WEF in Davos Die fünf großen Baustellen der Weltwirtschaft

Selten seit dem Zweiten Weltkrieg war die Lage so unvorhersehbar. Die Wirtschaftswelt wird sich schon in diesem Jahr grundlegend verändern. Politiker, Manager und Ökonomen ringen um Antworten – vor allem auf diese fünf Probleme.

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Wirtschaft im Wandel: Tidjane Thiam, Theresa May, Joseph Stiglitz, Wolfgang Schäuble, Christine Lagarde. Quelle: AP

Wer Wolfgang Schäuble in diesen wilden Zeiten auf eben jene wilden Zeiten anspricht, der bekommt in aller Regel ein müdes Lächeln. Dann folgt eine Erklärung, dass er mit mehreren Jahrzehnten Politikerfahrung durchaus schon unruhigere Zeiten erlebt habe. Und so antwortet der deutsche Finanzminister und CDU-Politiker auch beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos auf die Frage, ob ihn US-Präsident Donald Trump oder der harte Brexit-Kurs der Briten nicht verunsicherten: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.“ Nun mag Schäubles Erfahrung im internationalen Betrieb einmalig sein. Seine Einschätzung zur Lage in der Welt ist es zumindest in diesen Davos-Tagen auch. Eine diffuse Mischung aus Unsicherheit und Selbstzweifeln hat die Mehrheit jener beschlichen, die sich früher einmal als Elite aus Wirtschaft und Politik empfanden.

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Auf den Podien, in den öffentlichen Äußerungen, da klingt vieles noch nach Deeskalation. Aber sobald die Mikrofone aus sind und sich die Davos-Besucher in die ruhigeren Ecken zurückziehen, wechselt der Ton. Dann ist davon die Rede, dass selten mehr Unsicherheit in der Welt war. Dass man seine Strategien ja getrost entsorgen könne, schließlich komme eh alles anderes Ja, dass der Westen, wie wir ihn in den vergangenen zwei Jahrzehnten kannten, wohl vorbei sei – und mit ihm der uneingeschränkte Glaube der Mehrheit von Wirtschafts- und Politikführern an die segensreichen Kräfte der Märkte, die heilbringenden Folgen von Globalisierung, das segensreiche Wirken der Digitalisierung. Diese Weltwirtschaft, das wird dann klar, steht vor fünf großen Baustellen – und weder Bauherr noch Bauplan sind bekannt.

1.    Regierungen bestimmen stärker das Geschehen

´Dass ausgerechnet eine britische Regierungschefin den Ober-Globalisierern in Davos einmal den Wert eines starken Staates erklären würde, galt lange als ausgeschlossen. Aber genau das macht Theresa May, als sie am Donnerstagmorgen den derzeit eher briten- weil brexitskeptischen Davosern ihre Austrittsstrategie aus Europa schmackhaft machen will. „Es braucht“, sagt May da „eine starke, aktive Regierung.“ Wer den internationalen Kräften freier Märkte alles überlasse, sorge nur dafür, dass ein Großteil der Menschen abgehängt werde. Großer Protest dagegen regte sich nicht. Zu verunsichert ist der durchschnittliche in Davos anwesende Manager oder Ökonom darüber, ob sein Tun der vergangenen Jahre nicht wohl doch zum einmaligen internationalen Aufstieg so genannter Populisten und den Zweifeln an der Globalisierung beigetragen hat.

Da kann Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) vor Ort noch so lästern, schon Mays Antrittsrede habe eher das Niveau eines „Gewerkschaftschefs in Österreich“ gehabt als das einer Nachfolgerin Margaret Thatchers: May setzt damit einen Ton, den so oder so ähnlich auch der ein oder andere Ökonom anspielt. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz etwa mahnt, die Staaten müssten das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen, sonst drohe sich der Populismus „wie eine Seuche“ in den Industrieländern auszubreiten. Zu groß seien die Verwerfungen, die zu wenig regulierte Märkte verursacht hätten. „Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt“, sagt Stiglitz.

2.    Die Deal-Ökonomie ersetzt den Multilateralismus

Donald Trump, der heute ins Weiße Haus zieht, hat den Ton der Woche gesetzt: Er werde aus den Handelsabkommen Nafta und TPP austeigen und sofort Zölle auf Importe verhängen. Sollte dagegen ein Land vor der Welthandelsorganisation WTO klagen, würden die USA die WTO verlassen und verstärkt bilaterale Abkommen mit anderen Ländern schließen. Einer ähnlichen Logik folgt Großbritannien unter Theresa May: „Wir haben nun die Freiheit, Handelsverträge mit unseren Freunden zu schließen. Unsere Partner im Commonwealth haben das zugesagt, große Nationen wie China oder die Golf-Staaten Interesse signalisiert“, sagte May am Donnerstag.

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Die Logik dahinter ist recht einfach: Statt auf einheitliche Normen zu setzen, die Berechenbarkeit und gleiche Regeln für möglichst alle Länder auf der Welt vorgeben, machen sich zwei der größten Volkswirtschaften der Welt – nebenbei: der größte und drittgrößte Handelspartner Deutschlands – auf den Weg in Richtung einer Dealwirtschaft: Kommst Du mir entgegen, handele ich mit Dir. „Reine Willkür“, nannte das ein europäischer Vertreter in Davos. Aber Willkür, die durchaus für den ein oder anderen auch in Europa attraktiv zu sein scheint.

Aus der italienischen Delegation heißt es: „Womöglich liegen auch Chancen darin, wenn die einzelnen Länder in Fragen des Handels wieder bilateral verhandeln – dann hat ein Land wie Deutschland nicht mehr die Chance, alle zu einer Politik zu zwingen, die vor allem ihnen nützt.“ Und die Chefin der spanischen Großbank Santander, Ana Botin, sagt: „Es wäre wichtig, dass wir uns wieder darauf besinnen, dass jedes Land etwas anderes kann und darin Europas Stärke liegt: Wenn alle nur Autos exportieren, gibt es niemanden mehr, der Autos kauft. Und das müssen wir für die gesamte Politik in Europa berücksichtigen.“

3.    Wächst die Ungleichheit – oder das Gefühl, sie wachse?

Für die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, ist die Sache klar: „Ich habe schon 2013 vor den Gefahren wachsender Ungleichheit gewarnt, damals hat mir keiner zugehört“, sagte sie am Mittwoch. Nun sei die Ungleichheit weiter gewachsen – und die Quittung bekämen Regierungen und Wirtschaftsführer weltweit. Auch der Chef der Credit Suisse, Tidjane Thiam, sagt: „Es ist uns nicht gelungen, alle an den Vorteilen der Globalisierung teilhaben zu lassen.“ Es gebe bis in die Mittelschicht Verlierer, um deren Anschluss an die Wohlstandsentwicklung man sich kümmern müsse.

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Nur, wie? Nicht wenige in Davos glauben mittlerweile: der Trend zur Ungleichheit ist systemimmanent. „In den vergangenen fünf Jahren haben die größten amerikanischen Konzerne nahezu sämtliche Gewinne an Aktionäre ausgeschüttet anstatt in neue Entwicklung zu investieren“, bemängelt Martin Sorrell, Chef des weltgrößten Werbenetzwerks WPP. „Ohne neuen Fortschritt wird es aber auch kein Wohlstandswachstum für alle geben. Da denken die großen Konzerne zu kurzfristig.“

Ausgerechnet der amerikanische Ökonom Larry Summers, der eher den Demokraten in den USA nahesteht, bestreitet allerdings einen Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Populismus: „Die Menschen wollen wieder eine stärkere Betonung des Nationalen.“ Ungleichheit störe sie kaum. Im Gegenteil: Die meisten Protestwähler in den Industriestaaten hätten eher das Gefühl, „den Armen wird zu viel geholfen.“

4.    Tech-Konzerne tragen mehr Verantwortung

Gespräche mit hochkarätigen Managern großer IT-Konzerne sind immer so eine Sache. Gegen die Kommunikationsarbeit von Facebook, Google und Co war die Öffentlichkeitsarbeit des Kreml selbst zu Sowjet-Zeiten recht transparent. Und so findet auch das Treffen mit einer hochrangigen Vertreterin eines sehr großen amerikanischen IT-Konzerns nur unter der Bedingung statt, dass man später aus diesem Gespräch nicht zitiere. Die Frau sagt dann dennoch nur sehr vorsichtiges, davon bleibt aber ein Satz in Erinnerung: „Die Diskussionen für uns Tech-Konzerne sind politischer geworden. Wir haben lange Zeit damit Probleme gehabt, aber wir müssen uns dem stellen.“

In den vergangenen Jahren war es ja meist so: Wenn alte Industrie und Silicon Valley aufeinander trafen, dann war den IT-Jungs aus Amerika die Bewunderung der Manager aus der so genannten Old Economy sicher. Was wollte man sich nicht alles von ihnen zum Vorbild nehmen! Irgendwann band man sich sogar keine Krawatten mehr um (was dieses Jahr in Davos wieder nahezu jeder macht) oder zog Sportschuhe an (was in Davos niemand mehr macht). Die IT-Menschen wurden uneingeschränkt bejubelt, sie galten als Zukunft. Gerne ließ man ihnen durchgehen, dass manches Geschäftsmodell wackelig wirkte und sie eigentlich oft auch eher wenig zu sagen hatten. Das hat sich geändert.

Fake-News, Job-Verlust-Ängste durch Künstliche Intelligenz und die gigantische Vermögensumverteilung von unten nach oben, die die Digitalisierung bisher mit sich brachte, haben den Scheinwerfer der Wirtschaftswelt auf die Verantwortung der Tech-Riesen gelenkt. Wenn nun jemand wie Googles Finanzchefin Ruth Porat auf die Frage nach der Verantwortung sagt: „Google hat von Beginn an Wert darauf gelegt, Technologie für alle zugänglich zu machen“, dann erntet sie ob der platten Eigenwerbung sofort Widerspruch. „Die Technologie-Branche muss jetzt beweisen, dass sie mit den erzielten Gewinnen auch Fortschritt für alle entwickeln kann“, antwortete Sorrell.

5.    China greift nach einer Führungsrolle

Ausgerechnet der chinesische Staatspräsident Xi Jinping wird in Davos zum Botschafter in der Disziplin des freien Handels. Xi nutzt die Gelegenheit und genießt sie sichtlich. Geradezu herzlich nähert er sich Davos-Gastgeber Klaus Schwab. Lachfältchen umspielen das Gesicht, als der mächtigste Kommunist der Welt vor 300 Kapitalisten tritt, um die Freiheit des unbegrenzten Geschäftemachens zu verteidigen.

Xi spricht fast eine Stunde, den Namen Trump erwähnt er kein einziges Mal. Und doch ist er allgegenwärtig. Wenn Xi sagt: "Wir sehen enormen wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt, aber auch Konflikte, Armut und Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch falsch, der wirtschaftlichen Globalisierung dafür die Schuld zu geben." Und dann folgt die Botschaft, die alle als virtuelle Postkarte an den neuen US-Präsidenten verstehen: "Protektionismus ist, als ob man sich in einen dunklen Raum einschließt. Man ist dann zwar geschützt vor Wind und Regen, aber auch isoliert von Luft und Licht." Chinesische Diplomatenprosa, aber ziemlich unverblümt. Zudem verspricht Xi: besseren Marktzugang für westliche Unternehmen, fairen Umgang mit Investoren, das Globalisierungsblaue vom Himmel.

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Dieses Glaubensbekenntnis zur Kraft der Freiheit scheint angesichts seines autoritären Kurses im Innern und seiner eigenen "China first"-Politik gegenüber ausländischen Investoren durchaus fadenscheinig, doch das will in Davos keiner hören. Beseelt hängen die Teilnehmer an seinen Lippen, applaudieren, schwärmen bis in den Abend von dieser großartigen Rede. Ein bisschen Hoffnung, irgendwo.

"Durch die Wahl von Donald Trump hat sich die Evolution der Weltordnung beschleunigt", sagt Nouriel Roubini, Ökonom aus New York. "Es war klar, dass irgendwann auch der chinesische Präsident nach Davos fahren würde. Wäre Clinton gewählt worden, wäre er erst im kommenden Jahr oder auch später zum Weltwirtschaftsforum gereist."

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