USA Der Kampf um Amerikas Schulden spitzt sich zu

Der Kampf um Amerikas Schulden spitzt sich zu. Verlieren die USA ihren Status als sicherer Hafen? Quelle: AP

Den USA droht ohne eine baldige Anhebung des Schuldendeckels der Zahlungsausfall. Bisher konnten sich Demokraten und Republikaner immer wieder in letzter Minute einigen. Doch die zunehmende Polarisierung in Politik und Gesellschaft macht einen Konsens zunehmend schwierig. Verlieren die USA ihren Status als sicherer Hafen?

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Die Uhr in Washington tickt: Spätestens bis Mitte Januar muss der Kongress eine Lösung für das amerikanische Schuldenproblem finden. Nachdem ein Zahlungsausfall im Oktober kurzfristig vermieden werden konnte, werden die Schulden der US-Bundesregierung Mitte Dezember die gesetzlich zulässige Obergrenze erreichen. Bis dahin müssen sich die Abgeordneten und Senatoren beider parteipolitischen Lager zusammenraufen und die Obergrenze erneut anheben. Erst dann können die USA neue Ausgaben durch Kredite finanzieren. Den Stand der Schuldenuhr nahe des New Yorker Broadways wird dies auf bislang unerreichte Rekordhöhen katapultieren.

Konservativen läuft bei dem Gedanken an neue Schulden schon jetzt ein Schauer über den Rücken. Seit Wochen streitet der Kongress erbittert über die Ausgabenpläne Bidens. Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im Senat, sprach zuletzt davon, die „rücksichtslose, parteipolitische Ausgabenwut“ nicht weiter finanzieren zu wollen. Schließlich sind Staatsschulden, so die Linie der republikanischen Abgeordneten, eine Hypothek auf Kosten der kommenden Generationen. Sie würden die Regierung nur dazu verleiten, dauerhaft über ihre Verhältnisse zu wirtschaften. Die „demokratische Misswirtschaft“ mit Blick auf die Schulden will die Grand Old Party nun nicht weiter mittragen.

In der demokratischen Partei sieht man dies naturgemäß anders: Zwar sind auch dem moderaten Flügel Bidens Sozial- und Infrastrukturpakete zu teuer. Daher musste die Regierung auf Drängen der Moderaten ihr Sozial- und Klimapaket um die Hälfte auf nunmehr 1,75 Billionen Dollar zusammenstreichen. Eine Erhöhung der Schuldengrenze halten jedoch alle Strömungen in der Partei für unausweichlich. Linke und progressive Demokraten stören sich an den wachsenden Schulden ohnehin kaum. Hier sieht man Schulden eher als ein notwendiges Mittel, um politische prioritäre Aufgaben zu finanzieren.

von Malte Fischer, Max Haerder, Bert Losse, Dieter Schnaas, Silke Wettach

Das Privileg der Leitwährung

Der erneute Streit wirft eine alte Frage auf: Wie gefährlich sind hohe Staatsschulden für Amerika wirklich?

Ein Blick auf die Eckdaten der US-Wirtschaft legt zunächst den Schluss nahe, dass es nur wenig Grund zu Sorge gibt. Denn trotz der im Zuge der Corona-Krise rasant steigenden Schuldenstände profitieren die USA weiterhin von niedrigen Zinsen. Dahinter steckt auch das Privileg der USA, mit dem Dollar die wichtigste Weltwährung zu besitzen. So werden 40 Prozent des Welthandels mit dem Greenback abgerechnet. Zudem gilt der US-Anleihenmarkt mit der Reservewährung Dollar als Rückgrat des Weltfinanzsystems. Zudem wächst die US-Wirtschaft trotz der Pandemie ordentlich. Baldige Risikoaufschläge der Gläubiger, so könnte man meinen, müssten die USA also nicht fürchten.

Rückendeckung fürs Schuldenmachen gibt es auch von der Wissenschaft: Galten Staatschulden lange Zeit als Gefahr für nachhaltige Haushaltsstabilität, so wird dies heute von renommierten Ökonomen in Zweifel gezogen. Liege der Nominalzins wie derzeit unter der Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), drücke dies die Schulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), sagt beispielsweise der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard. Ähnlich sieht es der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman. Nicht die Verschuldung stelle eine Gefahr dar, sondern dass die Regierung in Washington zu wenig Geld in die Hand nehme, um das Wachstum anzukurbeln.

Der in Amerika tobende Kulturkrieg hat auch die Finanzpolitik erfasst. Das vom US-Abgeordnetenhaus verabschiedete Sozial- und Klimapaket „Build Back Better Bill“ (BBBB) dürfte die Staatsschulden weiter in die Höhe treiben und die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern vergrößern. Quelle: AP

Schuldnerstaat USA - sicherer Hafen oder Zeitbombe?

Blickt man indes auf die Kreditwürdigkeit aus Gläubigerperspektive, regen sich Zweifel an dem Kalkül der Ökonomen. So ruht der Status der USA als sicherer Anlagehafen für das Geld der Welt nicht zuletzt auf dem Vertrauen in die Zahlungsbereitschaft der Regierung. Und diese hängt weniger von den Eckdaten der heimischen Wirtschaft oder arithmetischen Schuldenquoten ab, sondern von der Kompromissfähigkeit der Politik mit Blick auf die Anhebung des Schuldendeckels.

Historisch betrachtet war die Hebelung der Schuldengrenze seit ihrer Etablierung im Jahr 1939 zumeist ein formaler Akt. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lehren jedoch: Angesichts der ausgeprägten politischen Polarisierung ist ein Konsens für die Erhöhung des Schuldendeckels immer schwieriger zu erreichen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um rein fiskalpolitische Vorstellungen. Vielmehr ist die Verschuldungsfrage der USA zum Gegenstand des parteipolitisch ausgetragenen Kulturkampfes degeneriert.

Schon die Kontroverse im Jahr 2011 ließ aufhorchen. Damals blockierten die Republikaner zeitweise die Aufnahme neuer Anleihen – wodurch die Obama-Regierung in die Bredouille geriet. Streit gab es dabei nicht nur um Staatsausgaben und Schuldenstände, die nach der Finanzkrise in die Höhe geschossen waren.

In Anbetracht des geplanten Ausbaus der öffentlichen Gesundheitsvorsorge wurde die Debatte zugleich zum Schauplatz eines tieferen Culture War der US-Gesellschaft, an dessen Fronten sich wohlfahrstaatliche Vorstellungen und Eigenverantwortungsnarrative gegenüberstanden. Sieben Monate dauerte es damals, bis ein Kompromiss ausgehandelt war. Ebenso lange fürchteten die Finanzmärkte einen drohenden Zahlungsausfall der USA.

Blockieren die Republikaner nun erneut eine Erhöhung der Schuldenobergrenze, droht auf kurz oder lang genau dieses Schicksal. Bei genauem Hinsehen gleicht der US-Haushalt damit weniger einem sicheren Hafen als einer Zeitbombe.

Warnungen vor dem Zahlungsausfall

So überschlagen sich schon jetzt die Warnmeldungen: Im „Wall Street Journal“ mahnte Finanzministerin Janet Yellen, man stünde vor einer „historischen Finanzkrise“. Präsident Biden sprach von „katastrophalen Folgen“, wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben werde.

Die Rating-Agentur Moody’s geht davon aus, dass ein Zahlungsausfall bis zu sechs Millionen US-Jobs gefährden und die gesamte Wirtschaftsleistung um vier Prozent einbrechen lassen könnte. Laut Experten der Rating-Agentur Standard & Poor’s würde eine solche Situation dann „wesentlich schlimmer als der Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008“.

Verheerend wäre der Zahlungsausfall nicht nur für die Vereinigten Staaten. Er zöge wohl ein Erdbeben für die Weltwirtschaft nach sich - zu wichtig sind die USA für die globale Wirtschaft, zu bedeutend die US-Anleihen für die Bilanzen von Unternehmen, Versicherungen, Pensionsfonds und ausländische Regierungen, denen insgesamt rund 60 Prozent der Schuldscheine gehören.

Noch gibt es Anlass zur Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. So zeigt das zuletzt verabschiedete Infrastrukturpaket, dass Konsens entlang der Parteigräben weiterhin möglich ist. Wie lange man sich im Kongress darüber hinaus in Zukunft zusammenraufen kann, ist hingegen mehr als ungewiss: Sollte der Bedarf an Krediten erneut anziehen – etwa weil die nächste Pandemie ins Haus steht oder eine neue Krise die Wirtschaft erschüttert – kann sich das politische Tauziehen schon bald wiederholen. Zumal vieles darauf hindeutet, dass die Polarisierung in Politik und Gesellschaft künftig eher zu- als abnimmt. 

Polarisierung könnte Handlungsfähigkeit künftig lähmen  

Denn die Versöhnung des Landes, welches jüngst zum Schauplatz eines Sturms auf das Kapitol wurde, ist der Biden-Regierung bislang nicht gelungen. Das zeigen ihre seit Wochen sinkenden Zustimmungswerte. Auf Seiten der Republikaner setzt man derweil weiter auf Spaltung: Ihren Sieg bei der Gouverneurswahl im Bundesstaat Virginia Anfang November verdankte die Partei dem von ihr geführten bildungskulturellen Kampf um öffentliche Lehrpläne. Das US-Nachrichtenmagazin Politico deutet dies so, dass die Partei „ihre Truppen für den nächsten Kulturkrieg in Stellung bringt“. Die „New York Times“ berichtet, dass die Republikaner auf die Zugkraft polarisierender Themen bei den Wählern setzen.

Bange könnte Gläubigern daher mit Blick auf die in drei Jahren anstehenden Präsidentschaftswahlen werden. Gelingt Donald Trump die Nominierung durch die Republikaner, wird dies die anhaltenden Kulturkämpfe nochmals befeuern. Mit seinem bislang ungebrochenen Vorwurf des Wahlbetrugs, der betonten Ablehnung des Washingtoner Establishments und der unversöhnlichen Haltung in der Rassismusfrage verkörpert er die Spaltung wie kein Zweiter.

Kandidiert Trump gegen die derzeitige Vizepräsidentin Harris, die als erste schwarze Frau ins Weißen Haus einziehen will, wird sich die US-Gesellschaft weiter entzweien. Alte, schon heute unüberbrückbar erscheinende Grabenkämpfe um Migration, Abtreibungsgesetze oder die öffentliche Gesundheitsvorsorge, ebenso wie neue Konfliktlinien gegenüber Klimazielen oder Pandemie-Maßnahmen könnten notwendige Einigungen in der Haushalts- und Finanzpolitik vereiteln.

Sollte Trump erneut ins Weiße Haus einziehen, könnte auch die Außenpolitik zum Problem für die US-Schulden werden. Bereits seit langem will sich China aus der Abhängigkeit vom US-Kapitalmarkt lösen. Gegenüber einer erratischen Trump-Regierung könnte sich Peking künftig ebenfalls zu Unvernunft verleiten lassen und einen größeren Teil seiner US-Staatsanleihen abstoßen. Zwar besitzt das Reich der Mitte mittlerweile nur noch knapp vier Prozent der amerikanischen Schuldscheine. Eine kurzzeitige Panik an den Märkten wäre jedoch kaum zu vermeiden. 

Systemrelevanz der USA bekommt Risse 

Im Angesicht dieser Szenarien, stellt sich die Frage, wie lange die Finanzmärkte die politischen Unwägbarkeiten gegenüber den Vereinigten Staaten dulden. Mit jeder unversöhnlichen Debatte um das Schuldenlimit und einem drohendem Zahlungsausfall dürften die USA im Vertrauen der Gläubiger vielmehr Federn lassen, mit jedem politischen Gefecht die US-Anleihen an Glaubwürdigkeit einbüßen.

Schon heute zeichnen sich Risse in der vermeintlich ungebrochenen Systemrelevanz der USA ab. Standard & Poor’s verweigert den USA bereits seit 2011 das Top-Rating. Fitch wiederum warnte 2019 vor einem künftigen Downgrade. Und auch der Reserve-Status des Greenbacks bröckelt. Laut Daten des IWF ist der Anteil des Dollars an den weltweiten Zentralbankreserven im Jahr 2020 auf ein Allzeittief gefallen. Untersuchungen des Institute of International Finance wiederum zeigen, dass sich Anleger bereits von US-Anleihen ab- und alternativen Anlagen zuwenden. 

Noch spiegeln sich diese Entwicklungen nicht in den Risikoaufschlägen für US-Staatsanleihen wider. Bleibt der Schuldendeckel jedoch Zankapfel einer polarisierten Parteipolitik, kommt es zu Verzug bei der Zahlung von Verbindlichkeiten und setzt sich die Spaltung der US-Gesellschaft fort, werden auch die Risikoaufschläge langfristig steigen. Laut Berechnungen der US-Denkfabrik Brookings könnten höhere Zinsen die Staatskasse in den kommenden zehn Jahren bis zu 700 Milliarden Dollar kosten. Höhere Kreditkosten für Washington würden dann auch die Zinssätze für Hypotheken, Verbraucherkredite und Unternehmensschulden in die Höhe treiben. Es wäre Gift für die US-Wirtschaft.

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Die Frage nach der Tragfähigkeit der hohen Staatsschulden in den USA lässt sich daher nicht allein aus der ökonomischen Perspektive beantworten. Hier geht es um mehr als budgetmathematische Arithmetik. Entscheidend ist die Konsensfähigkeit der politischen Klasse - und die wird durch die anhaltenden und tiefgreifenden Kulturkämpfe zunehmend in Frage gestellt.

Mehr zum Thema: Finanzkrise, Coronakrise, Klimakrise: Alles kein Problem mehr, oder? Zumindest nicht finanziell, so scheint es. Die Politik will keinen Geldmangel mehr kennen. Immer neue Schulden sollen die Zukunft begrünen. Ein ökonomisches Vabanquespiel. Schulden sind egal? Von wegen!

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