Russland Lage in Gefängnissen grenzt an Folter

Seit November 2008 saß der Wirtschaftsanwalt Sergey Magnitskij in Untersuchungshaft. Im November dieses Jahres starb der schwerkranke 37-Jährige. Eine von Präsident Dmitrij Medwedjew eingesetzte Kommission macht jetzt Behörden für den Tod des Anwalts verantwortlich.

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Nach dem Tod eines Anwalt in einem russischen Gefängnis, ist Präsident Dmitrij Medwedjew um Aufklärung bemüht. Quelle: ap Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Russlands Justizbehörden sind dafür verantwortlich, dass der inhaftierte Wirtschaftsanwalt Sergej Magnitskij elf Monate lang unter "folterähnlichen Bedingungen" inhaftiert war, die im November zu seinem Tod führten. Zu diesem Ergebnis kommt eine unabhängige Untersuchungskommission, die vor einem Jahr von Präsident Dmitrij Medwedjew eingerichtet worden war, um die notorisch schlechten Verhältnisse in den Haftanstalten zu überprüfen. Staatsanwälte, Beamte des Innenministeriums und der Gefängnisverwaltung hätten dabei versagt, die inhumane Behandlung des unbotmäßigen Juristen zu stoppen.

Magnitskij hatte seit November 2008 in Untersuchungshaft gesessen; die Ermittler hatten ihn so zu einer Aussage in einem Fall wegen Steuerhinterziehung gegen Hermitage Capital Management zwingen wollen. Der schwerkranke 37-jährige Anwalt hatte sich wiederholt über seine Haftbedingungen beschwert, war aber nicht ärztlich behandelt worden. Hermitage war einst der größte Investmentfonds in Russland, sein Chef William Browder hatte hervorragende Beziehungen zur Führung. Doch seit 2005 darf Browder nicht mehr einreisen und führt nun einen Kampf gegen die Regierung. Zuletzte beschuldigte er Top-Beamte des Innenministeriums, 230 Mio. Dollar aus dem Haushalt gestohlen zu haben.

Medwedjew hatte rasch zugesichert, den Tod Magnitskijs untersuchen zu lassen. Mitte Dezember entließ der Präsident den Chef der Moskauer Steuerpolizei, Anatolij Michalkin. Dieser gilt als einer der Verantwortlichen für die Internierung Magnitskijs. Zudem wurden mehr als 20 Gefängnisbeamte gefeuert.

In dem jetzt vorgelegten Bericht der Öffentlichen Aufsichtskommission heißt es, dass Magnitskij trotz vielfacher offensichtlicher Beschwerden nicht behandelt worden sei. Der Gefängnisarzt habe stattdessen eine psychiatrische Untersuchung angeordnet. Das sei Teil einer Strategie gewesen, den Anwalt zu einer Aussage zu bewegen. Bereits im Juni hatte ein behandelnder Arzt eine Operation angeordnet. Doch war Magnitskij daraufhin in ein Moskauer Gefängnis verlegt worden, das kaum über medizinische Einrichtungen verfügt. In der Folge litt der Anwalt monatelang, bevor er am 16. November starb.

Der Eingriff der Staatsanwälte in die gesundheitliche Versorgung der Gefangenen sei ein "ernsthaftes Problem, das dringend gelöst werden muss", betonte Walerij Borschew, der Vorsitzende der Untersuchungskommission. Zudem sei die Aufklärung von den beteiligten Beamten massiv behindert worden: "Sie logen. Sie haben uns ständig angelogen", sagte Borschew.

Soja Swetowa, ein weiteres Mitglied der Untersuchungskommission, ging in ihren Schlussfolgerungen noch weiter: "Ich hatte erst den Eindruck, dass Magnitskij aufgrund der Nachlässigkeit der Gefängnisärzte sterben musste", sagte sie in Moskau. "Aber jetzt habe ich den beängstigenden Verdacht, dass es nicht Fahrlässigkeit war, sondern ein in gewisser Weise vorsätzlich geplanter Mord."

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