Zum 30. Todestag Friedrich von Hayeks Warum Sie gerade jetzt von Hayek lesen sollten

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Liberaler Missionar

Hayek und seine Schüler Quelle: Getty Images

Verstehen lässt sich die Leidenschaft von Hayeks Anti-Sozialismus nur, wenn man sich die dramatische politische Situation in den Vierzigerjahren vergegenwärtigt. In den letzten Kriegsjahren zeichnet sich ab, dass Kapitalismus und Kommunismus sich bald blockhaft gegenüberstehen werden: Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft, Freiheit gegen Zwang, Individualismus gegen Kollektivismus. Die Teilung Deutschlands und Europas ist seit der Konferenz von Teheran (1943) beschlossene Sache, Stalins Sowjetunion dehnt ihren Machtbereich aus, in China kämpft sich Mao an die Spitze, das ehemals zum britischen Kolonialreich gehörende Indien verfolgt planwirtschaftliche Experimente. 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden damals unter dem Diktat des Kommunismus, weitere 25 Prozent müssen teilweise sozialistische Volkswirtschaften erdulden.

In dieser Situation wird der Ökonom Hayek zum liberalen Missionar. Er hat in Fachkreisen Furore gemacht mit geldtheoretischen Arbeiten und einer Konjunkturtheorie, die alle makropolitische Steuerung ablehnt, sei sie nun angebotsorientiert (etwa über niedrige Zinsen wie bei Milton Friedman) oder nachfrageorientiert (über Konjunkturprogramme wie bei John Maynard Keynes) – aber das reicht ihm nicht mehr: Er will künftig ein Weltverbesserer sein, ein öffentlicher Philanthrop und Freiheitsfreund.

Hayek, in Wien geboren, zur Schule gegangen, studiert und zum Doktor der Rechte und der Politik promoviert, 1931 als erster Ausländer an die London School of Economics berufen und seit 1938 britischer Staatsbürger, sieht den Kalten Krieg der Systeme früh voraus – und veröffentlicht im März 1944 das Buch, das ihn auf einen Schlag berühmt macht (und wissenschaftlich diskreditiert): „Der Weg zur Knechtschaft“, eine leidenschaftliche Abrechnung mit Kollektivismus und (National-)Sozialismus, die gleichermaßen vom Gedanken beseelt seien, das Individuum zu einem „Werkzeug im Dienste der höheren Einheit“ herabzuwürdigen, um alle Tätigkeit des Menschen, „von der Wiege bis zur Bahre“, zu einer Frage der Weltanschauung zu machen.

Ausgangspunkt von Hayeks Streitschrift ist die provozierende These, dass „wirtschaftliches Kommando“ in Ermangelung eines funktionierenden Preissystems nicht nur ökonomisch ineffizient ist – das hatte schon Hayeks Lehrer und Mentor Ludwig von Mises bewiesen –, sondern prinzipiell totalitär: Plan und Lenkung des „Wirtschaftsdiktators“, so Hayek, beruhen auf einer Anmaßung von Wissen und Macht – und auf der „Herrschaft über die Mittel für alle unsere Ziele“. Für Hayek sind Stalinismus und Nazismus daher keine Gegensätze, sondern bloße Stilformen des Kollektivismus – und der deutsche Faschismus ist für ihn keine Reaktion der kapitalistischen Eliten auf sozialistische Trends in den Dreißigerjahren, sondern eine logische Folge der staatlichen „Organisierung des Wirtschaftslebens seit Bismarck“ – samt seiner kulturellen Diskreditierung des „englischen“ Kapitalismus, Liberalismus und Individualismus.

Wider die politische Korrektheit

Hayeks politische Unkorrektheiten, die im „Reader’s Digest“ die Runde machen und von George Orwell, John Maynard Keynes und Joseph Schumpeter wohlwollend aufgenommen werden, wirken bis heute verstörend. Als notorischer Gutmensch, dem es um die „Schaffung einer Welt freier Menschen“ geht, unternimmt er – auf dem Höhepunkt des Krieges gegen das deutsche Verbrecherregime – nicht einmal den Versuch zu verhehlen, dass er sich bereits im „ideologischen Krieg“ der Zukunft befindet: gegen die Sowjetunion, den damaligen Bündnispartner Großbritanniens, und gegen die „Sozialisten in allen Parteien“, die den Westen, namentlich England (Beveridge-Plan) und die USA (New Deal-Politik), in eine wirtschaftspolitisch-wohlfahrtsstaatlich abgesicherte Zukunft führen wollen.

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