Weltwirtschaft Die ökonomischen Folgen des Terrors

Wie hoch sind die Kosten des Terrors? Die ökonomischen Risiken sind schwer zu kalkulieren. Untersuchungen zeigen aber, dass wiederholte Anschläge auf längere Sicht Folgen für die Wirtschaft haben.

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Die ökonomischen Folgen des Terrors. Quelle: Marcel Stahn

Es ist „the same procedure as every year“: Zum Jahreswechsel haben die Ökonomen den Blick nach vorn gerichtet und ihre Konjunkturaussichten für das neue Jahr präsentiert. Auch wenn die Schätzwerte auf die Nachkommastelle genau angegeben werden, haftet ihnen eine hohe Unsicherheit an – und seit den Terroranschlägen von Paris und Istanbul sind sie noch unberechenbarer geworden. Das geopolitische Risiko für die Wirtschaft, schreiben die Volkswirte der Citigroup in ihrem aktuellen Jahresausblick, sei derzeit so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Umso erstaunlicher ist es, wie wenig sich die neue Gefährdungslage konkret in den Schätzwerten für Konsum, Investitionen und Wachstum niederschlägt. In ihrer Ratlosigkeit greifen Ökonomen gern auf die Vergangenheit zurück: Die 9/11-Anschläge in den USA hätten der Wirtschaft nicht nachhaltig geschadet, so der Tenor, sondern das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur zeitweilig um einen halben Prozentpunkt sinken lassen. Nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 sei die britische Wirtschaft im selben Quartal sogar um 0,8 Prozent gewachsen. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds kommt anhand der Analyse von Steuerdaten zu dem Schluss, dass sich Anschläge kaum auf die Steuereinnahmen eines Landes auswirken – mithin auch nicht auf Konsumenten und Unternehmen.

Das bedeuten die Anschläge in Paris für Deutschland

Terror beeinflusst Konsum- und Investitionsverhalten

Die ökonomischen Risiken des Terrorismus sind schwer zu kalkulieren, aber womöglich doch größer, als es BIP-Zahlen suggerieren. Vieles hängt davon ab, welche Erwartungen sich bei Haushalten, Unternehmen und Staat über die Zukunft herausbilden. Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft haben Erwartungen eine zentrale Steuerungswirkung darauf, wer wie viel in einer Volkswirtschaft konsumiert und investiert. Tim Krieger, Ökonom und Terrorismusforscher an der Universität Freiburg, glaubt daher, dass es vor allem auf die Frequenz von Anschlägen ankommt. „Werden wir in Europa häufiger attackiert, werden die Leute beim Konsum zurückhaltender, und Unternehmen dürften Investitionen verschieben“, so Krieger.

Es gibt dafür historische Beispiele: Im Baskenland brach die Wirtschaftsleistung in den Achtziger- und Neunzigerjahren um zehn Prozentpunkte pro Dekade ein – eine Reaktion auf die andauernden Anschläge der Separatistenorganisation Eta. Nordirland, das im gleichen Zeitraum unter Anschlägen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) litt, überlebte ökonomisch nur durch Transfers aus London. Die Regierung pumpte Subventionen in die Region, die um ein Dreifaches über der Förderung anderer Landesteile lagen. Dennoch gingen Zehntausende Jobs verloren.

Verschiebungen im Staatshaushalt

Neben der Frequenz ist die Größenordnung von Anschlägen ein Faktor, der ökonomisch unkalkulierbar bleibt: Paris und die 9/11-Anschläge waren schlimm genug. Doch es könnte noch härter kommen: Frankreichs Premierminister Manuel Valls warnte wenige Tage nach den Pariser Attentaten vor der Gefahr eines Chemiewaffenanschlags durch den „IS“. Chemische oder biologische Attentate haben das Potenzial, eine Volkswirtschaft massiv zu destabilisieren. Ökonomisch schwer wiegt darüber hinaus, dass nun öffentliche Gelder in die innere Sicherheit fließen, die anderswo fehlen: „Als Erstes trifft es die öffentlichen Investitionen – der einzige Posten im Bundeshaushalt, der noch halbwegs flexibel ist“, sagt Krieger. Statt in Bildung oder Forschung zu investieren, gebe die Regierung nun dreistellige Millionenbeträge für Tornado-Einsätze in Syrien aus. Wie dies auf Wirtschaftsleistung, Wettbewerbsfähigkeit und Verteilungsgerechtigkeit wirke, sei wenig erforscht. Krieger glaubt aber, dass hier die größten ökonomischen Kosten des Terrors versteckt liegen.

Zudem verursacht Terror immaterielle Kosten: Die Angst vor Anschlägen unterhöhlt unsere Lebenszufriedenheit und das „Bruttosozialglück“ einer Volkswirtschaft. Der Schweizer Ökonom und Verhaltensforscher Bruno Frey hat dies bereits 2009 in einer Studie analysiert. Er nahm Nordirland in den Jahren 1975 bis 1998 zum Ausgangspunkt und befragte Einwohner, wie viel sie zu zahlen bereit gewesen wären, um sich Frieden zu erkaufen. Die Antwort: 37 Prozent ihres Einkommens. Frey bezog auch Frankreich in seine Untersuchung mit ein: 2009 war ein Pariser bereit, acht Prozent seines Einkommens zu zahlen, um Terroranschläge zu verhindern.

Seit dem 13. November dürfte die Zahl deutlich höher sein.

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