
Eigentlich war erwartet worden, dass viele Zentralbanken zur geldpolitischen Normalität zurückkehren und die Zinsen von dem sehr niedrigen Niveau wieder langsam Richtung Normalität anheben. Warum nun plötzlich der globale Kurswechsel? Befinden wir uns bereits in einem globalen Abwertungswettlauf?
Der ölpreisinduzierte Rückgang der Inflation könnte ein Grund sein. Doch in Wirklichkeit schauen die Notenbanken durch eine solche Entwicklung hindurch, zumal die wirtschaftliche Entwicklung sich bislang nicht verlangsamt hat. Der Grund für das hektische Handeln der Notenbanken in aller Welt liegt wohl eher in erheblichem Maße bei der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die EZB hat mit ihrem Programm zum monatlichen Aufkauf von Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro selbst die aggressivsten Markterwartungen bei weitem übertroffen. In Folge dieses aggressiven Programms ist der Euro deutlich unter Druck gekommen. Gleichzeitig sind dadurch viele andere Währungen entsprechend unter Aufwertungsdruck. Des einen Freud, des anderen Leid. Während der schwächere Euro den Exportsektor der Euro-Länder belebt, bremsen die sich aufwertenden Währungen die wirtschaftliche Entwicklung der entsprechenden Länder.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. In vielen Ländern änderten die Zentralbanken ihren geldpolitischen Kurs und schwenkten um auf eine geldpolitische Lockerung. „Echte“ Zinssenkungen, die noch vor wenigen Monaten, wenn nicht gar Wochen, als undenkbar galten, gab es jüngst in Kanada, Dänemark (innerhalb von zehn Tagen gleich dreimal), der Schweiz, der Türkei, Australien, China und sogar dem von Kapitalflucht bedrohten Russland. Singapur hat eine geldpolitische Lockerung im Rahmen einer Änderung des Währungsregimes (Crawling Peg) durchgeführt, die ebenfalls plötzlich vom Himmel gefallen ist. Als nächste Zinssenkungskandidaten gelten schon in Kürze Polen, Ungarn und Rumänien. In Schweden droht der Übergang von der Nullzinspolitik (ZIRP) zu negativen Zinsen (NIRP), Australien, Kanada und die Schweiz könnten nochmal in Sachen Senkung nachlegen.
Geldpolitische Verschiebungen in Großbritannien
Nicht zu verkennende geldpolitische Verschiebungen, auch ohne Anleihenaufkaufprogramm oder Zinssenkung, gibt es zudem in Großbritannien. Die dort noch im Herbst 2014 für den Jahresverlauf 2015 fest eingepreisten Zinserhöhungen sind passé. Neuseelands RBNZ hat ihren Bias in der letzten Woche von „hawkish“ auf „neutral“ geändert; bei der Bank of England haben die letzten beiden Falken ihre Flügel gestreckt und verzichten jetzt auf ihre bisherigen Forderungen nach Zinserhöhungen, wie uns das jüngste Sitzungsprotokoll verraten hat.
Es gibt auch hier noch Ausnahmen, diese sind aber dünn gesät: Brasiliens Notenbank steht mit ihrer Zinserhöhung vom Januar im Kampf gegen die zweistellige Inflation fast allein auf weiter Flur. Die wichtigste Ausnahme ist die US-Notenbank, die der globalen Deflationsdebatte – noch – die kalte Schulter zeigt. Die Finanzmärkte haben in den letzten Wochen eine US-Zinswende schon für Sommer 2015 schleichend ausgepreist, dabei allerdings nicht etwa auf direkte Signale der Fed reagiert, sondern vielmehr auf das veränderte globale Umfeld. Somit ist die US-Notenbank denn auch die einzige, die derzeit zwar die geldpolitische Tugend der „Geduld“ betont, aber immerhin noch unmissverständlich von Zinserhöhungen spricht. Es wird zunehmend wahrscheinlich, dass auch die Fed-Mitglieder ihre Vogel-Strauß-Taktik aufgeben müssen und nicht weiter die Augen vor dem herausfordernden Preisumfeld verschließen können. Für die erste US-Leitzinserhöhung wäre unseres Erachtens durchaus noch Zeit bis Anfang nächsten Jahres, diese Erkenntnis muss sich bei der US-Notenbank allerdings erst noch durchsetzen.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Gelockerte Geldpolitik
Dass so viele Notenbanken, sowohl in den Schwellen- als auch den Industrieländern, in so kurzer Zeit ihre Geldpolitik lockern, kennt man sonst nur aus Krisenzeiten wie der Asienkrise oder dem Lehman-Schock. Die gegenwärtige Situation unterscheidet sich insofern von früher, als dass die synchronen Zinssenkungen in der Vergangenheit koordinierte Aktionen waren, um gemeinsam auf externe Schocks zu reagieren und eine drohende Wachstumsschwäche abzufedern. Statt Kooperation und zur Stabilisierung der Weltfinanzmärkte wie 2008/2009 gemeinsamem „an einem Strang zu ziehen“, stehen die Zeichen jetzt eher auf Konfrontation. Insbesondere die EZB verursacht durch die zuletzt sehr aggressive Politik diesen Zinssenkungswettlauf der Zentralbanken. Der schwächere Euro hilft der EZB zwar, ihre angestrebten Ziele zu erreichen, jedoch auf Kosten von vielen anderen Ländern. Das führt dann zu den entsprechenden Reaktionen der anderen Zentralbanken und am Ende zur globalen Lockerung der Geldpolitik.
Befinden wir uns also bereits in einem globalen Abwertungswettlauf? Ein Abwertungswettlauf, in dem jede Zentralbank versucht, durch immer niedrigere Zinsen oder andere geldpolitische Mittel die heimische Währung zu schwächen, damit wirtschaftliche Vorteile zu erlangen und der heimischen Wirtschaft zu helfen, im Exportgeschäft Marktanteile und eine höhere Wachstumsdynamik zu erzielen?