EZB-Zinsentscheid Warum die EZB mit ihren Zinserhöhungen den Bogen zu überspannen droht

Die EZB steht vor einer schwierigen Entscheidung. Quelle: dpa

Geldpolitik geht nicht ohne Nebenwirkungen. Bei ihrer Zinsentscheidung läuft die Europäische Zentralbank jetzt aber Gefahr, den Bogen zu überspannen. Ein Gastbeitrag.

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Die hohe Inflation hat erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Wieviel Einfluss hat die EZB mit ihrer Geldpolitik, die Inflation schnell und dauerhaft zu reduzieren? Die Antwort auf diese Frage ist ernüchternd: An der Inflation kann sie kurzfristig kaum etwas ändern, muss aber aufpassen, dass sie mit weiteren Zinserhöhungen den Bogen nicht überspannt und die Wirtschaft und damit den Wohlstand zu stark schwächt.

Neue Analysen zeigen das Dilemma der EZB: Ein starker Zinsanstieg hat kurzfristig kaum Auswirkungen auf die Inflation, jedoch erhebliche Kosten für Wirtschaft, Einkommen und Finanzstabilität. Die Normalisierung der EZB-Geldpolitik hat die Inflation im vergangenen Jahr nur um 0,2 Prozentpunkte reduziert und 2023 lediglich um 1,2 Prozentpunkte. Also: Ohne diese Normalisierung würde die Inflation in der Eurozone 2023 nicht (wie prognostiziert) 5,3 Prozent betragen, sondern 6,5. Dies ist zwar ein bescheidener, wenn auch nicht irrelevanter Beitrag.

Inflation ist primär importiert

Dies relativiert auch die Forderung derer, die sich noch stärkere Zinserhöhungen wünschen: die hohe Inflation 2022 und 2023 ist bis zu 70 Prozent durch höhere Energie- und Nahrungsmittelpreise getrieben, also primär importiert. Selbst ein massiver Leitzinsanstieg auf über 10 Prozent hätte 2022 und 2023 keine Preisstabilität gewährleisten können.

Der wichtigste Mechanismus, über höhere Zinsen die Inflation dämpfen, ist die Schwächung der einheimischen Nachfrage. Weil sich Kredite verteuern, gehen der Konsum und die Investitionen zurück; einheimische Preise und Löhne sinken. In anderen Worten, der einzige Weg, der Preisstabilität 2022 und 2023 deutlich näher zu kommen, wäre eine wirtschaftliche Depression gewesen, mit einer tiefen Rezession und einem starken Rückgang des Konsums und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Die Analysen zeigen, wie negativ sich die restriktive Geldpolitik der EZB bereits jetzt auf die Wirtschaft auswirkt. Die Zinserhöhungen werden 2023 die Wirtschaftsleistung um zwei Prozentpunkte reduzieren, von 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum auf voraussichtlich 0,5 Prozent. Die Mechanismen sind offensichtlich: Die höheren Zinsen haben beispielsweise die Baukosten steigen lassen und zu einem starken Einbruch im Immobiliensektor geführt. Die Kreditvergabe an Konsumenten und Unternehmen verzeichnet den drastischsten Rückgang seit 25 Jahren. Und auch die Investitionen der Unternehmen haben deutlich abgenommen.

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Dieser Effekt dürfte noch einige Jahre nachwirken und die Wirtschaftsleistung auch in den Jahren 2024 und 2025 um einen Prozentpunkt geringer ausfallen lassen. Weniger Nachfrage bedeuten letztlich weniger Wohlstand, niedrigere Löhne, einen schwächeren Konsum und eine geringere Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Und es bedeutet eine langsamere ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft.

Kein Verzicht auf Zinserhöhung

Hätte die EZB also auf die Zinserhöhungen verzichten sollen, wenn sie so einen erheblichen negativen Einfluss auf Wachstum und Wohlstand haben? Die Antwort ist ein klares Nein, denn Geldpolitik wirkt fast immer mittelfristig und langfristig – und die Kosten für Wachstum und Wohlstand aufgrund einer zu hohen Inflation sind langfristig deutlich höher. Das wichtigste Ziel der EZB heute ist der Schutz ihrer Glaubwürdigkeit. Sie muss Unternehmen, Investoren und Gewerkschaften klar signalisieren, dass sie in den kommenden Jahren zur Preisstabilität zurückkehren wird, um so eine Gewinn-Preis-Spirale oder eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. In der Tat zeigen die Analysen, dass die Zinserhöhungen die Inflation wohl um 1,9 und 1,6 Prozentpunkte 2024 und 2025 reduzieren werden. Die Zinserhöhungen der EZB wirken also und sind erfolgreich.

Schneller schlau: Inflation

Aber die relevante Frage ist, ob in diesem Jahr weitere Zinserhöhungen notwendig oder eher kontraproduktiv sind. Wenn die Inflation 2024 in Richtung Preisstabilität zurückkehren wird, wieso sollte die EZB weiter die Nachfrage schwächen und damit Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand reduzieren? In der Tat ist das Risiko hoch, dass die EZB den Bogen überspannt und die Zinsen zu stark erhöht, sodass die Wirtschaft erheblich geschwächt wird, ohne dass die Preisstabilität schneller erreicht wird – zumal die wirtschaftlichen Risiken durch den andauernden Krieg in der Ukraine, Konflikte mit China und Bankenprobleme sich weiter zuspitzen. Dies könnte die EZB zu einem schnellen Kurswechsel und zu erneuten Zinssenkungen noch in diesem Jahr zwingen.

Der Schlüssel ist Glaubwürdigkeit

Zentralbanken sind nicht allmächtig, ihre Geldpolitik kann kurzfristig wenig gegen eine größtenteils importierte Inflation ausrichten. Sie kann nur langfristig Preisstabilität gewährleisten, wenn sie ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit bei Unternehmen, Investoren und Gewerkschaften genießt.

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Diese Glaubwürdigkeit hat die EZB nach wie vor. Sie läuft jedoch Gefahr, mit ihren Zinserhöhungen den Bogen zu überspannen und Investitionen durch zu restriktive Finanzierungsbedingungen dauerhaft zu schwächen. Ein vorsichtigerer Kurs würde auch den Druck von den Regierungen nehmen, durch eine expansive Finanzpolitik die Wirtschaft noch stärker zu unterstützen, und damit zu einem besseren Gleichgewicht zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik beitragen.

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