Einmal noch kann sich Janet Yellen entspannt zurücklehnen und durchatmen. Wenn die Währungshüter der amerikanischen Notenbank Fed sich Mitte dieser Woche in ihrem Hauptquartier in Washington treffen, um über die Geldpolitik zu entscheiden, wird ihr Chef Ben Bernanke zum letzten Mal die Sitzung leiten. Wenige Tage später, am 1. Februar, reicht der amtsmüde Bernanke den Führungsstab an seine Vize Yellen weiter.
Das Leben der 67-Jährigen wird sich dann schlagartig ändern. Analysten, Börsianer und Journalisten werden fortan jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen, jede Äußerung auf mögliche Hinweise einer geldpolitischen Zeitenwende abklopfen. Ihre Worte und Taten werden die Weltbörsen bewegen, sie gegebenenfalls sogar beben lassen. Sie werden mit darüber entscheiden, ob Investoren, Finanzminister, Häuslebauer und Manager in Washington, Berlin, Tokio und Peking rote oder schwarze Zahlen schreiben. Keine Frau der Welt wird so viel Macht über die globale Wirtschaft besitzen wie Janet Yellen.
Doch wie wird sie diese Macht nutzen? Kann die neue Herrin des Geldes den dringend erforderlichen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik, die sie als Bernankes Stellvertreterin in den vergangenen Jahren mit zu verantworten hat, so gestalten, dass weder Finanzmärkte noch Konjunktur einbrechen? Wie tickt diese Frau, die sich anschickt die Weltwirtschaft zu regieren – und ansonsten gerne kocht und wandert?
Aus kleinen Verhältnissen
Scheu und etwas gemütlich kommt die neue Chefin der US-Notenbank daher. Yellen stammt aus kleinen Verhältnissen. Sie wird als Tochter eines Arztes in Brooklyn geboren und geht in dem Arbeiterviertel Bay Ridge zur Schule. Hafenarbeiter waren die Klientel ihres Vaters, und immer wieder erzählt Yellen, wie sehr sie die Erfahrungen ihrer Kindheit prägten. Oft seien die Patienten nicht in der Lage gewesen, ihren Vater zu bezahlen, weil sie keine Arbeit gehabt hätten. Arbeitslose, sagte Yellen einmal, seien für sie nicht nur Statistik. Sie habe erlebt, was es bedeute, keinen Job zu haben. Seit ihrem Studium hat sich Yellen, die mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof verheiratet ist, intensiv mit den Auswirkungen und den Gründen von Arbeitslosigkeit beschäftigt.
Die junge Frau aus Brooklyn schafft es an die Eliteuniversität Yale, schreibt ihre Doktorarbeit in Ökonomie beim späteren Nobelpreisträger James Tobin, auf den die gerade wieder aktuelle Idee einer Finanztransaktionsteuer zurückgeht. Tobin bescheinigt ihr, sie verfüge über die Gabe, äußerst komplizierte Dinge klar und verständlich auszudrücken.
Yellen lehrt zunächst als Assistentin in Harvard, arbeitet seit 1977 als Ökonomin bei der Federal Reserve, wird Professorin an der Universität in Berkeley in Kalifornien. 1997 wird sie Chefin des Wirtschaftsberaterteams von US-Präsident Bill Clinton. Clinton beruft sie auch in den Vorstand der Federal Reserve. Später wechselt sie für sechs Jahre als Präsidentin der regionalen Federal Reserve nach San Francisco. Als Einzige der 19 Fed-Gouverneure warnte sie vor dem Kollaps des US-Immobilienmarktes und rief im Dezember 2007 zu Zinssenkungen auf.
Geldpolitisch gilt Yellen als Taube, was im Jargon der Notenbanker für eine lockere Geldpolitik steht. Offen bekennt sie sich als moderne Keynesianerin: Sie glaube fest daran, mit geldpolitischen Instrumenten den Wirtschaftskreislauf ankurbeln zu können, damit die Finanzmärkte ebenso wie die Arbeiter davon profitierten. So verteidigte sie vor dem Bankenausschuss des Senats in Washington im November vergangenen Jahres die Politik der Fed. Unter der Führung von Bernanke habe sie geholfen, das Finanzsystem zu stabilisieren und eine Erholung herbeizuführen. „Die Vorteile“, so Yellen, „überwiegen die Kosten der expansiven Geldpolitik.“ Das Risiko von Blasen habe zugenommen. Sie frühzeitig zu erkennen habe sie sich daher fest vorgenommen.
Den Auftrag der Notenbank, gleichzeitig für stabile Preise und einen hohen Beschäftigungsstand zu sorgen, verteidigt sie – auch wenn die Inflationsrate derzeit unter dem Inflationsziel von zwei Prozent liegt und die Arbeitslosenquote mit 6,7 Prozent im historischen Vergleich hoch ausfällt. Für Yellen ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt derzeit die entscheidende Größe. Sie will die Leitzinsen so lange nicht erhöhen, bis die Arbeitslosenquote auf mindestens 6,5 Prozent gefallen ist.
Im Tandem mit Stanley
Anders als ihr Vorvorgänger Alan Greenspan lasse Yellen andere Meinungen gelten und sei offen für Argumente, wenn sie der Wahrheitsfindung dienten, heißt es in Finanzkreisen. Diesen kollegialen Führungsstil wird sie benötigen. Denn als neuen Vize hat ihr US-Präsident Barack Obama den erfahrenen Notenbanker Stanley Fischer an die Seite gestellt. Der 70-Jährige gilt als unabhängiger, intellektueller Kopf, der ein großes Netzwerk an internationalen Kontakten mitbringt. Als Professor am Massachusetts Institute of Technology gehörten Ben Bernanke und Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), zu seinen Studenten.
Später war Fischer Chefökonom der Weltbank, die Nummer zwei beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und zuletzt Chef der Zentralbank von Israel. Während der Finanzkrise 2008 gelang es ihm, Israel vor den schlimmsten Auswirkungen der Krise zu bewahren, indem er frühzeitig den Leitzins senkte, aber aus der lockeren Geldpolitik auch schnell wieder ausstieg.
Geldpolitisch liegen Fischer und Yellen auf einer Linie. Zwar hatte Fischer die expansive Geldpolitik der Fed in den vergangenen Monaten als sehr risikoreich, aber eben doch als notwendig bezeichnet. „Ohne die außergewöhnlichen Maßnahmen der Fed wäre die Wirtschaft heute in einer viel schlechteren Lage“, so Fischer.
Fischer als Aufpasser an die Seite von Yellen zu setzen sei ein kluger Schachzug, meint Fredrick Cannon, Global Director of Research und Chief Equity Strategist beim New Yorker Finanzinstitut Keefe, Bruyette & Woods: „Er hat eine Erfahrung, die Yellen fehlt: Fischer weiß, wie die quantitative Lockerung einer Zentralbank wieder zurückgefahren werden kann.“
Runter vom Gas
Genau darauf wird es in nächster Zeit ankommen. Nach der Lehman-Pleite hat die Fed die globalen Finanzmärkte mit Liquidität überschwemmt, ihre Bilanzsumme hat sich durch den Ankauf von Anleihen auf über vier Billionen Dollar mehr als vervierfacht. Nun muss sie die geldpolitische Schieflage korrigieren. Denn die US-Konjunktur hat den Krisenmodus überwunden. Im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 4,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Ein großer Teil der Ungleichgewichte, die in den vergangenen Jahren auf der Wirtschaft lasteten, ist abgebaut. Die privaten Haushalte haben ihre Schulden abgeschüttelt, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegen sie nur noch bei rund 80 Prozent, so niedrig wie zuletzt im Jahr 2002.
Die Überkapazitäten am Immobilienmarkt sind verschwunden, die Häuserpreise steigen mit Raten von rund 13 Prozent. Zudem gelang es der Regierung, durch einen Mix aus Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen und konjunkturbedingten Mehreinnahmen das Defizit im Bundeshaushalt in den vergangenen vier Jahren um rund sechs Prozentpunkte zu senken. In diesem Haushaltsjahr könnte das Defizit nach Schätzung der Ökonomen der Commerzbank auf drei Prozent vom BIP sinken.
Die Bürger konsumieren und die Unternehmen investieren wieder. „Ich bin bei diesem Aufschwung weniger skeptisch als früher“, sagt Martin Feldstein, Professor an der Harvard-Universität. Auch der IWF zeigt sich zuversichtlich. Er hat seine Wachstumsprognose für die USA auf 2,8 Prozent (2014) und 3,0 Prozent (2015) heraufgesetzt.
Fragwürdige Strategie
Angesichts der besseren Konjunktur hat die Fed begonnen, die Liquiditätszufuhr zu drosseln. Statt monatlich für 85 Milliarden Dollar Staatsanleihen- und Hypothekenpapiere zu kaufen, sind es jetzt nur noch 75 Milliarden Dollar. Ethan Harris, US-Chefökonom der Bank of America Merrill Lynch, geht davon aus, dass die Fed die Käufe in den nächsten Monaten weiter zurückfährt. „Die Fed dürfte bei jeder Sitzung die Käufe um weitere zehn Milliarden Dollar drosseln, sofern sich an der Entwicklung fundamentaler Daten wie dem Arbeitsmarkt nichts ändert“, sagt Harris. Spätestens Ende des Jahres werde sie das Kaufprogramm beenden.
Ein echter Kurswechsel in der Geldpolitik ist das aber nicht. Denn die Notenbanker wollen den Leitzins für längere Zeit auf dem aktuellen Niveau von 0 bis 0,25 Prozent belassen – auch wenn die Arbeitslosenquote unter die Marke von 6,5 Prozent sinkt (siehe Kasten). Ursprünglich hatten die Währungshüter signalisiert, höhere Leitzinsen zu erwägen, sobald die Quote unter diese Marke rutscht.
Hohe Zinsen in Amerika würden Europa und den Euro schwächen
Mit ihrem Niedrigzinsversprechen signalisieren sie den Anlegern, dass es sich nicht lohnt, auf steigende Zinsen für kurzlaufende Papiere zu setzen. Das soll Investoren zum Kauf von langlaufenden Staatsanleihen veranlassen, um deren Kurse und Renditen zu stabilisieren, wenn sich die Fed aus dem Markt zurückzieht. Doch ob die Strategie aufgeht, steht in den Sternen.
Sollte die US-Konjunktur rascher Fahrt aufnehmen als erwartet – was angesichts der geldpolitischen Stimuli der vergangenen Jahre durchaus möglich ist –, muss Yellen schnell handeln. „Legt die US-Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 3,5 Prozent zu, muss Frau Yellen die Leitzinsen erhöhen und schneller aus dem Anleihenkaufprogramm aussteigen“, sagt Harris. Das hätte weitreichende Folgen für die gesamte Weltwirtschaft.
Folgen für Europa
Höhere Zinsen in Amerika zögen nicht nur verstärkt Kapital aus den Schwellenländern ab und beschleunigten so die Talfahrt an den Finanzmärkten dort. Sie böten auch Anlegern aus der Euro-Zone eine rentable Alternative. In den vergangenen Monaten sind die Renditen für Anleihen aus den Peripherieländern im Euro-Raum deutlich gesunken. Irische Bonds mit einer Laufzeit von zehn Jahren rentieren derzeit nur noch mit rund 3,3 Prozent, gerade einmal 30 Basispunkte mehr als US-Staatsanleihen. Italienische und spanische Anleihen bieten Renditen von lediglich rund 3,8 Prozent.
Klettern die Renditen für US-Anleihen im Zuge einer strafferen Geldpolitik der Fed in Richtung 3,5 Prozent, dürfte ein Exodus von Anlegern aus der Euro-Zone einsetzen und die Renditen hierzulande nach oben treiben. Das gilt vor allem für Bundesanleihen, deren Verzinsung mit knapp 1,8 Prozent nicht gerade üppig ausfällt. Die Erfahrung zeigt, dass sich Bundesanleihen den Vorgaben aus Amerika kaum entziehen können (siehe Grafik Seite 38).
Der EZB und den europäischen Regierungschefs, die die Euro-Krise überwunden wähnen, käme das denkbar ungelegen. Denn anders als in Amerika wäre ein Zinsanstieg auf dem alten Kontinent nicht durch höhere Wachstumsraten der Wirtschaft gedeckt. Beispiel Spanien: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet für das Mittelmeerland in diesem Jahr mit einem nominalen Wirtschaftswachstum von gerade einmal 1,0 Prozent.
Kletterten die Zinsen für spanische Staatsanleihen von derzeit knapp 3,8 Prozent auf die Durchschnittsrendite der Altanleihen von 4,3 Prozent, ergäbe sich ein Zins-Wachstums-Gefälle von 3,3 Prozentpunkten. Angesichts der Schuldenlast des Staates von rund 99 Prozent des BIPs würde die Schuldenquote trotz des erwarteten Überschusses im Primärhaushalt der Regierung (ohne Zinsausgaben) von 0,4 Prozent auf knapp 102 Prozent steigen.
Wächst der Schuldenberg der Krisenländer munter weiter, sind neue Finanzierungsengpässe kaum noch zu vermeiden. Daher dürfte sich die EZB mit allen Mitteln gegen einen aus Amerika importierten Zinsanstieg stemmen. Analysten gehen davon aus, dass die Euro-Hüter die geldpolitischen Zügel ohnehin wegen der rückläufigen Inflation demnächst weiter lockern. „Die EZB wird den Leitzins im März von 0,25 auf 0,1 Prozent senken und den Satz für Einlagen von Banken bei der Notenbank auf minus 0,1 Prozent reduzieren“, prognostiziert Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank.
Schwappt der Aufwärtstrend bei den Zinsen aus Amerika nach Europa herüber, werde die EZB nicht davor zurückschrecken, die Notenpresse anzuwerfen. „Die EZB könnte in diesem Fall die Staatsanleihen aller Euro-Länder in großem Stil kaufen, um die Zinsen nach unten zu drücken, zumal die Vertreter der Krisenländer ohnehin dafür sind“, sagt Krämer.
Damit könnte ausgerechnet die Straffung der Geldpolitik in Amerika hierzulande die Notenpresse in Gang setzen. Die beiden Kontinente drifteten geldpolitisch weit auseinander, der Euro ginge gegenüber dem Dollar auf Talfahrt. Bis Ende dieses Jahres werde sich die Gemeinschaftswährung auf 1,28 Dollar verbilligen, erwartet Krämer. 2015 werde sich der Abwärtstrend fortsetzen. Ein Urlaub im Land von Janet Yellen wird dann für Deutsche wieder spürbar teurer werden.
Biografische Daten der Fed-Chefin
Janet L. Yellen
Janet Yellen wurde am 13. August 1946 (Alter 71) im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren.
Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der Brown University (US-Staat Rhode Island, 1967); Doktor in Wirtschaftswissenschaften von der Yale University (US-Staat Connecticut, 1971)
Seit dem 1. Februar 2014 ist Yellen in der Nachfolge von Ben Bernanke Präsidentin des Federal Reserve Board (FED); von 2010 bis 2014 war sie Vizepräsidentin des FED; von 2004 bis 2010 Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco; von 1997 bis 1999 Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses (Council of Economic Advisers); von 1994 bis 1997 Mitglied des Federal Reserve Board of Governors; von 1980 bis 1994 Lehrkraft an der University of California, Berkeley; von 1978 bis 1980 Dozentin an der London School of Economics and Political Science; von 1977 bis 1978 Ökonomin bei der Federal Reserve; von 1971 bis 1976 Assistenzprofessorin an der Harvard University.
Verheiratet mit George A. Akerlof, Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der kalifornischen Berkeley-Universität; ihr Sohn, Robert Akerlof, ist Assistenzprofessor an der University of Warwick.