Verhaltensökonom Ernst Fehr "Folgt die Masse Profi-Investoren, kommt der Zusammenbruch"

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"Verhaltensökonomie ist keine Blaupause für Interventionen"

Vertreter der traditionellen Ökonomie werfen Verhaltensforschern häufig vor, zwar auf die Unzulänglichkeiten der traditionellen Modelle hinzuweisen, aber kein neues Denkgebäude zu liefern. Was halten Sie dem entgegen?

Den Einwand lasse ich so nicht gelten. Die Verhaltensforschung hat nie danach gestrebt, das gesamte Wissen der Ökonomie über den Haufen zu werfen. Aber sie kann es sinnvoll ergänzen und, wo nötig, korrigieren.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie die Finanzmarktforschung. Die tradierten Modelle können die enormen Preisschwankungen auf den Märkten kaum erklären. Ähnliches gilt für die Arbeitsmärkte. Mit den Modellen der Neoklassik können sie nicht gut erklären, warum die Löhne selbst dort rigide sind, wo es keine Gewerkschaften gibt. Wir müssen uns von der Fiktion verabschieden, dass wir in einer Welt leben, die sich dank markträumender Preise ständig im Gleichgewicht befindet. Außerdem ist es unrealistisch, anzunehmen, die Konsumenten hätten stabile Präferenzen, und der Markt sei lediglich dazu da, diese zu befriedigen. Die Verhaltensforschung zeigt, dass Präferenzen instabil und manipulierbar sind, etwa durch Werbung.

Sie arbeiten eng mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen zusammen...

...was für uns sehr fruchtbar ist. An unserem Institut forschen Ökonomen, Psychologen und Neurowissenschaftler gemeinsam. Gerade die Neurowissenschaften, die Gehirnaktivitäten messen, eröffnen uns neue Perspektiven, das Entscheidungsverhalten von Menschen besser zu verstehen. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung mögen derzeit noch abstrakt erscheinen. Doch das war bei anderen innovativen Forschungsfeldern wie der Spieltheorie am Anfang ebenso. Heute wissen wir, wie wichtig die Grundlagenforschung ist.

Ihre Erkenntnisse über irrationales Verhalten der Menschen könnte der Politik eine Steilvorlage für Interventionen in den Markt liefern. Macht Ihnen das keine Angst?

Die Verhaltensökonomie ist keine Blaupause für staatliche Interventionen. Manchmal kann es sinnvoll sein, irrationales Verhalten durch staatliche Eingriffe zu korrigieren, manchmal können das private Akteure selbst besser lösen. Irrationales Verhalten auf individueller Ebene impliziert nicht automatisch irrationales Verhalten von Märkten. Auf manchen Märkten gibt es selbstkorrigierende Prozesse, die verhindern, dass irrationales Verhalten auf individueller Ebene zu irrationalen Marktergebnissen führt.

Und die Politik?

Die Politik ist auch durch irrationales Verhalten geprägt. Daher werden die Resultate nicht automatisch besser, wenn Politiker in den Markt eingreifen. Die Einsicht in individuelle Entscheidungsschwächen der Menschen ist kein Plädoyer für mehr staatliche Regulierung. Es könnten sich ebenso gut ein privater Beratungsmarkt oder andere private Initiativen herausbilden, die den Menschen helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Es muss nicht mehr Staat sein.

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