Verbraucherpreise Inflation überschreitet erstmals seit 13 Jahren die 3-Prozent-Marke

Ein gewichtiger Grund für die gestiegene Inflation ist die Rückkehr der Mehrwertsteuer zu ihren alten Sätzen. Quelle: dpa

Die Teuerung in Deutschland zieht deutlich an – so stark wie seit 1993 nicht mehr. Volkswirte hatten das erwartet – und machen Verbrauchern Hoffnung: Der Preissprung sollte vorübergehend sein.

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Schlechte Nachrichten für Verbraucher: Die Inflationsrate in Deutschland ist im Juli auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gesprungen. Die Verbraucherpreise lagen um 3,8 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag anhand einer vorläufigen Berechnung mitteilte. Das Leben in Deutschland verteuerte sich somit kräftig – und die Teuerung dürfte in den nächsten Monaten weiter anziehen. Ökonomen halten das jedoch für ein vorübergehendes Phänomen.

Im Juli 2021 kletterte die jährliche Teuerungsrate in Europas größter Volkswirtschaft zum ersten Mal seit August 2008 (3,1 Prozent) wieder über die Drei-Prozent-Marke. In der damaligen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die Teuerung wiederholt über drei Prozent gelegen. Einen höheren Wert als 3,8 Prozent hatten die Wiesbadener Statistiker für Deutschland zuletzt im Dezember 1993 mit damals 4,3 Prozent ermittelt.

Nach dem leichten Rückgang der Inflation auf 2,3 Prozent im Mai des laufenden Jahres kehrte sich der Trend damit wieder um. Von Juni auf Juli 2021 erhöhten sich die Verbraucherpreise nach Berechnungen des Bundesamtes um 0,9 Prozent. Erhöhen sich Preise allgemein, spricht man von Inflation. Das Geld ist dann weniger wert, Verbraucher können für einen Euro weniger kaufen als zuvor.

Waren insgesamt verteuerten sich in Deutschland binnen Jahresfrist um 5,4 Prozent. Überdurchschnittlich zogen dabei die Energiepreise mit 11,6 Prozent an. Für Lebensmittel mussten Verbraucher im Juli des laufenden Jahres 4,3 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. In allen Kategorien zogen die Preise deutlich stärker an als in den vergangenen Monaten.

Volkswirte rechnen mit weiteren Preissprüngen in den kommenden Monaten. Ein gewichtiger Grund ist ein sogenannter Basiseffekt: Um den Konsum in der Corona-Krise anzukurbeln und der deutschen Wirtschaft einen Schub zu geben, hatte der Bund die Mehrwertsteuer befristet vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gesenkt. Der reguläre Steuersatz verringerte sich von 19 Prozent auf 16 Prozent, der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent auf 5 Prozent. Seit Januar 2021 gelten wieder die regulären Mehrwertsteuersätze, Waren und Dienstleistungen werden also tendenziell wieder teuer.

Die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung schlage nun voll zu, stellte Christoph Swonke von der DZ Bank fest: „Auch die von der Pandemie besonders stark betroffenen Dienstleistungsbranchen wie Gastronomie, Hotellerie oder auch Friseure verlangen höhere Preise, um Versäumtes nachzuholen.“

von Malte Fischer, Julian Heißler, Rüdiger Kiani-Kreß, Annina Reimann, Peter Steinkirchner

Zudem steigen seit Monaten die Energiepreise überdurchschnittlich. Vor einem Jahr waren die Rohölpreise mit Ausbruch der Corona-Krise wegen geringer Nachfrage auf dem Weltmarkt eingebrochen. Seither haben sie sich erholt. Aktuell liegt der Rohölpreis um rund 70 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Dazu kommt: In Deutschland sind seit Januar 25 Euro je Tonne Kohlendioxid (CO2) fällig, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht. Beides sorgt dafür, dass Tanken und Heizen teurer wird.

Volkswirte erklären den starken Preisauftrieb auch damit, dass Rohstoffe in der weltweit anziehenden Konjunktur derzeit sehr gefragt und daher knapp sind. Die Industrie klagt bereits in vielen Bereichen über Lieferengpässe und Verzögerungen bei Lieferzeiten.

„In den nächsten Monaten dürfte Deutschland den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten erleben“, prognostizierte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. „Die aktuelle Inflation ist eine Folge der Pandemie und ihrer weltweiten ökonomischen Verwerfungen. Eine über viele Monate aufgestaute Nachfrage trifft derzeit auf ein immer noch begrenztes globales Güterangebot.“

Auch die Commerzbank verweist auf Rohstoffknappheit als eine Ursache für den Preisauftrieb – neben dem „beträchtlichen“ Beitrag des Mehrwertsteuereffekts. „Für eine auch längerfristig spürbar über zwei Prozent liegende Inflationsrate müssten allerdings auch die Löhne anziehen, wofür es bisher noch keine Anzeichen gibt“, analysierte Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen.

In den nächsten Monaten halten Ökonomen allerdings Inflationsraten von an die fünf Prozent in Deutschland für möglich. „Man sollte sich vorläufig an die höheren Teuerungsraten gewöhnen. Der Ausflug über die Drei-Prozent-Marke dauert länger“, sagte Thomas Gitzel von der VP Bank. „Wer nun aber einen nachhaltigen Teuerungsschub daraus ableitet, liegt falsch.“

Die Europäische Zentralbank (EZB), für die stabile Preise im Euroraum der 19 Länder das zentrale Ziel sind, hat sich mit ihrer neuen Strategie bereits mehr Flexibilität beim Umgang mit vergleichsweise hohen Inflationsraten verschafft: Die Notenbank strebt nun für den Währungsraum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist dabei zumindest zeitweise bereit, eine moderate Über- oder Unterschreitung dieser Marke zu akzeptieren. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex HVPI, den die EZB für ihre Geldpolitik heranzieht, lag in Deutschland im Juli nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 3,1 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats und um 0,5 Prozent über dem Stand von Juni 2021.

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Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar mahnte: „Der drastische Preisanstieg ist absolut beunruhigend und sollte nicht vorschnell klein geredet und auf Sondereffekte zurückgeführt werden. Wir haben zehn Jahre ultralockere Geldpolitik hinter uns, insofern besteht aller Anlass zur Sorge, dass die Preise weiter steigen könnten.“

Mehr zum Thema: Die Inflationsrate zu messen ist methodisch kompliziert. Sie zu prognostizieren ist in stark vernetzten Volkswirtschaften erst recht schwierig. Jetzt soll künstliche Intelligenz den Ökonomen, Notenbanken und Betrieben präzisere Preisanalysen ermöglichen.

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