Weltwirtschaft Großbritannien verharrt in Depression

Die Wirtschaft schrumpft weiter, die Staatsschulden explodieren – Großbritannien findet nicht aus der Rezession heraus.

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Der britische Premierminister Quelle: REUTERS

Das Amt des britischen Finanzministers ist in diesen Zeiten nicht vergnügungsteuerpflichtig. Alle fünf Sekunden steigt die öffentliche Verschuldung in Großbritannien um rund 36.000 Euro – ein Betrag höher als das durchschnittliche Jahreseinkommen britischer Arbeitnehmer. Die Ratingagentur Fitch warnt, von den vier EU-Ländern mit der Ratingbestnote AAA sei das Risiko einer Herabstufung für Großbritannien am größten. Die Ratingagentur Standard & Poor’s hatte bereits im Mai den Ausblick für die Bonitätsnote von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt.

Grund: Nie zuvor hat das Vereinigte Königreich in Friedenszeiten seine Schulden derart dramatisch in die Höhe gefahren wie derzeit. Unter den G20-Staaten haben nur die USA ein noch größeres Haushaltsdefizit. Die Rettungspakete für die britischen Banken und schrumpfende Steuereinnahmen haben tiefe Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen. Alles in allem wandte die Regierung rund eine Billion Pfund für die Stabilisierung des Finanzsystems auf. Die Wurzeln des Problems stammen allerdings aus der Zeit vor der Krise: Die Labour-Regierung pumpte über Jahre hinweg Milliardenbeträge in den öffentlichen Sektor, vor allem ins staatliche Gesundheitswesen NHS. Von Jahr zu Jahr wuchs dadurch das Loch in den Haushalten.

Belebung der Wirtschaft bleibt aus

Trotz aller massiven Staatsinterventionen ist Großbritannien – als einzige große Industrienation – weiterhin im Würgegriff der Rezession. Die Arbeitslosenrate verharrt bei 7,8 Prozent, knapp ein Fünftel aller Jugendlichen sind mittlerweile ohne Job. Früher hatte Premierminister Gordon Brown stets behauptet, sein Land sei wegen seines flexiblen Arbeitsmarkts und des stark auf Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaftsmodells besser als andere Länder gegen einen Abschwung gewappnet. Doch das Gegenteil ist der Fall: Während die Wirtschaft in den USA und Deutschland wieder wächst, reißt die Abhängigkeit vom Finanzsektor die britische Realwirtschaft tiefer in den Abgrund als anderswo. Im dritten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt überraschend um 0,4 Prozent geschrumpft. Damit befindet sich Großbritannien nach sechs Quartalen sinkenden Wachstums in der längsten Rezession seit 50 Jahren.

Großbritanniens Wirtschaft lahmt

Auch die Geldpolitik scheint fast machtlos zu sein. Gerade erst hat die Bank of England (BoE) weitere Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur angekündigt und die Liquiditätszufuhr für die Banken um 25 Milliarden auf 200 Milliarden Pfund ausgeweitet. Im Rahmen des „Quantitative Easing“, bei dem die Notenbank durch ein Aufkaufprogramm für Wertpapiere de facto die Notenpresse anwirft – hat die BoE nun bereits 175 Milliarden Pfund in die Wirtschaft gepumpt. Zwar sieht BoE-Chef Mervyn King erste Anzeichen für eine schwache Erholung im vierten Quartal. 2010 könne die Wirtschaft seiner Meinung nach gar um 2,1 Prozent wachsen (die EU-Kommission sagt nur 0,9 Prozent voraus). Doch insgesamt stehe Großbritannien vor einem „langen harten Weg“. Die Wirtschaftsleistung werde „noch lange unter dem Vorkrisenniveau bleiben“.

Kein Geld für Konjunkturpakete

Zumal die Mittel für weitere Konjunkturprogramme ausgeschöpft sind. Beobachter gehen davon aus, dass Großbritannien 2010 ein striktes Konsolidierungsprogramm starten muss, egal, wer nach den Wahlen im Sommer die Regierung bildet. Drastische Ausgabenkürzungen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gelten als sicher. Das könnte konjunkturelle Rückschläge bewirken. Zudem gerät im Sog der Haushalts- und Wirtschaftskrise die britische Währung unter Druck. Das Pfund hat seit Beginn der Krise gegenüber den meisten anderen Währungen rund ein Viertel seines Wertes eingebüßt – die größte Abwertung seit 1931.

Von Mervyn King stammt der Begriff der „nice decade“ – nice steht hier für „non-inflationary-constant-expansion“, für eine Zeit, in der die Wirtschaft ohne Inflation kontinuierlich wuchs. Im Rückblick muss diese Epoche den Briten paradiesisch erscheinen. Wiederkehren wird sie vorerst nicht mehr, außer vielleicht für eine Branche: Während die Realwirtschaft am Boden liegt, boomen die Geschäfte der Investmentbanken in der City, die die Krise überlebt haben, wieder kräftig.

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