Im Juli 2012 senkte die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Einlagensatz auf Null Prozent. Knapp zwei Jahre später erreichte er mit minus 0,1 Prozent das erste Mal negatives Terrain. Seitdem müssen die Geschäftsbanken der Eurozone einen „Strafzins“ dafür zahlen, wenn sie überschüssige Liquidität bei ihrer Zentralbank parken. Drei Monate später, im September 2014, senkten die Währungshüter den Einlagensatz ein weiteres Mal auf minus 0,2 Prozent, im Dezember 2015 dann auf minus 0,3 Prozent und schließlich im März 2016 auf aktuell minus 0,4 Prozent.
Im März des vergangenen Jahres wurde auch der Hauptrefinanzierungssatz auf Null Prozent zurückgenommen. Die Geschäftsbanken des Euroraumes erhalten also nun die benötigte Zentralbankliquidität in den normalen Tendergeschäften, ohne dafür Zinsen bezahlen zu müssen. Spätestens seit dieser Zeit liegen die Geldmarktzinsen und ein beträchtlicher Teil der Kapitalmarktrenditen im Euroraum im negativen Bereich – eine für Schuldner und Investoren anfangs gleichermaßen irritierende Situation.
Die EZB hat sich zu dieser Politik entschlossen, um vermeintlichen Deflationsgefahren zu begegnen, einen weiteren Verfall der Inflationserwartungen zu verhindern und die Teuerung in der Eurozone wieder in einen Bereich von „unter, aber nahe zwei Prozent“ zu bringen. Willkommene Nebeneffekte einer solchen Politik waren die Stabilisierung der Konjunktur in der Eurozone, eine Schwächung des Euros gegenüber anderen Währungen sowie eine Unterstützung für die unter hoher Schuldenlast ächzenden Staaten des Euroraumes.
Die mit dieser Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik verbundenen Hoffnungen haben sich aber nur teilweise erfüllt. So hatte die Politik der EZB bislang nur sehr geringe realwirtschaftliche Effekte. Die Inflationserwartungen sind zwar angestiegen, der eigentliche Anstieg der Teuerung geht aber auf den Basiseffekt des Ölpreises zurück, während die Kernrate hingegen weitgehend konstant verläuft.
Die Nullzinspolitik und die negativen Einlagenzinsen haben aber zugleich für das Bankensystem negative Effekte. Negativzinsen können und sollen nicht unmittelbar an die Kunden weitergegeben werden, so dass die Zinsspanne der Banken unter Druck geraten ist. Hinzu kommt zunehmend auch ein psychologischer Effekt bei den Menschen. Der Zins ist der Preis des Geldes, und wenn dieser bei Null liegt oder negativ ist, zeigt das, dass Geld nichts wert ist, was langfristig die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und der EZB untergräbt.
Mittlerweile wird immer klarer, dass die eigentlich positive Wirkung der EZB-Politik über das Kaufprogramm für Anleihen kommt. Dies hat spürbare Effekte auf das Renditeniveau am Kapitalmarkt und auf die Rendite-Differenz von Staaten und Unternehmen gegenüber dem risikolosen Zins, die sogenannten Credit Spreads. Sinkende Renditen und die Einengung der Spreads führten natürlich auch zu positiven Bewertungseffekten in den Bankbilanzen, was für „Windfall-Profits“, also eher zufällige Gewinne sorgte und damit zur Stabilisierung des Bankensystem im Euroraum beigetragen hat.
Diese positive Wirkung auf das Bankensystem läuft nun aber langsam aus. Der aus der Mikroökonomik bekannte Grenznutzen nimmt ab, da weitere signifikante Spreadeinengungen ökonomisch widersinnig und nur unter hohem Aufwand (nochmals massive Ausweitung des Kaufprogramms) zu erreichen sind.
Der Ausstieg ist überfällig
Aus diesem Grund ist in den nächsten Jahren mit geringeren Erträgen bei Banken zu rechnen - mit teilweise ungünstigen Effekten auf das Eigenkapital. Die Erträge der Banken müssen nun aus dem operativen Kerngeschäft kommen. Somit wird in den kommenden Jahren die natürliche Ertragskraft der Banken auf den Prüfstand gestellt. Es wird sich zeigen, welche Bank ein sich selbst tragendes Geschäftsmodell hat und welche nicht. Ein Seitenblick nach Italien zeigt, in welche Richtung es gehen könnte. Dies wird die Diskussion über die Stabilität des Bankensektors wieder neu entfachen.
Sollten Renditen und Credit-Spreads schlagartig ansteigen, würden sich die bisherigen Bewertungsgewinne der Banken ins klare Gegenteil verkehren. Steigende Renditen in den USA könnten diese Entwicklung noch beschleunigen. Daher könnte es ratsam sein, das Volumen der Anleihekaufprogramme zunächst stabil zu belassen oder nur langsam und vorsichtig zurückzuführen. Würde die EZB ein aggressives „Tapering“ anstreben, würden die ungünstigen Bewertungseffekte zu Verlusten in den jährlichen Abschlüssen führen. Somit bleibt der EZB eigentlich nur die Möglichkeit, das Kaufprogramm sehr langsam zurückführen.
Andererseits hat sich die Konjunkturentwicklung in der Eurozone inzwischen wieder deutlich stabilisiert. Die weiterhin vorhandene Wachstumsschwäche ist nicht auf zyklische Faktoren zurückzuführen, sondern strukturell bedingt und kann somit weder mit Geld- noch mit Fiskalpolitik wirksam bekämpft werden. Die Teuerungsrate hat den negativen Bereich wieder verlassen und dürfte in den kommenden Monaten weiter ansteigen, so dass auch das Argument der Bekämpfung möglicher Deflationsgefahren an Relevanz verliert.
Es ist also für die EZB an der Zeit, ihre ultra-expansive Geldpolitik zurückzuführen. Sie muss darüber nachdenken, die Leitzinsen schon bald wieder anzuheben. Wenn der Einlagensatz den negativen Bereich verlässt und damit auch Anlagen am Geldmarkt wieder eine positive Verzinsung abwerfen, ist das - angesichts steigender Inflationsraten - sicherlich nicht nur für den Kleinsparer eine willkommene Entwicklung. Auch würde die von Politik, EZB und Regulator gewünschte Liquiditätshaltung der Geschäftsbanken damit nicht länger bestraft werden.
Der Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik ist also überfällig. Aber er wird nicht einfach. Jedoch nur mit einer raschen Normalisierung der Leitzinsen und einer langsamen Rückführung der Anleihekaufprogramme kann der Spagat gelingen.