Weltwirtschaft „Eine Renaissance des Freihandels ist möglich“

Hamburg: Ein Mann fährt mit einem Fahrrad über eine Brücke am Anleger Teufelsbrück, im Hintergrund sind die Containerbrücken des Container-Terminals Burchardkai zu sehen. Quelle: dpa

Ist die Welthandelsorganisation WTO noch zu retten? Der Handelsökonom Holger Görg sagt: Anstatt es allen recht machen zu wollen, sollte die WTO lieber Allianzen von Staaten fördern, die beim Freihandel vorangehen - notfalls ohne die anderen.

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Holger Görg, 51, ist Professor für Außenwirtschaft an der Universität Kiel und (zusammen mit seinem Kollegen Stefan Kooths) derzeit Interims-Präsident des Institut für Weltwirtschaft (IfW).

Professor Görg, weltweit ist der Protektionismus wieder auf dem Vormarsch. Wird sich dieser negative Trend 2022 fortsetzen?
Ich fürchte ja. Das liegt an vielen Ländern, und leider auch an Europa. Die EU-Kommission setzt in der Handelspolitik zunehmend auf Konfrontation statt auf Kooperation, denken Sie nur an die neue Sanktionsstrategie für potenzielle Handelskriege mit China oder Russland. Mittel- und langfristig hoffe ich trotzdem auf eine Renaissance des Freihandels.

Was macht Sie da so optimistisch? Die Welthandelsorganisation WTO gilt vielen mittlerweile als  nahezu handlungsunfähig.
Keine Frage: Die WTO hat massive Probleme und an Einfluss verloren. Die Doha-Runde ist mausetot, bei Streitschlichtungsmechanismus der WTO halten die USA auch unter Präsident Biden an ihrer Blockadehaltung fest. Als dann jüngst auch noch die WTO-Ministerkonferenz wegen Corona abgesagt wurde, dachte ich: Das ist ein weiterer Sargnagel für die WTO. Doch stattdessen sehen wir nun Licht am Ende des Tunnels. Dass Anfang Dezember völlig überraschend unter dem Dach der WTO eine Liberalisierung des Dienstleistungshandels beschlossen wurde, markiert eine positive Trendwende innerhalb der WTO.

Inwiefern? Es machen bei dem Deal doch nur 67 von 164 WTO-Staaten mit.
Ja, aber das Abkommen hat Symbolcharakter. Es zeigt: Offene Märkte sind kein Auslaufmodell. Die WTO hat damit bewiesen, dass handelspolitisch trotz aller geopolitischen Verwerfungen noch ein Fortschritt möglich ist. Es machen zwar in der Tat nur 67 Mitgliedstaaten mit, allerdings sind fast alle großen und wirtschaftsstarken Länder dabei. Auch die USA. Auch China. Einige Staaten haben zudem bereits angekündigt, dieser „Koalition der Willigen“ später beitreten zu wollen.  Der Dienstleistungsbereich ist schließlich ein stark wachsendes Segment der Volkswirtschaft.

Was bringt das Abkommen für Deutschland?

Komplizierte Regelungen und Hürden für Dienstleistungsanbieter und Freiberufler – etwa Architekten, Juristen, IT-Experten, Steuerberater und Unternehmensberater – sollen erleichtert werden. Es wird damit für sie künftig einfacher, ihre Dienste in anderen Ländern anzubieten.

Wären solche Clublösungen von Staaten, die bei der Liberalisierung vorangehen, auch im Gütersektor möglich?

Ja, natürlich. Eine WTO der zwei Geschwindigkeiten ist eine realistische Option. Allerdings ist ein interner Club von Vorreitern immer nur eine Second-Best-Lösung. Am besten wäre es, wenn sich alle Staaten über Liberalisierungen einigen würden. Das ist ja auch das Ziel, das die WTO eigentlich verfolgt und von dem sie sich leider weit entfernt hat. Doch wenn die beste Lösung nicht funktioniert, muss man sich eben Alternativen überlegen.   

Wie muss das Design einer Clublösung aussehen, damit sie handelspolitisch funktioniert?

Niemand darf der Zugang verwehrt werden, wenn er die Teilnahmebedingungen erfüllt.  Jedes WTO-Mitglied muss also auch nachträglich eintreten können. Sonst mutiert eine Clublösung am Ende zu einem weiteren subtilen Instrument der Abschottung.

Fördern Clublösungen nicht auch die Zersplitterung im Handelssektor?

Klar: Clubs sind eine weitere handelspolitische Ebene und vergrößern den ohnehin unübersichtlichen Flickenteppich an Regeln  und Abkommen. Zudem kann es zu einer Fehlallokation von Ressourcen kommen – wenn nämlich Nicht-Mitglieder bestimmte Handelsaktivitäten und Produktion in den Clubraum verlagern. Aber wie gesagt: Eine Teilliberalisierung von Märkten ist besser als gar keine. Und wie wir aus der Forschung wissen, ist freier Handel  nun mal eine der besten Möglichkeiten, um weltweit Wohlstand zu schaffen.

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