Gabriel Felbermayr „Die Forderung nach mehr Autarkie ist gefährlich“

Die WTO sei in der schlimmsten Krise seit ihrer Gründung 1995, sagt Gabriel Felbermayr. Quelle: REUTERS

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, über das Siechtum der WTO, eine künftige Handelsordnung ohne Donald Trump – und die Irrwege des deutschen Wirtschaftsministers.

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WirtschaftsWoche: Herr Felbermayr, um der Weltwirtschaft einen neuen Schub zu geben, wäre ein Abbau des grassierenden Protektionismus nötig. Ist die dafür zuständige Welthandelsorganisation WTO dazu in der Lage?
Gabriel Felbermayr: Nein. Die WTO ist in der schlimmsten Krise seit ihrer Gründung 1995. Es ist fraglich, ob sie sich davon erholen kann.

Ende August geht der WTO auch noch der Chef verloren, Generaldirektor Azevedo tritt außerplanmäßig ab. Bietet der Führungswechsel die Chance auf einen Neuanfang - oder ist es mittlerweile egal, wer an der WTO-Spitze steht?
Klar, am Ende sind es die Mitgliedstaaten, die die WTO retten - oder scheitern lassen. Aber es ist nicht egal, wer die Organisation führt. Wir brauchen eine Person, die zwischen den entscheidenden Playern USA, China und EU vermitteln und moderieren kann, dabei aber genügend politische Unabhängigkeit und Autorität hat, den Reformprozess wieder in Gang zu bringen.

Gabriel Felbermayr ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Quelle: dpa

Was muss passieren?
Die WTO braucht ein neues Geschäftsmodell, eine neue Struktur und mehr Flexibilität. Nötig ist eine WTO der zwei Geschwindigkeiten: Das Reformtempo darf nicht vom Letzten in der Schlange vorgegeben werden, sondern einzelne Ländergruppen sollten bei der Liberalisierung vorangehen. Hilfreich wären auch eigene Initiativrechte – derzeit darf das WTO-Sekretariat ja noch nicht einmal Missstände in Mitgliedstaaten anprangern. Man könnte sich da am Modell der EU-Kommission orientieren. Allerdings ist das schwierig umzusetzen. Die Mitgliederstruktur ist extrem heterogen. Unter dem Dach der WTO treffen sich reiche und arme Länder, Demokratien und Autokratien, Staaten mit zentraler Wirtschaftslenkung und solche mit hoher wirtschaftlicher Freiheit. Wie will man deren Präferenzen unter einen Hut bekommen?

Sollte die EU als Second-Best-Lösung bilaterale Handelsabkommen forcieren – oder wäre dies ein weiterer Sargnagel für die WTO?
Tragischerweise ist beides richtig. Wir müssen angesichts der Schwäche der WTO auf bilaterale Abkommen setzen, um für Rechtssicherheit zu sorgen. Doch je mehr Handelsvolumen durch bilaterale Verträge geregelt wird, umso unwichtiger wird die WTO. Wir müssen also hoffen, dass durch ein Netzwerk bilateraler Abkommen neuer Rückenwind für ein übergeordnetes Regelwerk entsteht. Ein neuer Multilateralismus im Post-Trump-Zeitalter ist keine Utopie.

Viele Experten warnen, die Coronakrise könne den Trend zu Abschottung und De-Globalisierung verstärken. Ist diese Angst berechtigt?
Ja. Und das liegt nicht nur an den USA. Selbst in Europa wird immer intensiver über Begriffe wie „strategische Autonomie“ debattiert. Selbst der deutsche Wirtschaftsminister spricht mittlerweile von „technologischer Souveränität“, obwohl unser Wirtschaftsmodell seit Jahrzehnten auf internationale Arbeitsteilung setzt. Das heißt im Kern: Produktion und Konsum sollen sich stärker synchronisieren, die Unternehmen sollen bitte dort produzieren, wo die Nachfrage ist. Ich halte die Forderung nach mehr wirtschaftlicher Autarkie für gefährlich. Denn Deutschland lebt davon, dass es mit seiner starken Industrie für die Welt produziert.

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