Ökonomen analysieren Warum die Welt ohne Bargeld nicht funktioniert

Eine Gruppe schwedischer Bankangestellter will das Bargeld komplett abschaffen. Ohne Münzen und Scheine gäbe es nämlich keinen Bankraub, keine Steuerhinterziehung und keine Schwarzarbeit, argumentieren sie. Ökonomen erklären, was die Abschaffung des Bargeld tatsächlich bedeuten würde.

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Euro-Scheine: Eine Welt ohne Bargeld bringt das Wirtschaftssystem durcheinander, sagen Ökonomen Quelle: dpa

KÖLN. Eigentlich war die Sache mit dem Hubschrauber gut für die schwedische Polizei. Zwar war es etwas peinlich, als die Beamten im vorigen Jahr zulassen mussten, dass mehrere Räuber mit einem Hubschrauber auf einem Bargeld-Depot in der Nähe von Stockholm landeten und mit über vier Millionen Euro wieder davonflogen. Aber der spektakuläre Raub war eine gute Argumentationshilfe für ihr neues Lieblingsthema: Die schwedischen Polizisten wollen das Bargeld abschaffen.

"Bargeld braucht nur noch deine Oma - und der Bankräuber", heißt ein Slogan der schwedischen Bargeld-Gegner. Ausgedacht haben ihn sich schwedische Bankangestellte, die aus Angst vor Überfällen als Erstes auf die Idee kamen, komplett auf bargeldlose Zahlungsmittel umzusteigen. Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und organisierte Kriminalität könne man so auch gleich erschweren, denn beim Drogendealer zahlen Kunden eben nur ungern mit Karte.

Doch was schwedische Polizisten und Banker so lautstark fordern, stößt bei Ökonomen auf Misstrauen. Eine Abschaffung des Bargelds brächte das Wirtschaftssystem gehörig durcheinander. Die Forscher befürchten schwache Zentralbanken, die totale Überwachung und Inflation. Vor allem aber: So einfach, wie sich die Schweden das vorstellen, lassen sich Münzen und Scheine gar nicht verbannen.

"Die Menschen würden auf andere Währungen und zur Not auf Edelmetalle ausweichen", sagt Paul G. Schmidt, der das Economics Departments an der Frankfurt School of Finance and Management leitet. Schwarzarbeit zum Beispiel würde ohne Bargeld zwar schwieriger, aber noch lange nicht unmöglich. Der Ökonom Friedrich Schneider, der an der Universität Linz über den Markt für Schwarzarbeit forscht, glaubt, dass die Schattenwirtschaft maximal um 15 Prozent schrumpfen würde, wenn das Bargeld abgeschafft wird. "Beim Rest würde auf andere Zahlungsmittel ausgewichen."

Statt einem sauberen Arbeitsmarkt gäbe es ein unüberschaubares Geld-Chaos aus Auslandswährungen, Naturalwährungen und Edelmetallen. Auch Gutschein-Systeme, mit denen Dienstleistungen direkt getauscht werden, seien vorstellbar, glaubt Schneider. Nicht nur bei Schwarzarbeit und Drogenkäufen würden diese Ausweichwährungen genutzt werden, sagt Ökonom Schmidt. "Auf Flohmärkten und in kleinen Geschäften ist eine Einführung von bargeldlosen Systemen einfach zu teuer."

Selbst wenn es gelänge, alle Menschen zum bargeldlosen Zahlen zu zwingen, sehen Ökonomen viele Probleme in einer bargeldlosen Welt. Zentralbanken hätten ohne Bargeld ein echtes Geldproblem. Die Notenbanken erwirtschaften ihre Gewinne zu einem großen Teil mit dem Drucken von Banknoten und dem Prägen von Münzen. Dabei sind die Gewinnmargen groß, denn ein Euro-Schein hat zum Beispiel Produktionskosten von durchschnittlich acht Cent. Die Differenz zum aufgedruckten Wert ist der Gewinn der Zentralbank, denn sie liefert die Scheine an Banken aus, die ihr dann den Geldwert schulden.

"Die Gewinne der Zentralbanken würden bei einer Abschaffung des Bargelds radikal zurückgehen, und das könnte deren Unabhängigkeit gefährden", sagt Malte Krüger, der an der Fachhochschule Frankfurt Geldpolitik lehrt. Im vergangenen Jahr überwies die Deutsche Bundesbank zum Beispiel rund 4,1 Milliarden Euro an den Bundeshaushalt.

Wer das Bargeld abschafft, riskiert ein starkes Geldmengenwachstum

In einer bargeldlosen Welt könnte das Geschäft andersherum laufen, und die Zentralbank müsste bei Politikern um Geld fragen und würde im Gegenzug eventuell auch Handlungsanweisungen erhalten. Um die entgangenen Gewinne auszugleichen und autonom zu bleiben, müsste die Zentralbank daher die Zinsen erhöhen, zu denen sich Banken bei ihr Geld leihen, schlägt der Düsseldorfer Geldtheoretiker Albrecht Michler vor.

Ökonomen legen den Zentralbanken in der bargeldlosen Welt ohnehin eine restriktive Geldpolitik ans Herz, denn es droht Inflation. Wer das Bargeld abschafft, riskiert ein starkes Geldmengenwachstum und damit die Gefahr von steigenden Preisen, prognostizierte schon vor 80 Jahren der berühmte Ökonom John Maynard Keynes in seinem Buch "Vom Gelde". Banken könnten theoretisch unendlich viel Geld erschaffen, wenn es kein Bargeld mehr gäbe, schrieb Keynes.

Dahinter steht der Prozess der Geldschöpfung, mit dem Banken Geld verdienen. Sie verleihen ihr Geld an Unternehmen und Privatpersonen und nehmen dafür Zinsen. So vermehren sie die Einlagen der Kunden und das von der Zentralbank geliehene Geld. Bargeld verkleinert das Kreditvolumen, denn das Geld, das die Bankkunden als Scheine und Münzen mit sich herumtragen, kann die Bank nicht verleihen. Wenn nur noch bargeldlos gezahlt würde, läge das Geld hingegen immer bei den Banken, die daher mehr Kredite vergeben könnten. So wächst in der Theorie die Geldmenge, und es kommt zu Inflation.

Um dieses Szenario zu verhindern, müsste die Zentralbank die sogenannte Mindestreserve erhöhen. Das ist der Betrag, den die Banken bei jedem vergebenen Kredit bei der Zentralbank hinterlegen müssen. Dieses Geld können die Banken nicht mehr verleihen. So kann die Zentralbank die Geldschöpfung bremsen. "Ich habe Vertrauen in die Europäische Zentralbank, das sie das machen würde, aber bei anderen Zentralbanken bin ich da nicht sicher", sagt Paul G. Schmidt. Denn die steigende Kreditvergabe der Banken könnte auch die Konjunktur stimulieren und einen wirtschaftlichen Aufschwung auslösen.

Die schwedische Notenbank möchte die Pläne ihrer bargeldfeindlichen Landsleute nicht kommentieren, lobt in einer Studie aber die Vorteile des bargeldlosen Bezahlens. Dabei kamen die Zentralbanker 2007 zu dem Ergebnis, dass bei Kartenzahlung rund ein Drittel weniger Transaktionskosten anfallen als beim bar bezahlten Einkauf.

"Wir zahlen auch in 100 Jahren noch mit Scheinen und Münzen"

Doch Ökonom Krüger glaubt nicht an den Mythos vom billigen Plastikgeld. "Bei bargeldlosen Zahlungsmitteln sind die Transaktionskosten nicht so gering, wie oft behauptet wird", gibt Krüger zu bedenken. Er ist in seinem zweiten Job bei der Pay Sys Consultancy GmbH, die Kreditkartenunternehmen berät. Ein elektronisches Zahlungssystem müsse ständig weiterentwickelt und sicherer gemacht werden und sei daher auch nicht billig. Bessere Computertechnik helfe nicht unbedingt weiter, sagt Krüger und widerspricht damit der unter Ökonomen weit verbreiteten Ansicht, dass technischer Fortschritt die Kosten immer weiter sinken lässt. "Durch den technischen Fortschritt wird es auch billiger und einfacher, die Zahlungssysteme anzugreifen."

Von den Argumenten der schwedischen Bargeld-Gegner bleibt nach der ökonomischen Analyse nicht viel übrig. Hinzu kommt: "Eine Bargeld-Abschaffung wäre ein massiver Eingriff in den Datenschutz bei einem sehr überschaubaren volkswirtschaftlichen Nutzen", sagt Friedrich Schneider. Elektronische Zahlungen können gespeichert und nachverfolgt werden.

Paul G. Schmidt räumt der Revolution aus Schweden daher keine großen Chancen ein. Seine Prognose: "Wir zahlen auch in 100 Jahren noch mit Scheinen und Münzen."

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