Wirtschaft im Weitwinkel
Wirtschaftskrimi am Bosporus. Quelle: AP

Investoren fliehen vor dem türkischen Despoten

Wirtschaftskrimi am Bosporus! Währung, Börse und Wirtschaftswachstum sind auf massiver Talfahrt. Erdoğan & Co müssen einlenken und ihre Wirtschaftspolitik grundlegend ändern. Die Situation wird täglich bedrohlicher.

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Es hat einige Zeit gedauert, aber letztendlich hat die ökonomische Realität der Politik und den Entscheidungen von Präsidenten Erdoğan Grenzen aufgezeigt. Auslöser waren am Ende der zunehmende Einfluss der Politik auf die Entscheidungen der türkischen Notenbank und Vetternwirtschaft bei der Regierungsbildung. Das hat das Vertrauen der ausländischen Investoren in den weiteren wirtschaftspolitischen Kurs der Türkei spürbar getrübt und damit letztendlich auch zu der drastischen Abwertung der türkischen Lira geführt. Dabei ist die Türkei sehr auf das Vertrauen der ausländischen Geldgeber angewiesen. Schließlich hat das Land ein hohes Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren.

Viel spricht dafür, dass die Türkei in naher Zukunft Hilfe vom Internationale Währungsfonds (IWF) benötigt, um die eigene Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Zusätzlich hat diese Krise natürlich auch noch eine politische Dimension. Die Türkei liegt für Europa in einer zentralen Lage und ein mögliches Machtvakuum kann man sich in dieser Region zurzeit nicht leisten. Entsprechend ist es nicht unwahrscheinlich, dass man hier auf eine europäische Lösung hinarbeitet, auch wenn es zuletzt große Differenzen zwischen der Türkei und vielen europäischen Ländern, allen voran Deutschland gegeben hat.

Die Ansteckungsgefahr für andere Schwellenländer ist gering. Die strukturelle Verfassung ist bei den meisten Schwellenländern ausreichend stabil. Daher waren die Reaktionen an den Aktienmärkten wohl etwas überzogen. Jedoch wird die Zahl der bedeutenden Risiken insgesamt ständig größer, was die Attraktivität von Aktien langsam aber beständig untergräbt.

Dass die Türkische Lira sehr anfällig auf eine Eintrübung des Investorenvertrauens reagiert, liegt nicht zuletzt an der Situation der externen Bilanzen des Landes. Hier muss die Position der Türkei insgesamt als schwach bezeichnet werden. Erstes Argument hierfür ist das chronische Leistungsbilanzdefizit des Landes. Dieses resultiert vor allem aus der Handels- und der Einkommensbilanz, während die Dienstleistungsbilanz (Stichwort Tourismus) regelmäßig einen Überschuss ausweist. Das Minus betrug im letzten Jahr 5,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und wird 2018 auf über sechs Prozent des BIP geschätzt. Das ist ein hoher Wert – auch im Vergleich zu anderen Schwellenländern.

Weitere Kennziffern unterstreichen zusätzlich die schwache Position So führt das strukturelle Leistungsbilanzdefizit gemeinsam mit dem laufenden Schuldendienst zu einem hohen, regelmäßigen externen Finanzierungsbedarf der Türkei. Der IWF taxiert diesen Bedarf für 2018 und die kommenden Jahre auf knapp über 25 Prozent des BIP (also rund 230 Milliarden US-Dollar). Dieser Wert ist für ein Schwellenland vergleichsweise hoch. Gleichzeitig sind die Währungsreserven der Türkei zu niedrig. Diese belaufen sich inklusive Gold auf nur rund 100 Milliarden US-Dollar oder rund zehn Prozent des für 2018 geschätzten BIP. Damit bleibt nur ein bescheidenes Polster im Hinblick auf die Bedienung externer Verbindlichkeiten und für eine mögliche Intervention zugunsten der Lira.

Die Auslandsverschuldung der Türkei ist im Vergleich zu anderen Schwellenländern grundsätzlich nicht zu hoch. Ende 2017 lag diese nur bei rund 54 Prozent des BIP und damit niedriger als bei manchem Ländern Osteuropas. Allerdings ist die Fristigkeitsstruktur unvorteilhaft.

Rund 74 Prozent der Auslandsschulden sind als langfristige Verschuldung deklariert, so dass rund 26 Prozent (122 Milliarden US-Dollar) als kurzfristig – und demnach anfällig gegenüber einem raschen Rückzug der Kreditgeber – zu verbuchen sind. Davon liegen rund 69 Milliarden im Bankensektor und 53 Milliarden im Unternehmensbereich. Die kurzfristige externe Verschuldung des öffentlichen Sektors ist unbedeutend. Der kurzfristigen Auslandsverschuldung steht die Reserveposition von rund 100 Milliarden Dollar gegenüber, so dass die kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten die Devisenreserven übersteigen. Dies ist selbst bei Schwellenländern nicht oft zu finden.

Die Ursachen der aktuellen Lira-Krise sind bekannt. Die jüngsten Maßnahmen vonseiten der Zentralbank und der Bankenregulierung in der Türkei mögen für eine kurzfristige Stabilisierung gut sein.

Ein nachhaltiger Weg aus der Krise heraus wird aber kaum um einen politischen Schwenk der dortigen Staatsführung herumkommen, insbesondere mit Blick auf die Zentralbank und deren Unabhängigkeit. Das Problem hierbei ist, dass Erdoğan & Co. derzeit keine Anstalten machen, diesen Weg gehen zu wollen. Folglich bleibt die Möglichkeit einer erneuten Eskalation der Lage für die nächsten Wochen auf der Agenda. Auch eine Zahlungsbilanzkrise der Türkei kann vor diesem Hintergrund auf absehbare Zeit nicht ausgeschlossen werden.

Auf politischer Ebene hat die Führung in Ankara einen nicht zu unterschätzenden Trumpf im Ärmel. Die Europäische Union kann sich eine instabile Türkei angesichts der vorherrschenden Flüchtlingsproblematik kaum leisten. Und die Aussicht, einen NATO-Partner in die Arme Russlands oder Chinas zu treiben, dürfte auch Washington einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Ein Kompromiss auf internationaler politischer Ebene ist demnach jederzeit möglich und könnte den Grundstein dafür legen, für mehr Ruhe und (wirtschaftliche) Rationalität am Bosporus sowie an den Finanzmärkten zu sorgen.

Die wahren Gründe der Türkei-Krise
Streit Trump Erdogan Lirakrise Quelle: dpa
US-Pastor Andrew Brunson Quelle: AP
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Die türkische Handelsbilanz: Der Hafen in Izmir Quelle: dpa
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Andrea Nahles, SPD Quelle: dpa
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Quelle: dpa

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