Kuba System Castro kämpft gegen den Tod

50 Jahre nachdem die Brüder Fidel und Raúl auf Kuba die Macht ergriffen, steht der Tropensozialismus vor seiner schwierigsten Bewährungsprobe. Die Weltrezession hat das System Castro in eine tiefe Krise gestürzt. Nur durch schnelle Verbesserungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich kann die Revolution überleben.

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Ob die begonnenen Reformen Raúl Castros ausreichen, um das Überleben des Staates zu sichern, ist fraglich. Quelle: dpa

MEXIKO-STADT. Man kann sich vorstellen, wie Fidel Castro wenige Stunden vor dem 50. Jahrestag der kubanischen Revolution, in seinem Adidas-Trainingsanzug auf dem Krankenbett sitzt und an einer seiner "Reflektionen" schreibt. Zwar ist der kranke Revolutionsführer seit fast zwei Jahren im Ruhestand, aber mit seinen Schriften lenkt er noch immer das politische Leben. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln wird er darüber philosophieren, dass ein halbes Jahrhundert, nachdem der Kapitalismus auf der Tropeninsel abgeschafft wurde, nun auch im Rest der Welt der Glaube an die Märkte wankt.

Dabei hängt der kubanische Tropensozialismus und das System Castro 50 Jahre nach der Vertreibung des Diktators Fulgencio Batista am 1. Januar 1959 selbst an einem dünnen Faden. Mit dem offiziellen Abtritt von Fidel Castro im Februar 2007 entstand auf der Insel eine zögerliche Dynamik der Öffnung. Nie zuvor in den vergangenen 50 Jahren gab es einen stärkeren Reformimpuls als im Moment. Und nur, wenn es der Regierung gelingt, schnelle Verbesserungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu schaffen, hat die Revolution eine Chance zu überleben.

Präsident Raúl Castro muss für höhere Einkommen, bessere Wohnungen sowie mehr persönliche und demokratische Freiheiten sorgen. "Kuba hat maximal drei bis fünf Jahre Zeit, die Situation deutlich zu verbessern", sagt der Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich. "Mehr Zeit gibt die Bevölkerung der Regierung nicht", ergänzt der Ideengeber der Linken in Lateinamerika und Kenner Kubas.

Denn Kuba befindet sich in einer tiefen Krise: Die Landwirtschaft produziert nicht genug, die Staatsbetriebe arbeiten ineffizient, die Korruption steigt, und mit einem Staatslohn ist fast nichts zu kaufen. Wer keine Devisenüberweisung aus dem Ausland erhält und mit einem Staatslohn auskommen muss, bedient sich am kollektiven Eigentum und verscherbelt unter der Hand, wessen er in seinem Job habhaft werden kann: Matratzen und Medikamente, Zigarren und Zement.

Die Volkswirtschaft wird von befreundeten Staaten wie Venezuela, China, Iran und Brasilien am Leben erhalten, die investieren und die marode Infrastruktur wieder herrichten. Aber ohne Hilfe von außen ist das System Kuba nicht überlebensfähig. Erschwert wird die Wirtschaftslage durch drei Wirbelstürme, die Kuba dieses Jahr heimsuchten und Schäden in Höhe von zehn Mrd. Dollar verursachten. Zudem treffen auch die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise die Insel hart. Die Weltmarktpreise für Exportprodukte wie Nickel fielen in den Keller, die Kosten für die Nahrungsmittelimporte verteuerten sich drastisch.

Castro kündigte daher jetzt einen drastischen Sparkurs an. Das Rentenalter werde um fünf Jahre nach hinten verschoben, Reisen der Staatsführung eingeschränkt und Sozialleistungen gekürzt. "Zwei und zwei ergibt vier und niemals fünf", sagte Castro II.

Zur Jahreswende gleicht die Insel einem Freilichtmuseum. Auf den Straßen fahren die Buicks und Fords, die vor dem Embargo Anfang der sechziger Jahre ins Land kamen. Von den Häusern an der Uferpromenade Havannas steht oft nur noch die koloniale Fassade. Genauso stehen geblieben ist die Ideologie, welche die umfassende Macht der Kommunistischen Partei festschreibt, die staatliche Regulierung des gesamten Lebens und das Verbot der politischen Opposition zementiert.

Für ein vorbildliches Bildungs- und Gesundheitssystem müssen die Kubaner die Entbehrungen der Planwirtschaft und die Beschneidung der persönlichen und politischen Freiheiten in Kauf nehmen. Andersdenkende landen schnell im Gefängnis. Und mehr als zwei Millionen Menschen haben die Insel seit der Revolution in Richtung Miami, Madrid und Mexiko verlassen, weil sie freie Meinung, freie Berufsausübung und freien Zugang zum Internet den Parolen von "Sozialismus oder Tod" und elf Euro Staatslohn vorziehen.

Die Öffnung für den Tourismus und der Zugang zu Devisen für manche hat Kuba zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gemacht, in der Revolutionsideale wie Würde und Gleichheit Geschichte sind. Dagegen wirken die Veränderungen unter Raúl Castro, der in den vergangenen Monaten Hotelübernachtungen, PC- und Handykauf sowie die Parzellierung des Landes zuließ, wie Trostpflaster. "Die Idee, formale Rechte wie Presse-, Meinungs- und Reisefreiheit durch soziale Rechte wie Gesundheit, Bildung und Arbeitsplatz ersetzen zu können, war ein gigantischer Irrtum", sagt Dieterich.

Dabei weckte der 1. Januar 1959, als der 32 Jahre alte Fidel Castro und seine bärtigen Kämpfer in Havanna einmarschierten, große Hoffnungen. In Europa waren sie träumerisch, in Lateinamerika konkret, denn auf dem Subkontinent waren fast überall Eliten an der Macht, die sich nicht um die sozialen Ungleichheiten scheren. Dass sich die Revolution gegen alle Wetter der Weltpolitik ein halbes Jahrhundert halten konnte, hängt mit der charismatischen Figur Fidel zusammen, den die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez einen "Hypnosekünstler" nennt (siehe Interview). Und es hängt damit zusammen, dass die Insel erst mit der Sowjetunion und nun mit Venezuela und Co. Freunde fand, die das System alimentierten.

Dennoch gleicht es vor dem Hintergrund der Zeitläufe einem Wunder, dass die Revolution überlebt hat. Am 1. Januar 1959 war Brasilien gerade zum ersten Mal Fußball-Weltmeister geworden, in Deutschland regierte Konrad Adenauer und in den USA Dwight D. Eisenhower. Er war der erste von zehn Präsidenten, die sich erfolglos am Sturz Castros versuchten.

Acht Fragen an: Yoani Sánchez

Frau Sánchez, die kubanische Revolution wird 50 Jahre alt. Ein Grund zum Feiern?

Nein, es ist der Jahrestag von etwas Totem. Es gibt keine Bewegung mehr, keine Veränderungen. Die Diskussionen sind erschöpft; es fehlen Ideen und Träume. Schauen Sie nur auf die wirtschaftliche Katastrophe.

Gibt es die Revolution noch in fünf Jahren, wie wird sie sein?

Möglich, dass es noch fünf Jahre dauert. Die Regierung besteht aus Achtzigjährigen, die dem Rest der Bevölkerung vorschreiben, was sie tun soll - ein mumifiziertes System.

Acht von elf Millionen Kubanern haben den 1. Januar 1959 nicht erlebt. Was bedeutet die Revolution für diese Menschen?

Ich kann nicht für meine ganze Generation sprechen. Aber meine Freunde, Studienkollegen und Altersgenossen hegen Skepsis oder Desinteresse gegenüber allem, was mit der Revolution zu tun hat. Unsere Regierenden sind für uns keine Erlöser.

Auf die Einträge in ihrem Blog (http://desdecuba.com/generaciony) gibt es bis zu 4000 Kommentare . . .

Mein Blog ist ein öffentlicher Platz. Hier kann man Themen ansprechen, die sonst tabu sind. Hier können Menschen, die an Kuba Interesse haben, ohne Zensur debattieren.

Was sind die spürbarsten Veränderungen, seit Raúl Castro führt?

Die langen Reden und die Aufrufe zu Demonstrationen fehlen. Die Telenovela fängt jetzt pünktlich an, weil Fidel das Programm mit seinen Reden nicht mehr aufhält. Es ist eine Veränderung des Stils, aber unser Leben hat das nicht beeinflusst.

Aber es gibt doch Wirtschaftsreformen . . .

Die internationale Presse macht diese größer, als sie sind. Wir dürfen jetzt Mobiltelefone kaufen, das ging früher nur auf dem Schwarzmarkt. Und nach 15 Jahren können wir nun in unseren Hotels schlafen. Aber es ist nur eine Farce. Denn die Mobiltelefone und die Hotels sind überteuert und für einen Kubaner mit einem normalen Einkommen nicht zu bezahlen.

Was fehlt denn dann vor allem?

Die Aufhebung der Reisebeschränkungen, die Abschaffung des doppelten Währungssystems, die Möglichkeit Häuser und Autos zu kaufen und verkaufen, kleine und mittlere Unternehmen zu gründen - und natürlich das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Braucht Kuba einen Systemwechsel, oder genügen Veränderungen innerhalb des Systems?

Wir brauchen keinen Systemwechsel. In Kuba gibt es keinen Sozialismus. Hier gibt es einen Staatskapitalismus mit dem großen und einzigen Wettbewerber namens Staat.

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