Wirtschaftsweiser warnt „Inflationsraten von drei bis vier Prozent sind nicht undenkbar“

Die Euro-Geldmenge wächst mit zweistelligen Raten. Das dürfte früher oder später auch die Güterpreise kräftig steigen lassen. Quelle: imago images

Noch ist die Geldentwertung moderat, allerdings bereits stärker als von Experten vorausgesagt. Nun warnt der Wirtschaftsweise Volker Wieland vor weiteren Preissteigerungen – möglicherweise höher als erwartet.

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Volker Wieland, 55, hat seit März 2012 die IMFS-Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie der Goethe-Universität Frankfurt inne. Seit Juni 2012 ist er zudem Geschäftsführender Direktor des IMFS. Zuvor war er Professor für Geldpolitik und Geldtheorie an der Goethe-Universität Frankfurt und gehörte zu den Gründungsprofessoren des IMFS. Von 2003 bis 2009 war er Direktor des Center for Financial Studies. Er ist seit März 2013 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit einer der fünf Wirtschaftsweisen.

WirtschaftsWoche: Herr Wieland, allgemein wird für dieses Jahr eine deutlich anziehende Inflation erwartet, die aber 2022 schon wieder deutlich abflachen soll. Wie ist Ihre Einschätzung?
Volker Wieland: Auch ich erwarte Inflationsraten, die im Jahresdurchschnitt schon bei zwei Prozent, zum Jahresende in einzelnen Monaten auch mal drei Prozent betragen könnten. Schon zu Beginn dieses Jahres haben die Preise ja überrascht mit ihrem deutlicher als erwarteten Anstieg.

Allerdings gehe ich davon aus, dass auch 2022 und in den Jahren danach eine ähnlich hohe Inflation denkbar ist, also zwischen zwei und drei Prozent jährlich. Und niemand sollte das Risiko außer Acht lassen, dass es auch mal noch mehr werden kann. Drei bis vier Prozent sind nicht undenkbar, da manche Importpreise wie etwa für Energie stark schwanken. Solch hohe Inflationsraten sind zwar nicht mein Basisszenario, aber ein mögliches Risiko. Eine Riesenüberraschung wäre zumindest ein zwischenzeitliches Überschießen der Preise nicht.

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland ist IMFS-Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt Quelle: imago images

Was spricht dafür?
Nun, nehmen Sie mal die Umfrage der Europäischen Zentralbank unter den Professional Forecasters vom Januar, die 2022 für die Eurozone 1,3 Prozent, 2023 1,5 Prozent und längerfristig 1,7 Prozent erwartet. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit von Inflationsraten zwischen 2,0 und 4,0 Prozent etwa für 2023 bei knapp einem Viertel. Da Deutschland einen stärkeren Preisdruck als im Durchschnitt der Eurozone aufweist, müssten wir hierzulande schon 0,5 bis 1,0 Prozentpunkte über diese Projektionen kommen.

Zudem sehen wir seit 2020 ein sehr hohes Geldmengen- und Kreditwachstum. Die breite Geldmenge steigt aktuell mit einer Rate von mehr als zehn Prozent etwa doppelt so schnell wie in den vergangenen Jahren. Da bauen sich Inflationsrisiken auf, falls die Menge an Geld über die Kredit- auch in die Gütermärkte drängen sollte. Das Angebot an Gütern wächst wiederum aktuell zu wenig, sodass höhere Preise seitens der Anbieter durchsetzbar sein sollten.

Könnte es den sogenannte Ketchupflaschen-Effekt geben, wenn zu viel angestautes Geld von den Festgeldkonten auf einmal, in den Wirtschaftskreislauf kommt?
Ja, auch das ist zumindest denkbar. Bei Nahrungsmitteln haben wir vergangenes Jahr schon gesehen, dass die starke Nachfrage quasi aus dem Homeoffice heraus die Preise recht stark getrieben hat. Bei Urlaubsreisen könnte das ebenso kommen, da viele Menschen gerne mehr Geld als sonst in die Hand nehmen werden, wenn das wieder möglich ist. Und der Einzelhandel dürfte nach dem Lockdown sicher nicht dauerhaft die Preise senken, sondern eher versuchen, aufgelaufene Verluste auszugleichen.

In Erwartung einer höheren Inflation kaufen sich Investorinnen und Investoren in Anleihen mit einer enorm hohen Minusrendite ein. Die Sorge vor steigender Inflation hat den Markt im Griff.
von Christof Schürmann

Könnte auch zusätzlich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen, sprich, höhere Gehälter die Nachfrage noch anheizen?
Nein, Lohnkosten sind zumindest derzeit kein treibender Faktor, der Lohndruck ist einfach zu gering. Wir haben es ja auch mit Pandemie-bedingter Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zu tun und die Einnahmen vieler Selbstständiger sind eingebrochen. Von der Lohnseite sehe ich eher einen gegenläufigen Effekt, der kurz- bis mittelfristig preisdämpfend wirkt.

Bleibt die Frage, wie die Europäische Zentralbank reagieren wird.
Der Realzins liegt bei einem Einlagesatz für Banken von minus 0,5 Prozent und einer angenommenen Inflation von 2,0 Prozent bei minus 2,5 Prozent. Das ist enorm niedrig und kaum haltbar auf die Dauer. Es könnte auch Druck auf die langjährigen Zinsen kommen, also die Nachfrage nach langlaufenden Anleihen nachlassen.

Noch springt die EZB bei und kann ihre Bilanzsumme, wenn sie den angekündigten Rahmen für die Anleihekaufprogramme voll ausschöpft, von derzeit über 7000 noch auf über 8000 Milliarden Euro ausweiten. Das wären dann schon mehr als 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone.

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Dazu käme noch die zusätzliche Liquiditätsnachfrage der Banken aufgrund der günstigen Konditionen die die EZB bietet. Man sollte jedenfalls einen möglichen Zinsanstieg bei länger laufenden Anleihen nicht aus dem Auge verlieren oder verharmlosen. Der könnte manchen Schuldner an den Finanzmärkten in die Bredouille bringen, gerade weil viele zu sorglos sind.

Mehr zum Thema: Mit Spezialanleihen sichern sich Anleger gegen allgemein steigende Preise ab. Die realen Renditen sind allerdings auch hier gering – und die Papiere haben ihre Tücken.

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