Seit Jahren war das deutsche Wirtschaftswachstum nicht so schlecht: Die deutsche Wirtschaft ist 2019 nur um 0,6 Prozent gewachsen, wie das Statistische Bundesamt in Berlin mitteilte. Das ist nicht nur deutlich weniger als 2018 und 2017 mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 und 2,5 Prozent: Ein kleineres Plus gab es zuletzt 2013 mit 0,4 Prozent. 2018 hatte es noch zu 1,5 Prozent gereicht, 2017 sogar zu 2,5 Prozent.
Die Exporte litten unter der schwächelnden Weltkonjunktur, die nicht zuletzt vom Handelskrieg zwischen den USA und China ausgelöst wurde. Dadurch investierten die Unternehmen auch zurückhaltender. Der Autobranche macht nicht nur die nachlassende weltweite Nachfrage zu schaffen, sondern auch der Trend zum Elektroauto. Als Stütze der Konjunktur erwiesen sich einmal mehr die Verbraucher: Angesichts von Rekordbeschäftigung und steigender Kaufkraft konsumierten sie mehr. Auch der Bauboom hielt an, der weiter von extrem niedrigen Zinsen befeuert wird.
Die deutsche Wirtschaft sei in erster Linie so wenig gewachsen wie seit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2012/2013 nicht mehr, weil die Nachfrageschwäche auf den internationalen Absatzmärkten voll auf die Industrie in Deutschland durchgeschlagen hat, sagt DIW-Ökonom Claus Michelsen. „Die hiesige Automobilindustrie befindet sich in einer Rezession – die angrenzenden Wirtschaftsbereiche wurden von dieser Schwäche ebenfalls erfasst.“ Dass auch die eigentlichen Exportschlager im Maschinen- und Anlagenbau erheblich weniger nachgefragt würden liege daran, dass die Investitionsgüternachfrage lange Zeit unter „den zahlreichen ungelösten politischen Fragen“ wie den Brexit oder dem US-chinesischen Handelsstreit litt, so Michelsen. „Dass die deutsche Wirtschaft überhaupt noch gewachsen ist, verdanken wir dem kräftigen privaten Konsum und der Bauwirtschaft.“
OECD-Ökonomin Nicola Brandt schiebt den Wachstumseinbruch vor allem auf die Handelsstreitigkeiten: „Hier steht Deutschland mit seiner exportorientierten Industrie im Kreuzfeuer. Die Unsicherheit im Handel bleibt bestehen. Die große Frage ist: Wie lange trägt die Binnenwirtschaft noch? Wenn es nicht gelingt, die Unsicherheiten zu beseitigen, kann das auf die Binnenkonjunktur überschwappen.“ Das Wachstum werde nachlassen, wenn die Erwerbstätigkeit wie vorhergesagt in einigen Jahren sinke. „Daher müssen Fachkräfte gesichert werden. Auch sollte mehr in Bildung, auch Aus- und Weiterbildung, investiert werden. Politisches Handeln ist aber auch gefragt, um die Wirtschaft auf einen klimafreundlichen Kurs umzustellen“, so Brandt. Dazu seien vor allem staatliche Investitionen in den öffentlichen Verkehr und in energieeffiziente Gebäude von Nöten.
Für 2020 erwarten die meisten Institute ein höheres Wirtschaftswachstum von etwa einem Prozent. Knapp die Hälfte des Anstiegs führen sie aber auf den Umstand zurück, dass es in diesem Jahr mehr Arbeitstage als 2019 gibt.
Staat trotz Konjunkturschwäche auch 2019 mit Überschuss
Von der immer noch wachsenden Wirtschaft und den anhaltend niedrigen Zinsen profitiert weiterhin auch der Fiskus, wenn auch nicht mehr so stark wie noch 2018. Der deutsche Staat konnte nach Berechnungen der Statistiker 2019 zum sechsten Mal in Folge mehr Geld einnehmen als ausgeben. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung nahmen zusammen 49,8 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Berlin mitteilte. 2018 hatte es einen Rekordüberschuss von gut 62 Milliarden Euro gegeben. Die Summe entspricht diesmal einem Überschuss von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nach 1,9 Prozent 2018.
„Der Arbeitsmarkt spiegelt die Eintrübung der Konjunktur noch nicht wider“, erklärte Ökonom Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) den erneut hohen Überschuss. „Beschäftigung und Löhne sind weiter gestiegen. Das sorgte für mehr Steuer- und Beitragseinnahmen.“ Auch der private Konsum und der Bauboom spülten dem Staat mehr Geld in die Kassen. „Die Niedrigzinsphase entlastet die öffentlichen Haushalte zugleich“, sagte der Steuerschätzer. „Zudem fließen viele Gelder gar nicht ab, die eigentlich für Investitionen geplant waren.“
Der Bund allein beendete das Jahr mit einem Plus von 19,2 Milliarden Euro. Die Länder schafften einen Überschuss von 13,3 Milliarden Euro, die Sozialversicherung von 10,7 Milliarden und die Gemeinden von 6,6 Milliarden.
„Die Spielräume für die Politik werden künftig kleiner werden“, sagte Boysen-Hogrefe voraus. „So wird 2021 der Soli teilabgeschafft. Was an Investitionen bereitsteht, wird auch irgendwann abgerufen.“ Mittel- bis langfristig werde der demografische Wandel zuschlagen. Mehr Rentnern dürften weniger Beitragszahler gegenüberstehen. Auch die Finanzlage der Kranken- und Pflegeversicherung werde von der Demografie beeinträchtigt.