Wirtschaftswissenschaft Werner Sombart - der Geschichtenerzähler

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Ambivalente Theorie

Sombart Quelle: dpa

Nach seiner Berufung zum außerordentlichen Professor in Breslau (1890) wird Sombart schnell zu einer Berühmtheit: Er ist der Erste, der Karl Marx in „Sozialismus und soziale Bewegung“ wissenschaftlich respektabel macht, sich in unzähligen Schriften an dessen Theoriegebäude abarbeitet. Sombart schätzt an Marx, dass „kein Gran Ethik“ seine Schriften trübt, er teilt Marx’ Analyse politischer Klassen und deutet wie dieser den Kapitalismus als unaufhaltsamen Prozess – aber er lehnt dessen Revolutionspathos ab und möchte die prognostizierten Konflikte rechtsstaatlich gelöst wissen. Beeinflusst vom positivistischen Fortschrittsgeist und beeindruckt von der schieren Kraft der industriellen Revolution, geht es ihm um die sozialreformerische „Hebung der Arbeiterklasse im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsorganisation“ – weshalb er der SPD im hohen Ton des Tragikers rät, sich davor zu hüten, „mit notorisch niedergehenden Klassen… einen Kompromiß einzugehen“.

Nach der Jahrhundertwende klingt das ganz anders. Sombart beklagt den Niedergang des Handwerks als Prozess der Entpersönlichung und den Vormarsch der Technik als Siegeszug der „Asphaltkultur“. Der Kapitalismus „hat uns die Masse beschert“, so sein Lamento, „er hat unser Leben der inneren Ruhe beraubt, er hat uns der Natur entfremdet, die Welt in ein Rechenexempel“ aufgelöst und „die große Masse der Bevölkerung in ein sklavenartiges Verhältnis der Abhängigkeit von einer geringen Anzahl von Unternehmern gebracht“.

Legt Sombart hier eine 180-Grad-Wende hin? Die meisten seiner Rezensenten sehen das so – und sie übersehen dabei das Entscheidende: Sombart hat die Ambivalenzen des Kapitalismus von Anfang an klar gesehen. Was sich ändert, ist, dass er die kulturzersetzenden Nebenkosten der modernen Wirtschaftsform zunehmend hoch veranschlagt und dass sein Empfinden für die Verluste wächst, die mit dem Vormarsch des „kapitalistischen Geistes“ einhergehen. Anders gesagt: Sombart deutet den Kapitalismus zunächst faustisch-tragisch, später melancholisch-mephistophelisch.

Zwischen allen Stühlen

Sombart hat die Entstehung dieses „Geistes“, anders als Max Weber, nicht mit dem Protestantismus verbunden, sondern mit dem Judentum; er sieht ihn nicht im 17. Jahrhundert in Nordeuropa heraufziehen, sondern – historisch richtiger – im Südeuropa des 15. und 16. Jahrhunderts; er verknüpft ihn nicht (nur) mit dem Bewährungsgedanken, sondern mit der „Fremdheit“, der „räumlichen Verbreitung“ und der gewerberechtlichen Diskriminierung der Juden, kurz: mit der These von der jüdischen Diaspora und der dadurch bedingten Konzentration der Juden „auf den Handel und dessen Sublimierung im reinen Geldgeschäft“. Was Sombart von Weber unterscheidet, ist also nicht eine damals modische religionssoziologische Perspektive, sondern die Akzentuierung einer kollektiven Psyche. Sie findet in beeindruckend schlichten Sätzen wie „Der Jude sieht sehr scharf, aber er schaut nicht viel.“ („Die Juden und das Wirtschaftsleben“, 1911) ihren Ausdruck und lässt sich bei Bedarf auch gegen die „hedonistische, berechnende, gemeine“ Zivilisation der Briten wenden, gegen die Sombart die „Deutschheit“ in Stellung bringt, die mit „Faust und Zarathustra und Beethoven-Partitur in den Schützengräben“ einen Schicksalskampf ausficht („Händler und Helden“, 1915).

Kein Wunder, dass Sombart Widerspruch erntet. Den Historikern war sein „Geist“ zu abstrakt, den Soziologen sein Quellenreichtum zu unsystematisch, den Ökonomen fehlten Formeln und Gesetze – und ihnen allen gemein war, dass sie die aristokratische Eleganz seiner Schreibe ablehnten. Mit den Marxisten verband Sombart der Wille zur Gesellschaftstheorie; was ihn von den Marxisten trennte, war die kulturelle Begründung seiner Lehre. Was ihn mit der historischen Schule Schmollers verband, war die Überzeugung, dass es keine unveränderlichen Gesetze menschlichen Handelns gebe, weshalb die Ökonomie vor allem ihre veränderliche Rolle im Kollektiv des Staates und der Gesellschaft in den Blick zu nehmen habe; was ihn von Schmoller trennte, war sein Wille zur psychosozialen Modellierung von Idealtypen und zur atmosphärisch-wesenhaften Stilisierung von geschichtlichen Epochen.

Mit der klassischen Nationalökonomie wiederum verband Sombart rein gar nichts: Die Formelhaftigkeit einer „Ceteris-Paribus“-Ökonomie lehnte er als ebenso weltfremd ab wie die Vorstellung ewiger Harmoniegesetze. Sombart wollte von „lebendigen Menschen“ erzählen, die er weder zum Triebbündel degradierte noch hinter Algebra zum Verschwinden brachte. Er verstand Ökonomie nicht als formalgesetzliche Effizienzlehre, sondern als Wissenschaft von gesellschaftspolitischer Relevanz: Seine Lehre sollte sich durch sozialwissenschaftliche Bedeutung auszeichnen, nicht durch mathematische Exzellenz. Kurzum: Sombart wollte den Kapitalismus verstehen, nicht erklären.

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