Herr Hantzsch, trotz Corona ist die Zahl der Insolvenzen in Deutschland zumindest auf dem Papier zurückgegangen. Wann kommt die erwartete Pleitewelle?
Unsere hauseigene Wirtschaftsforschung hat im ersten Halbjahr 2020 acht Prozent weniger Insolvenzen als im Vorjahr gemeldet, für Juli prognostiziert das Statistische Bundesamt einen Rückgang von sogar 30 Prozent. Mitten in der tiefsten Rezession seit Kriegsende ist das paradox. Den deutschen Unternehmen geht es bei weitem nicht so gut, wie uns die Pleitestatistik vorgaukelt. Wie viele Pleiten es im laufenden Jahr am Ende gibt, hängt nun von verschiedenen Faktoren ab. Werden staatliche Hilfen weiter ausgeweitet, dann wird sich auch die – unvermeidliche – Insolvenzwelle weiter nach hinten verschieben. Fakt ist, dass die Coronakrise kleine und mittelständische Unternehmen stärker bedroht als die Finanzkrise von 2008, weil diesmal die gesamte Wirtschaft betroffen ist. Damals stiegen die Unternehmenspleiten in Deutschland um rund zwölf Prozent. Je nachdem, wie schnell wir das Virus in den Griff bekommen, könnten wir diese Zahl diesmal übertreffen.

Was heißt das konkret?
Für das Gesamtjahr 2020 prognostiziert die Creditreform Wirtschaftsforschung 15 bis 18 Prozent mehr Unternehmenspleiten als im Vorjahr. Die Hauptinsolvenzlast erwarten wir bei gleichbleibenden Bedingungen aber erst in den ersten beiden Quartalen 2021. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ab Oktober vor allem viele kleine Selbstständige, Gewerbetreibende und mittelgroße Firmen Insolvenz beantragen müssen, die schon heute illiquide sind und nur noch „auf Sicht fahren“. Dazu kommen viele Unternehmen, die still und heimlich vom Markt verschwinden. Die tauchen erst gar nicht in der Pleite-Statistik auf. Die bezahlen ihre Rechnungen, schließen den Laden ab und sind dann raus.

War es vor diesem Hintergrund ein kluger Schritt der Bundesregierung, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende des Jahres zu verlängern?
Ich sehe diese Maßnahme sehr kritisch. Allerdings ist die nun beschlossene Variante, nach der die Regelung nur für überschuldete, nicht aber für zahlungsunfähige Unternehmen fortgesetzt wird, die am wenigsten verheerende Option. Zahlungsunfähige Unternehmen – und das betrifft weitaus mehr Betriebe – müssen also trotz der Verlängerung im Oktober Insolvenz beantragen. Eine weitere Aussetzung für beide Insolvenzgründe hätte die Pleitewelle weiter aufgestaut und am Ende einen ökonomischen Tsunami entfacht. Volkswirtschaftlich gesehen ist die jetzige Entwicklung also erstmal positiv.



Kurzzeitig stand auch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende März in den Raum…
Wäre die Koalition dem Vorschlag der Bundesjustizministerin gefolgt, wäre im Frühjahr auch eine große Anzahl gesunder Unternehmen nach unten gerissen worden. Hier haben sich die Rechtspolitiker der Union und Mittelstandsexperten wie Carsten Linnemann Gott sei Dank durchgesetzt. Mit der jetzigen Variante kann die Marktbereinigung langsam wieder einsetzen und der Insolvenzstau wird ab Oktober zumindest teilweise gelöst.

Welche Rolle spielen sogenannte „Zombie-Unternehmen“, die sich schon seit Jahren dank der Niedrigzinspolitik der EZB so gerade eben über Wasser halten?
In der aktuellen Situation ist es wichtig, sauber mit Begriffen umzugehen. „Echte“ Zombies sind unrentable und überschuldete Unternehmen, die sich durch die lockere Geld- und Zinspolitik der vergangenen Jahre refinanzieren und so überlebt haben. Sie sind weniger produktiv und innovativ und versperren Start-ups sowie leistungsfähigen Unternehmen den Weg. Zombies verhindern Weiterentwicklungen, binden Kapital und Fachpersonal in maroden Strukturen. Je länger sie am Markt agieren können, desto höher sind die möglichen Verluste, die sie bei anderen Marktteilnehmern verursachen. Das ist ein Problem, dem man sich annehmen muss.

Das heißt: Zombiefirmen gefährden auch gesunde Unternehmen?
Ja, denn Zombies sind „Spreader“, die durch ihr unternehmerisches Handeln ihre Geschäftspartner, Lieferanten und Kreditgeber infizieren. Das kann beispielsweise durch ruinöse Preiskämpfe geschehen oder dadurch, dass Rechnungen gar nicht oder zu spät bezahlt werden. Das kann zu Zweitrundeneffekten, also Anschlussinsolvenzen, führen. Eine langfristige Unterstützung aller Firmen schadet somit am Ende mehr als sie nützt. Denn von den erweiterten staatlichen Maßnahmen profitieren derzeit auch potenzielle Zombies. Das richtet großen volkswirtschaftlichen Schaden an. Entscheidend ist, schnellstens wieder zu realen Marktbedingungen zurückzukehren. Sollte die Zahl der Untoten dauerhaft steigen, wird uns das Thema noch lange nach Corona verfolgen.


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Was raten Sie Unternehmen in der jetzigen Situation, um zu überleben?
Was jetzt vor allem hilft, ist unternehmerische Eigenverantwortung. Das bedeutet, sich nicht nur auf den staatlichen Rettungsanker zu verlassen, sondern die eigene Finanzierung zu überdenken und mehr auf Eigenkapitalstärke zu setzen. Auch die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells ist ein wesentlicher Punkt – der von der gesamten deutschen Wirtschaft aber schon seit Jahren auf die leichte Schulter genommen wird. Wir müssten längst mit der strukturellen Weiterentwicklung beschäftigt sein, anstatt von der Substanz vergangener Jahre zu zehren und eingerostete Strukturen zu konservieren. Corona bringt die Schwachstellen gerade ans Tageslicht: Die Industrie insgesamt, die Automobilbranche, der Maschinenbau oder der stationäre Einzelhandel haben Probleme, die weit vor der Epidemie entstanden sind.

Gibt es Ansätze für Hilfsprogramme, die sowohl corona- als auch zukunftstauglich sind?
Wir müssen nicht überlebensfähige Geschäftsmodelle aussortieren und die im Kern Gesunden gezielt fördern. Corona-Bürgschaften oder die Umsetzung der bereits vor der Pandemie verabschiedeten EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen könnten hilfreiche Instrumente sein. Die präventive Sanierung setzt bereits vor der Insolvenzreife an. Sie führt dazu, dass Unternehmen bereits im frühen Krisenstadium Sanierungsmaßnahmen einleiten und damit den Insolvenzfall verhindern. Gläubiger und Unternehmen können frühzeitig ausloten, wie eine Lösung aussehen könnte. Gleichzeitig kann ein Sanierungsverfahren außerhalb der Insolvenz auch dabei helfen, Unternehmen zielgerichtet und dauerhaft für die Zeit nach Corona fit zu machen.

Mehr zum Thema: Verdi wirft dem Sicherheitsanbieter DSW am Flughafen Düsseldorf Missbrauch staatlicher Leistungen vor. Das Unternehmen bestreitet das. Der Fall zeigt die komplizierte Diskussion ums Kurzarbeitergeld.

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