Barry Eichengreen ist Professor für Ökonomie an der University of California in Berkeley.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine bedeutet einen radikalen Wandel der wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Landschaft. Die Invasion hat das Engagement der Nato-Mitglieder für ihr Bündnis gestärkt und Deutschland dazu gebracht, seinen Widerwillen gegen höhere Verteidigungsausgaben aufzugeben. In wirtschaftlicher Hinsicht kündigt sich eine längere Periode hoher Energiepreise an, da sich Europa aus der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas lösen will – was das Gespenst einer Stagflation aufkommen lässt.
In finanzieller Hinsicht ist russischen Banken nun der Geschäftsverkehr mit dem Westen untersagt; sie wurden von Swift ausgeschlossen, dem Nachrichtenübermittlungssystem für internationale Zahlungen. Die Wertpapiere und Einlagen der Zentralbank sind eingefroren, so dass diese nicht in der Lage ist, den Verfall des Rubels zu stoppen. Sie kann somit auch nicht als Kreditgeber letzter Instanz für Finanzinstitute wie die Sberbank fungieren, die Verpflichtungen in Fremdwährungen haben. Diese Maßnahmen sind in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht verheerend, und genau das ist ja auch ihre Absicht.
Was aber sind die Folgen für das globale Finanzsystem? Werden andere Länder nun überdenken, wie und wo sie ihre ausländischen Vermögenswerte halten? Werden sie einen neuen Hafen in China (das Russland nicht sanktioniert hat) und in seiner Währung Renminbi suchen?
Die jüngsten Erfahrungen deuten nicht darauf hin. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Anteil des Dollar an den ausgewiesenen Devisenreserven weltweit um etwa zehn Prozentpunkte gesunken, da die Zentralbanken eine Diversifizierung weg vom Dollar vorgenommen haben. Die Umschichtung erfolgte jedoch nur zu einem Viertel in den Renminbi und zu drei Vierteln in „subsidiäre“ Reservewährungen wie den australischen Dollar, den kanadischen Dollar, die schwedische Krone und den Schweizer Franken.
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Diese Währungen sind leicht handelbar. Kombiniert man sie, ergibt sich ein Gesamtaggregat akzeptabler Größe. Sie bieten Diversifizierungsvorteile, da sie sich nicht im Gleichschritt mit dem Dollar bewegen. Freilich unterstützen alle ihre Emittenten, einschließlich der neutralen Schweiz, die Sanktionen gegen Russland. Was bedeutet, dass keine dieser Währungen einen Zufluchtsort für Regierungen bieten dürfte, die gegen internationale Normen verstoßen.
Warum aber hat es keine stärkere Umschichtung in den Renminbi gegeben? Ein Teil der Antwort besteht darin, dass auf Renminbi lautende Anleihen und Bankeinlagen für öffentliche Investoren aus dem Ausland nicht leicht zugänglich sind, zumindest nicht in den relevanten Mengen. Dim-Sum-Bonds (auf Renminbi lautende Anleihen, die offshore in Hongkong und anderswo gehandelt werden) und Offshore-Renminbi-Bankeinlagen sind zwar zugänglich, andere Instrumente aber kaum. Obwohl Hongkong und Shanghai ein Bond-Connect-System betreiben, über das ausländische Anleger in den Interbanken-Anleihemarkt Festlandchinas investieren können, stehen nur wenige Zentralbanken, wenn überhaupt, auf der Liste der zugelassenen Anleger, die an diesem System teilnehmen dürfen.
Darüber hinaus wird das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin die Devisenreserve-Manager der Zentralbanken an eine grundlegende Tatsache erinnern: Jede führende internationale Reservewährung in der Geschichte war die Währung einer politischen Demokratie oder Republik, in der es glaubwürdige institutionelle Grenzen für willkürliche Maßnahmen der Exekutive gibt. Unter Präsident Xi Jinping hat sich China offenkundig in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Die kollektive Herrschaft der früheren chinesischen Präsidenten Hu Jintao und Jiang Zemin ist einer Personenherrschaft gewichen, die der von Putin sehr ähnlich ist. Nur wenige ausländische Notenbanker dürften geneigt sein, ihre Vermögensportfolios von Xis Gnade abhängig zu machen.
Wie werden sich also die Sanktionen gegen Russland auf das internationale Währungssystem auswirken? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vor Augen halten, dass Länder aus zwei Gründen Reserven halten. Erstens um auf dem Währungsmarkt intervenieren zu können, wenn unerwünschte Schwankungen auftreten. Und zweitens als Kriegskasse, die sich im Falle eines geopolitischen Konflikts oder eines anderen Notfalls anzapfen lässt. In den 1930er-Jahren etwa haben die alliierten Mächte ihre Gold- und Devisenreserven für Devisenmarktinterventionen genutzt und nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für den Kauf von Kriegsmaterial der Vereinigten Staaten verwendet.
Die jüngsten Erfahrungen Russlands deuten aber darauf hin, dass eine Kriegskasse aus Gold- und Devisenreserven möglicherweise nicht so nützlich ist, wie bisher angenommen. Dass die neue Taliban-geführte Regierung Afghanistans keinen Zugriff auf ihre Dollarreserven in New York hat, weist in die gleiche Richtung.
Länder, die in Erwägung ziehen, sich mit den USA und der westlichen Allianz anzulegen, könnten künftig möglicherweise weniger Reserven halten wollen. Diese Anpassung würde auch bedeuten, dass sie womöglich weniger stark am Devisenmarkt intervenieren können und größere Wechselkursschwankungen in Kauf nehmen müssen.
Vernünftige Regierungen erhöhen die Widerstandsfähigkeit ihrer Finanzsysteme gegen Währungsrisiken. Sie verhindern, dass ihre Banken und Unternehmen übermäßig hohe Verbindlichkeiten in Fremdwährungen eingehen. Vor Beginn des Krieges hatte sich Russland in diese Richtung bewegt, aber nur unzureichend, vermutlich weil Putin die massiven Finanzsanktionen des Westens nicht vorausgesehen hat. Es ist unwahrscheinlich, dass andere Regierungen in Zukunft denselben Fehler begehen werden.
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