Verkehrte (Finanz)welt

Wie die EZB die Währungsunion zur Haftungsgemeinschaft macht

Unter dem Deckmantel ihrer Geldpolitik sorgt die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Anleihekäufen für massive Ungleichgewichte in der Euro-Zone. Besonders riskant sind die für die deutschen Steuerzahler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Quelle: REUTERS

Manchmal liegen Theorie und Praxis weit auseinander. So bezeichnet quantitative Lockerung (QE: „quantitative easing“) eine geldpolitische Maßnahme durch eine Zentralbank, bei der mittels Ankauf von Anleihen (zumeist Staatsanleihen, mittlerweile aber auch Unternehmensanleihen) eine Senkung der Kreditzinsen und eine Vermehrung der Geldmenge angestrebt wird. Ziel ist es, die Kreditvergabe anzukurbeln und dadurch Investitionen für die Realwirtschaft und neue Arbeitsplätze zu generieren. So die Theorie.

Thomas Mayer, Mitglied der CFA Society Germany und Gründungsdirektor Flossbach von Storch Research Institute. Quelle: Presse

In der Praxis hat QE die Erwartungen nicht erfüllt. Dennoch ist insbesondere für die Europäische Zentralbank (EZB) der Ankauf von Staatsanleihen von immenser Bedeutung. Es geht dabei um nichts Geringeres als den Erhalt der europäischen Währungsunion (EWU).

Erfolg von QE nicht sichtbar

Seit der Finanzkrise von 2007/2008 haben sich beinahe alle großen Zentralbanken an QE versucht. In Europa erwirbt die EZB über die Zentralbanken der Mitgliedsländer seit März 2015 monatlich Anleihen im Gegenwert von 80 Milliarden Euro. Das Programm wurde unlängst bis Ende 2017 verlängert, wobei das monatliche Volumen für den Zeitraum von April bis Dezember auf 60 Milliarden Euro abgesenkt wurde.

Allerdings gelang es mit quantitativer Lockerung weder der EZB, noch den anderen großen Zentralbanken, die Inflation in Richtung ihrer Zielmarke von zwei Prozent zu bringen: Obwohl sich das aggregierte Volumen der Bilanz von US Federal Reserve, Europäischer Zentralbank, Bank von Japan, Bank von England und Schweizer Nationalbank zwischen dem ersten Quartal 2007 und dem dritten Quartal 2016 vervierfachte, fiel die Inflationsrate der OECD Länder von 2,3 Prozent auf 1,0 Prozent (siehe Grafik).

Bilanzsumme 5 großer Zentralbanken und Inflation in den OECD Ländern. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: US Federal Reserve, Europäische Zentralbank, Bank von Japan, Bank von England, Schweizer Nationalbank und OECD.

QE finanziert Ungleichgewichte im Euroraum

Doch vom Inflationsziel einmal abgesehen, erfüllt QE für den Euroraum eine entscheidende Rolle. Denn das Programm erlaubt der EZB, unter Umgehung des Europäischen Stabilitätsmechanismus hohe Zahlungsbilanzdefizite von Ländern mit wackligen Staatsfinanzen und Banken zu finanzieren und so die EWU vor dem Verfall zu bewahren.

Nehmen wir das Beispiel Italiens. Kauft die Banca d’Italia Anleihen des italienischen Staates im Rahmen des Public Sector Purchase Programs (PSPP) der EZB, weist sie den Banken Reservegeld zu. Gegen dieses Reservegeld schaffen die Banken Einlagen, die nun zum Kauf der Staatsanleihen verwendet werden. Folglich steigt sowohl die Menge an Reservegeld als auch an Giralgeld an.

Target2 Forderungen der Bundesbank (l. Sk.) und Verbindlichkeiten der Banca d’Italia (r. Sk.). (zum Vergrößern bitte anklicken). Quelle: EZB

Nehmen wir nun an, die Verkäufer der Staatsanleihen trauen den italienischen Banken nicht und überweisen die erhaltenen Einlagen nach Deutschland. Einlagen und Reservegeld der italienischen Banken gehen nun an die deutschen Banken über. Innerhalb des gleichen Landes wäre die Überweisung ein simpler Vorgang. Geht die Überweisung im Euroraum jedoch über Grenzen, wird die Verbuchung komplizierter. In Deutschland wird ein Kapitalzufluss in Form von Giralgeldeinlagen verbucht, in Italien ein Kapitalabfluss.

Über die Kolumne

Deutschland hat nun einen Zahlungsbilanzüberschuss, Italien ein Zahlungsbilanzdefizit. In Zeiten des Goldstandards wäre ein solches Ungleichgewicht dadurch ausgeglichen worden, dass Goldreserven von Italien nach Deutschland übertragen worden wären. Im Euroraum darf Italien aber wie in einer Kneipe einen Bierdeckel aufmachen. Dazu wird für Italien in dem dafür eigens eingerichteten Interbankzahlungssystem, genannt Target2, eine Verbindlichkeit gegenüber dem Eurosystem eingetragen. Im Gegenzug erhält Deutschland eine Forderung. Es ist ungefähr so, als ob Italien beim Kneipenwirt erstmal hat anschreiben lassen, während Deutschland schon mal künftige Bestellungen vorbezahlt hat. Dies ist in der untenstehenden Grafik gut zu sehen. Forderungen der Bundesbank und Verbindlichkeiten der Banca d’Italia steigen seit Beginn des Anleihekaufprogramms der EZB rasant an.

Bundesbank könnte mehr Druck ausüben

Solange die Aussicht gut ist, dass Italien seine Schulden in der Kneipe, also seine Verpflichtungen im Eurosystem, künftig wieder abtragen wird, kann der deutsche Steuerzahler, der entsprechende Forderungen an das Eurosystem hat, beruhigt sein. Jedoch sind in Italien eurokritische Parteien auf dem Vormarsch und es ist keineswegs sicher, dass das Land nicht aus der Europäischen Währungsunion austreten wird. Es ist denkbar, dass der italienische Staat dann eher den Bankrott der Banca d‘Italia hinnimmt, die als eigenständige Aktiengesellschaft mit erheblicher privater Beteiligung aufgestellt ist, als deren Verbindlichkeiten gegenüber dem Eurosystem zu honorieren.

Die italienischen Verpflichtungen innerhalb des europäischen Target2-Zahlungsverkehrssystems betrugen im Oktober rund 360 Milliarden Euro. Der Anteil Deutschlands am Kapital der EZB beträgt ohne Italien rund 31 Prozent. Bei einem Ausfall der italienischen Schulden an das Eurosystem käme also ein Verlustanteil von rund 112 Milliarden Euro auf den deutschen Steuerzahler zu.

Die Target2-Kredite der Bundesbank an das Eurosystem werden bisher mit dem Leitzins der EZB verzinst, also derzeit mit null. Wäre es angesichts des nicht nur mit Italien verbundenen Verlustrisikos nicht gerechtfertigt, wenn diese Kredite auskömmlich verzinst würden? Bei zwei Prozent, ähnlich dem Zins auf länger laufende italienische Staatsanleihen, läge das jährliche Zinseinkommen der Bundesbank auf die gesamten Target2-Kredite von 754 Milliarden Euro immerhin bei 15 Milliarden Euro.

Und sollten für die Target2-Kredite an die Defizitländer nicht auch Sicherheiten in Form von Gold, Devisenreserven und anderem Staatsbesitz verlangt werden? Auch für Bankkunden ist die Stellung von Sicherheiten bei der Aufnahme von Krediten schließlich Gang und Gäbe. Denkbar wäre, dass die Bundesbank hier größeren Druck ausübt, indem sie beispielsweise ihre Mitgliedschaft bei Target2 einfriert und den Interbankzahlungsverkehr separat in einem System abwickelt, das zum Ausgleich der Salden zwingt.

Diese Anleihen rentieren unter Null
Top 15: Daimler AGDie EZB startete den Ankauf von Firmenbonds in der vergangenen Woche und sammelte an einem einzigen Tag Titel im Volumen von 348 Millionen Euro ein. Daneben kaufen die Währungshüter Staatsanleihen im Volumen von inzwischen 80 Milliarden Euro monatlich. Dies drückt unter anderem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals unter die Marke von null Prozent. Bei kürzeren Laufzeiten gehören Negativzinsen bereits zum Alltag. Daimler verzinst seine bis zum 27. Juni 2018 ausgegebene Anleihe mit 2,125 Prozent. Die Rendite beträgt bei einem Gesamtvolumen der Anleihe von 935.617.500 Dollar minus 0,1049266 Prozent. Quelle: dpa
Top 14: Cooperatieve Rabobank UADas Gesamtvolumen europäischer Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel Investment Grade, die grundsätzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft werden können, liegt aktuell bei 2,8 Billionen Euro. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs. Auf platz 14 kommt die Rabobank mit einer Anleihe von 4,75 Prozent Normalzins. Der Titel der Niederländer läuft bis zum 15. Juni 2018 und rentiert bei derzeit -0,0853134 Prozent. Das Volumen: 5.084.241.250 Dollar Quelle: REUTERS
Top 13: Commerzbank AGAuch die Anleihen des zweitgrößten Geldhauses der Bundesrepublik rentieren mit -0,1815399 Prozent negativ. Der Titel läuft bis zum 2. Juni 2019, hat einen Zinskupon von 4,375 Prozent und kommt damit auf ein Volumen von 2.101.800.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 12: Caixa SADie Ausweitung der EZB-Anleihekäufe auf Schuldscheine europäischer Großkonzerne drückt deren Renditen immer tiefer. Inzwischen müssten Anleger bei 16 Prozent der Papiere dafür zahlen, den Firmen Geld leihen zu dürfen, teilte Tradeweb mit. Anfang Mai habe die Quote noch bei fünf Prozent gelegen. Anleihen der spanischen Bank CatalunyaCaixa kommen trotz eines Zinskupons von 4,25 Prozent auf eine Effektivverzinsung von -0,036232066 Prozent. Der Schein wird am 26. Januar 2017 fällig und hat ein Volumen von 2.507.600.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 11: BNP Paribas SADer Französische Bankenriese verzinst seinen bis zum 27. Juni 2017 laufenden Bond mit 2,875 Prozent. Doch die Rendite ist auf -0,1012968 Prozent gefallen. Das Volumen: 1.559.362.500 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 10: BMW Finance NVDer Langläufer der Bayern ist mit einem Normalzins von 3,25 Prozent ausgestattet und verfällt am 14. Januar 2019. Aktuelle Rendite: -0,0732932 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.584.700.000 Dollar. Quelle: AP
Top 9: Berlin Hyp AGDie Deutsche Pfandbriefbank legte einen Bond auf mit einem Normalzins von 4,5 Prozent. Das Papier läuft bis zum 3. Mai 2019 und rentiert bei minus 0,1940956 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.359.410.000 Dollar. Quelle: PR

Das neue Motto der EWU

Man könnte meinen, dass „verkehrte Finanzwelt“ zum Motto der EWU geworden ist. Entgegen der ursprünglich erklärten Absicht und entsprechender Rechtsverordnungen entwickelt die EZB die Währungsunion unter dem Deckmantel der Geldpolitik zur Haftungsgemeinschaft. Hilfestellung erhielt sie 2015 vom Europäischen Gerichtshof, der in seinem Urteil über das OMT (Outright Monetary Transactions)-Programm befand, dass Geldpolitik ist, was die EZB als Geldpolitik deklariert. Es scheint als stünden Euro-Finanzwelt und Europarecht gleichermaßen Kopf.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%