Wirtschaftswissenschaft in der Kritik Ökonomen, werdet wahrhaftige Wissenschaftler!

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Das Märchen vom ewigen Wachstum

Unter der fragwürdigen Grundannahme, dass die materiellen Bedürfnisse des Menschen unersättlich seien, begrüßen die gängigen Lehrbücher ausdrücklich Wirtschaftswachstum. Unter der noch viel fragwürdigeren Nebenannahme, dass eine stetige Mehrproduktion womöglich auch ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch auskäme, stufen sie dieses Wachstum außerdem als ökologisch potentiell unbedenklich ein – ein fataler Irrtum! Fortschritte bei der Ressourceneffizienz (zum Beispiel sparsamere Motoren) haben schon in der Vergangenheit kaum ökologische Früchte tragen können, weil sie durch noch stärkeres Mengen- und Größenwachstum aufgefressen wurden. Sparsamere und billiger zu produzierende Autos verleiten die Hersteller dazu, mehr und größere Autos zu produzieren, und die Konsumenten dazu, umso größere Autos zu kaufen und umso mehr mit ihnen zu fahren. 

Das „Forbes“-Magazin führt in regelmäßigen Abständen die reichsten Menschen der Welt. Bei den aktuellen Platzierungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr einiges verändert. Wer es neu in die Top Ten geschafft hat.
von Sören Imöhl

Die Apostel der Entkopplung – Stichwort „grünes Wachstum“ – ignorieren dabei deren physikalische Grenzen: Ein Auto kann theoretisch immer sparsamer und leichter gebaut werden, aber eben nicht völlig ohne Materie. Ein immaterielles Wachstum kann es schlicht nicht geben, solange wir materielle Güter benutzen.

Hinter der Ignoranz des Ökologieproblems stecken vermutlich tiefere Gründe: Eine Wirtschaft ohne Wachstum kann in unserem System nämlich gar nicht krisenfrei funktionieren. Wo die Produktionsmengen nicht wachsen, können Unternehmen in ihrer Gesamtheit über die Umsatzseite kaum noch ihre Gewinne steigern, sie können sich allenfalls noch gegenseitig Marktanteile wegnehmen, was Firmenpleiten und Übernahmen zur Konsequenz hätte. Alternativ müssten sie fortwährend ihre Kosten drücken, so dass Rationalisierungen, Lohnkürzungen und Verteilungskämpfe vorprogrammiert wären. Einen entspannten Umgang mit einem jährlich gleichbleibenden oder gar schrumpfenden Kuchen könnte man sich nur in solchen Wirtschaftssystemen vorstellen, in denen es keine systemimmanente Gier, also kein Streben nach stetiger Gewinnsteigerung gäbe. Für ahistorisch und systemkonform denkende Volkswirte ist die Konstruktion entsprechender Alternativentwürfe jedoch leider ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein letztes Beispiel: Blinde Flecken in der Schuldenkrise

Wer, wie unsere Mainstream-Ökonomen, historisch Gewordenes unhinterfragt als Gegebenes annimmt, wird unser Geld- und Bankensystem kaum hinterfragen. So werden in der Schuldenkrise Empfehlungen formuliert, die, gleich ob Austeritätspolitik oder Liquiditätsspritzen, stets nur an der Oberfläche kratzen.

Es ist nur logisch, dass in einem Geldsystem wie unserem, in dem Geld grundsätzlich und überwiegend in Form von Bankkrediten in Umlauf kommt und diese auch noch verzinst werden, mit steigender Geldmenge auch immer höhere Schuldenbeträge entstehen. Wer ausufernde Verschuldung bereits in ihrer Entstehung verhindern will, müsste darum fragen, ob und wie man andere Geld(schöpfungs)systeme installieren könnte. Beispielsweise wäre es durchaus denkbar, Geld schulden- und zinsfrei in Form von öffentlichen Ausgaben zu emittieren. Staatsverschuldungskrisen würden dann kaum mehr möglich sein, es müssten gleichwohl Schutzmechanismen gegen einen politischen Missbrauch eines in diesem Fall staatlichen Geldschöpfungsmonopols vorgesehen werden. (Stichwort: Monetative).

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