Willkommen in der Planwirtschaft! Die dramatischen Folgen von Negativzinsen

Negativzinsen werden die Europäer wohl noch länger begleiten Quelle: imago images

Mit Negativzinsen zerstört die Europäische Zentralbank die Grundlagen unseres Wohlstands, meint Thorsten Polleit. Er empfiehlt, die Monopolstellung der EZB zu beenden und einen freien Markt für Geld zuzulassen.

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Seit März 2016 ist der Leitzins in der Eurozone bei null Prozent, der Einlagenzins für Banken bei minus 0,4 Prozent. Und nun will die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen noch weiter in den Negativbereich absenken. Im September könnte es so weit sein. Indem die Euro-Zinsen negativ „gemacht“ werden, sollen die Inflation belebt und die Konjunktur gestützt werden, so die offizielle Erklärung. Doch im Kern geht es um etwas anderes: Finanziell überdehnte Staats- und Bankenschuldner sollen entlastet werden. Mit Negativzinsen sollen sie entschuldet, die Euro-Schuldenberge entwertet werden.

Dafür stützt sich der EZB-Rat auf die Empfehlungen, die einflussreiche Ökonomen ausgeheckt haben. Sie behaupten, der neue „gleichgewichtige Zins“ (oder auch „neutrale Zins“ oder noch passender: der „Urzins“) sei mittlerweile negativ geworden. Dafür führen sie viele Gründe an wie beispielsweise eine zu hohe Ersparnis und die demographische Überalterung. Die Zinstheorie ist in den Wirtschaftstheorien nun aber nach wie vor ein Zankapfel. Es gibt viele miteinander konkurrierende, sich zuweilen auch widersprechende Vorstellungen über das, was der Zins ist, und wie er sich erklärt.

Doch nur eine Theorie des Zinses kann wirklich überzeugen. Und das ist die Zeitpräferenztheorie des Zinses, die im Kern auf den Franzosen Anne Robert Jacques Turgot (1727–1781) zurückgeht und nachfolgend durch eine Reihe scharfer Denker handlungslogisch weiterentwickelt wurde. Zeitpräferenz bedeutet, dass der Handelnde die frühere Erfüllung seiner Bedürfnisse höher wertschätzt als eine spätere Erfüllung seiner Bedürfnisse; dass er beispielsweise einen Euro, über den er heute verfügt, höher wertschätzt als einen Euro, über den er erst in einem Jahr verfügen wird. Die Manifestation der Zeitpräferenz ist der Urzins, der gewissermaßen in jedem Menschen steckt. Zeitpräferenz und Urzins sind nicht wegzudenkende Kategorien des menschlichen Handelns. Sie sind immer und überall positiv (mehr dazu hier).

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Martin Gerth, Dieter Schnaas, Christof Schürmann, Cornelius Welp

Wirklich verstehen kann man das Zinsphänomen vermutlich erst, wenn man die Erkenntnistheorie zur Hilfe nimmt. Sie zeigt, dass es Erkenntnisse gibt, die man nicht widerspruchsfrei verneinen kann, die logisch wahr sind: Indem man sie verneint, setzt man nämlich ihre Gültigkeit schon voraus. Dazu zählen die logischen Denkgesetze wie zum Beispiel „Eine Aussage kann nicht wahr und falsch zugleich sein“. Zu den logisch nicht bestreitbaren Erkenntnissen zählen im Bereich des menschlichen Handelns Zeitpräferenz und Urzins. Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804), der Kritiker der reinen Vernunft, würde sie vermutlich als Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erfahrung bezeichnen.

Die Theorie, dass der „soziale Urzins“ der Volkswirtschaften negativ geworden sei, und die Zentralbank müsste deshalb auch den Marktzins negativ „machen“, ist daher eine falsche Theorie. Dass im Euroraum viele Marktzinsen bereits im Negativbereich angekommen sind, ist die Folge der EZB-Geldpolitik. Sie hat durch ihre Leitzinssenkungen und Schuldpapierkäufe viele Marktzinsen unter die Nulllinie gedrückt. Die negativen Marktrenditen sind also nicht auf natürlichem Weg zustande gekommen, sondern auf einem ganz und gar unnatürlichen Weg: Das EZB-Geldmonopol hat sie hervorgebracht. Ein Negativzins führt daher auch keine Gleichgewichtssituation herbei, sondern sie sorgt für folgenschwere Störungen.

Folgen des Negativzinses

Wenn die Zentralbank den Banken einen negativen Marktzins auferlegt (beispielsweise dadurch, dass sie sie durch einen negativen Einlagenzins zur Kasse bittet), werden die Geldhäuser über kurz oder lang diese Kostenbelastung auf ihre Kunden abwälzen (müssen). Die Bankguthaben werden dadurch entwertet, und der gutgläubige Bankkunde wird der Dumme sein. Belasten die Banken ein Kundenguthaben von 10.000 Euro mit einen Negativzins von, sagen wir, zwei Prozent pro Jahr, so sind nach zwölf Monaten nur noch 9.800 Euro übrig. Hinzu kommt natürlich noch der Kaufkraftverlust des Geldes durch die laufende Teuerung.

Nimmt man eine Inflation von beispielsweise zwei Prozent pro Jahr an, so wird unter dem Negativzins von zwei Prozent die Kaufkraft des Geldes nach zehn Jahren bereits um 33 Prozent, nach zwanzig Jahren sogar schon um 55 Prozent gefallen sein. Der Sparer wird, wenn er an seinen Guthaben festhält, im Zeitablauf quasi ausgeblutet; seine Altersvorsorge zerrinnt ihm zwischen den Fingern. Doch es gibt auch Gewinner: Die Negativzinspolitik verschiebt das Vermögen der Sparer in die Hände der EZB und der Staaten. Doch damit nicht genug. Die EZB kann ihre Negativzinspolitik auch so weit treiben, dass Konsum-, Hausbau- und Unternehmenskredite zu einem Negativzins angeboten werden.

Dazu gewährt die EZB den Euro-Banken beispielsweise Kredite für minus zwei Prozent pro Jahr: Die Banken leihen sich 100 Euro von der EZB und zahlen nach einem Jahr 98 Euro zurück. Die EZB wird aber Kredite zu Minuszinsen nur unter der Bedingung vergeben, dass die Banken das Geld verleihen. Denken wir das Beispiel zu Ende: Eine Bank beschafft sich 100 Euro für ein Jahr zu minus zwei Prozent pro Jahr bei der EZB. Sie verleiht das Geld an Konsumenten zu einem Zins von, sagen wir, minus einem Prozent (sie verleiht also 100 Euro und erhält nach einem Jahr 99 Euro zurück). Insgesamt gesehen macht die Bank einen Gewinn von einem Euro: Sie verdient durch die Kreditaufnahme bei der EZB zwei Euro, notgedrungen verliert sie im Kreditgeschäft einen Euro.

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