Weltwirtschaft Warum es auch 2023 nicht besser wird

Erholt sich die Weltwirtschaft und kehrt 2023 endgültig auf den soliden Wachstumspfad zurück? Nicht unbedingt, meint Ökonom Stephen Roach. Quelle: imago images

Die Hoffnung auf eine weiche Landung der Weltwirtschaft ist Wunschdenken, viele Prognosen für 2023 sind zu optimistisch. Dies liegt vor allem daran, dass der Welt die Konjunkturlokomotive China verloren geht, schreibt US-Ökonom Stephen Roach in seinem Gastbeitrag.

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In der Konjunkturprognostik hat der Zyklus der Abwärtskorrekturen begonnen ­ und ihr Umfang ist groß. Der Internationale Währungsfonds etwa erwartet für 2022 nur noch ein weltwirtschaftliches Wachstum von 3,6 Prozent, das sind 1,3 Prozentpunkte weniger als im vergangenen Herbst. Dies ist im Rahmen der halbjährigen Konjunkturanalysen des IWF die drittgrößte Abwärtsrevision der vergangenen 15 Jahre.  

Doch glauben weder der IWF noch die meisten anderen Prognostiker, dass die aktuelle globale Wachstumsschwäche die Welt in eine echte Rezession stürzen wird. Der jüngste „World Economic Outlook“ des IWF sagt vielmehr eine weiche Landung der 96 Billionen Dollar schweren Weltwirtschaft vorher. Demnach soll sich das weltweite Wachstum 2022/23 auf dem Wachstumspfad von 3,6 Prozent einpendeln; das liegt um einen Bruchteil über dem Durchschnittswert seit 1980 von 3,4 Prozent.

Leider aber könnte dies aus mehreren Gründen Wunschdenken sein.

Zunächst einmal waren die Prognostiker bei ihrer Extrapolation des „Zuckerhochs“ des Jahres 2021 in die Zukunft übertrieben optimistisch. Der Anstieg des weltweiten Wachstums um 6,1 Prozent im Jahr 2021 war laut den bis ins Jahr 1980 zurückgehenden IWF-Statistiken die bisher steilste Erholung überhaupt. Doch folgte diese auf den steilsten je verzeichneten Absturz: einen Einbruch auf minus 3,1 Prozent in 2020. Genau wie Anfang 2020 die Covid-Lockdowns den größten Teil der Weltwirtschaft praktisch zum Stillstand brachten, führten die späteren Öffnungsmaßnahmen in Verbindung mit aggressiven geld- und fiskalpolitischen Konjunkturimpulsen zur wirtschaftlichen Erholung.

Zur Person

Prognostiker und Anleger extrapolieren aktuelle Trends in die Zukunft; daher ist es wichtig, sich die außergewöhnliche Volatilität der Jahre 2020/21 vor Augen zu führen, um eine klare Vorstellung davon zu erhalten, welchen Trend es fortzuschreiben gilt. Das durchschnittliche weltweite BIP-Wachstum jener zwei Jahre lag bei gerade mal 1,5 Prozent und damit deutlich unter der offiziellen globalen Rezessionsschwelle, von der weithin angenommen wird, dass sie bei etwa 2,5 Prozent liegt.

Ein zweiter Grund, den optimistischen Prognosen zu misstrauen, ist die Schwäche Chinas. Chinas Wirtschaft wächst derzeit deutlich langsamer als mit dem Tempo von fast acht Prozent in den Jahren 2010 bis 2019. Die jüngste IWF-Prognose sieht das durchschnittliche chinesische Wachstum in 2022/23 bei 4,75 Prozent. Das ist kaum mehr als die Hälfte des Trends im Gefolge der globalen Finanzkrise, als ein starkes chinesisches Wachstum faktisch das Einzige war, das während des Zeitraums von 2012 bis 2016 einen Rückfall der Welt in die Rezession verhinderte. Wie damals ist eine globale Resilienz ohne eine dynamischere chinesische Volkswirtschaft höchst unwahrscheinlich.

Jetzt aber gilt: Angesichts des Dreiklangs an Erschütterungen, denen China derzeit ausgesetzt ist – die Covid-19-Lockdownwelle, der anhaltende Entschuldungsdruck insbesondere in Chinas instabilem Immobiliensektor und die aus der unklugen Partnerschaft mit Russland resultierenden kriegsbedingten Kollateralschäden – kann sich die Welt nicht länger auf China als Quelle der Resilienz stützen. Das gilt natürlich in beide Richtungen. Falls China sein Bekenntnis zu Russland vertieft, wird es an der Isolation seines „Komplementärs“ teilhaben. Da die chinesische Wirtschaft weiterhin stark auf die übrige Welt angewiesen bleibt, könnte sich dies als Präsident Xi Jinpings größte Herausforderung erweisen.

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Drittens geht der Abschwung des globalen Wachstumszyklus mit einem deutlichen Aufschwung bei den weltweiten Inflations- und Zinszyklen einher. Die Vertreter der These von der weichen Landung tun die Folgen hiervon verächtlich ab. Während die Inflation auf den höchsten Stand in 40 Jahren steigt, ist nun verantwortungsloses Gerede zu vernehmen, dass sie ihren Höchststand bereits erreicht habe – die überspannte Vorstellung, dass die Situation inzwischen so schlimm sei, dass es nur noch besser werden könne.

Dieses oberflächliche arithmetische Argument geht am Kern des Problems vorbei. Angesichts eines im März steil um 8,5 Prozent gestiegenen US-Verbraucherpreisindex besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieses wichtige Inflationsbarometer zum Jahresende deutlich niedriger liegen wird. Aber wie viel niedriger? Ausreichend niedrig, um die US Federal Reserve vor den Folgen ihres unverantwortlichsten geldpolitischen Vorgehens seit Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre zu retten?

Man sollte nicht darauf zählen. Während sich die Fed derzeit knallhart gibt, ist Reden billig. Bisher hat sie nur 25 Basispunkte – oder gerade mal 10 Prozent – der 250 Basispunkte an kumulativer Straffung abgeliefert, die die Finanzmärkte für die nächsten sechs Monate erwarten. Und selbst wenn die Fed die erwarteten Schritte unternimmt und die Federal Funds Rate bis November auf 2,5 Prozent anhebt, dürfte der nominale Leitzins deutlich unter der Inflationsrate liegen.

Das bedeutet, dass die reale (inflationsbereinigte) Federal Funds Rate im gesamten Jahresverlauf negativ bleiben dürfte. Damit wäre der reale Leitzins dann für einen Zeitraum von 38 Monaten negativ – eine deutlich stärkere Stimulierung der Konjunktur als in früheren Phasen stark akkommodierender Geldpolitik unter Alan Greenspan, Ben Bernanke und Janet Yellen. Die Realzinsen spielen für die Bewahrung der Preisstabilität und die Steuerung des Wirtschaftswachstums eine wichtige Rolle. Und das Fazit bei der Beurteilung des globalen Wirtschaftszyklus ist, dass der Anstieg der Realzinsen noch deutlich weiter gehen muss.

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All dies unterstreicht die sich innerhalb der Weltwirtschaft aufbauenden Risiken. Als ehemaliger Wall-Street-Prognostiker kann ich mich in die Denkweise der meisten Prognoseteams, einschließlich der hochtalentierten Fachleute des IWF, hineinversetzen, die glauben, alle denkbaren Risiken berücksichtigt zu haben. Die Finanzmärkte sind in diesem Fall der gleichen Meinung; sie sind überzeugt, dass eine inflationsanfällige Welt mit noch immer unglaublich akkommodierenden Notenbanken irgendwie in wunderbarer Weise sanft landet. Aber kann dieses rosige Szenario ohne China wirklich funktionieren? 

Träumen Sie weiter.

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