Wirtschaftswissenschaft Werner Sombart - der Geschichtenerzähler

Werner Sombart war der originellste Analytiker des Kapitalismus. Der Ökonom, Historiker und Soziologe hat den bourgeoisen Lebensstil bewundert und gehasst, Karl Marx verehrt und verworfen, das Judentum bestaunt und verachtet. Seine Modernität rührt daher, dass er wie sein Freund Max Weber die moderne Wirtschaft nicht erklären, sondern verstehen wollte.

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Büste des Ökonoms Werner Sombart Quelle: dpa

Über das Leben und Werk von Werner Sombart zu schreiben, das ist vor allem eine Verzichtsübung. Man muss sich von dem Gedanken trennen, dass es so etwas gibt wie eine biografische Einheit, ein Lebensthema oder einen wissenschaftlichen Leitgedanken; man muss sich davon verabschieden, dass so etwas überhaupt möglich ist: Lebensgeschichte von einem archimedischen Punkt aus zu erzählen – als ob ein Mensch mit seinen Schriften und sich selbst identisch sein könne.

Werner Sombart hat kein Gesetz und keine Formel entdeckt, keinen Lehrsatz aufgestellt und keine Schule begründet; seine Vita ist nicht durchgestimmt und sein Œuvre nicht mit einer großen Idee verbunden. Im Gegenteil. Werner Sombart hat die ganze Fülle des Daseins ausgekostet, ob als Familienvater oder Schürzenjäger, ob als Gelehrter oder Salonlöwe, ob als schreibender Weltflüchtling in der Bibliothek seiner 14-Zimmer-Villa in Breslau oder als vortragsreisender Berlin-Professor, der mit grobem Strich, hemdsärmeliger Eloquenz und völlig unwissenschaftlicher Originalitätssucht die Säle füllte.

Werner Sombart war ein Verschnitt aus Nationalökonom, Jurist, Soziologe und Historiker. Er hat sich von Goethe, Shakespeare und Zola inspirieren lassen, aus dem Reichtum seiner 35 000 Bände umfassenden Privatbibliothek geschöpft, sich mal als Theoretiker, mal als Erzähler, mal als Sozialpsychologe verstanden – und sich zu immer neuen, oft steilen, manchmal skurrilen Meinungen, Sichtweisen und Diagnosen hinreißen lassen. Anders gesagt: Werner Sombart gibt es nur im Plural. Er war ein analytischer Brausekopf, der mit populärwissenschaftlicher Prosa politisch Einfluss nehmen wollte – und doch vehement auf seine wissenschaftliche Unabhängigkeit pochte. Er war ein glühender Pedant, der in akribischer Detailarbeit Quellen auswertete – und der mit begründungsloser Apodiktik atemberaubende Theorien über die „kollektive Psyche“ der Juden und die „Eigenart der hohlen, englischen Krämernatur“ aufstellte.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Ganz gewiss ist Werner Sombart (1863–1941) ein Paradebeispiel für den unheilvollen Weg, den die deutsche Gelehrtenrepublik von Wilhelm II. über den Ersten Weltkrieg und Weimar bis hin zu Adolf Hitler zurücklegte. Sombart verwandelte sich von einem linken Sozialreformer in einen rechten Nationalkonservativen – und endete als Mitläufer der Nazis. Er sympathisierte mit dem Sozialismus (1890) und der liberalen Fortschrittsidee (1900), er begrüßte den Krieg als Gefahr-Erfahrung, die vor Verflachung schützt, und spielte die deutsche Kulturidee gegen die angloamerikanische Zivilisation aus (1915), er war blutsgläubig, gemeinschaftsselig und liebäugelte mit rassenhygienischen Ideen (1920).

Sombart hat den Kapitalismus geschätzt und verabscheut so wie er Karl Marx verehrt und verachtet hat. Er hat die Entstehung von Profitgier, Erwerbstrieb und Geschäftssinn als kulturelles Einmalereignis bestaunt und den „Götzen Fortschritt“ als „Gräberfeld der Kultur“ gehasst – so wie er das Judentum in seiner angeblichen Rolle als Wegbereiter des kapitalistischen Lebensstils – Geldleihe, Berechnung, Zweckdenken, Versachlichung – zugleich gewürdigt und diffamiert hat: „Die Etappen seiner Meinungsänderung“, urteilte der österreichische Ökonom Ludwig von Mises einmal scharf und sinnig, „sind zugleich die Etappen der Meinungsänderung von Deutschlands geistiger Oberschicht.“

Und doch sind Sombarts Schriften nicht nur zeitgeschichtliche Dokumente ersten Ranges. „Der moderne Kapitalismus“, ein Monumentalwerk, das Sombart in drei Etappen (1902, 1913–1916, 1927) in seine schlussgültige Form brachte, ist dank seiner enzyklopädischen Fülle, seiner kunstvollen Integration von Wirtschaftstheorie, Geschichtsschreibung und Soziologie und dank seiner einflussreichen Typologie von Wirtschaftsweisen, -systemen und -gesinnungen ein Klassiker von singulärem Rang.

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