ZEW-Ökonomin Ott „Die USA dienen als Vorbild“

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Strom wird künftig weiter steigen. Quelle: dpa

Um seine ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, muss Deutschland die Erneuerbaren Energien ausbauen. Doch das Stromnetz stößt schon heute an seine Grenzen. Die Ökonomin Marion Ott erklärt, wie eine Lösung aussehen könnte.

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Marion Ott ist Ökonomin am ZEW-Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.

WirtschaftsWoche: Frau Ott, der Anteil der Erneuerbaren Energien am Strom wird künftig weiter steigen. Wie gut ist das Stromnetz darauf vorbereitet?
Marion Ott: Damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, muss der Anteil der Erneuerbaren Energien massiv steigen. Unsere Befürchtung ist jedoch, dass das Stromnetz an seine Grenzen stößt. Bereits heute müssen Windkraftanlagen in manchen Regionen gedrosselt werden, weil die Kapazitätsgrenze beim Stromnetz erreicht ist. Derartige Eingriffe kosten nicht nur über eine Milliarde Euro pro Jahr, sondern bringen auch die Energiewende ins Stocken.

Konkret: Wo liegen die Schwachstellen im Stromnetz?
In Deutschland handelt man den Strom nach einem Prinzip, das ignoriert, welche Strecke der Strom durch das Netz vom Erzeuger zum Verbraucher zurücklegen muss. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das Netz für diese Menge an Strom gar nicht ausreicht, muss ein Kraftwerk lokal in der Umgebung kurzfristig mehr Strom produzieren und ins System einspeisen. Das verursacht Mehrkosten.

Zur besseren Verteilung von Strom wollen Sie ein so genanntes „nodales“ Preissystem einführen. Was bedeutet das?
Wir wollen, dass sich der Markt selbst reguliert – über lokal unterschiedliche Strompreise. Unser System sammelt deutschlandweit die Gebote und erkennt somit, ob ein Stromnetz für eine angeforderte Strommenge geeignet ist. Ist dies nicht der Fall, bekämen beispielsweise die Gebote aus dem Norden, wo es viel Erneuerbare Energien gibt, gar nicht erst den Zuschlag. Stattdessen erhalten die Kraftwerke im Süden den Auftrag – und dort müssten die Kunden dann einen Preisaufschlag für fossile Energie bezahlen.

Verursacht Ihr Preissystem dadurch nicht Mehrkosten für Regionen, in denen die Netze weniger ausgebaut sind?
Insgesamt werden die Gesamtkosten sinken. Kurzfristig können jedoch nicht alle gleichmäßig davon profitieren. Doch wir erwarten, dass durch die Preisunterschiede der Anreiz zu investieren steigt – und sich somit das Preisniveau langfristig angleicht. Unser Preissystem macht ja ganz deutlich, wo es Einschränkungen gibt. In den Regionen, in denen die Strompreise häufig auf einem hohen Niveau sind, wird es sich eher lohnen, zu investieren. Und so werden nicht nur Netzkapazitäten erhöht, sondern auch die Preise gesenkt.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat gerade die Prognosen für den Strombedarf bis 2030 um zehn Prozent nach oben revidiert…
…und es gibt massive Ausbaupläne der Bundesregierung. Die Frage ist nur: Reicht das aus? Das bezweifle ich stark – wegen der starken Erhöhung des Anteils volatiler Erneuerbarer Energien und des massiven Anstiegs der Stromnachfrage. Autos werden elektrifiziert, es wird viel auf Strom umgestellt. Das kann sehr teuer werden. Da kann es sich auszahlen, flexibel zu sein.

Was meinen Sie mit flexibel?
Verbraucher sollten im optimalen Fall flexibel bei der Nachfrage sein: Sie könnten beispielsweise ein Elektroauto für mehrere Stunden an die Steckdose anzuschließen – das Fahrzeug lädt aber nur dann, wenn die Preise in der Region gerade niedrig sind. Oder sie installieren eine Waschmaschine, die nur dann läuft, wenn genug Strom durch die Netze fließen kann. Durch die Preisunterschiede kann der Verbraucher von eigener Flexibilität profitieren. Dafür brauchen wir natürlich zusätzliche Informationen am Markt – und das wird künftig noch schwieriger. Denn Erneuerbare Energien sind deutlich volatiler und schwerer hervorzusagen.

Wie lange würde es dauern, ein solches Preissystem zu etablieren?
Wir denken an einen Zeitraum nach 2030. Als Vorbild dienen die USA, wo ein Großteil des Stroms in nodalen Preissystemen gehandelt wird – etwa in Kalifornien sowie den Regionen in der Mitte und im Nordwesten der USA. Dort werden zentral die Stromflüsse verwaltet, der Strommarkt betrieben und die Netz-Infrastruktur überwacht. In den USA wurde das System damals aufgrund der schlechten Netze eingeführt. Irgendwann müssen auch wir in Deutschland die physischen Gegebenheiten unseres Netzes berücksichtigen. Denn die Anforderungen an das Netz steigen. Am Ende muss es aber natürlich politisch auch gewollt sein.

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Wie ist die bisherige Resonanz für ihr Marktmodell in der Politik?
Zuletzt hat sich die Politik gegen unser Modell ausgesprochen. Zum einen, weil der Netzausbau im Vordergrund stehen sollte. Zum anderen, weil bei einer Anpassung des Strommarktes in einem nodalen Preissystem große Investitionen nötig sind und Widerstände aufgrund der regionalen Preisunterschiede befürchtet werden. Doch die Anforderungen an das Stromnetz steigen – und damit rücken künftig auch wieder neue Ideen in den Vordergrund.

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