Russland Putins Freunde

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Dmitrij Medwedew:

Denn noch immer werden 40 Prozent der russischen Wirtschaft von Politikern kontrolliert, die entweder dem einen oder dem anderen Kreml-Flügel nahestehen. Im Sommer, wenn viele der entscheidenden Aufsichtsratsposten neu besetzt werden, wird auch die Macht der rivalisierenden Lager neu ausgelotet. Putin hat alte Freunde nominiert: Vizepremier Sergej Iwanow für den Flugzeugkonzern OAK, Putins Berater Wiktor Iwanow für die Fluggesellschaft Aeroflot, Energieminister Wiktor Christenko für die Energieunternehmen UES und Transneft, Kudrin für die Bank VTB, Setschin für Rosneft und – als Ersatz für Medwedew – Subkow für den Aufsichtsratsvorsitz bei Gazprom. Mindestens zehn Minister besetzen Aufsichtsratsposten in den großen Staatskonzernen.

Aus Medwedews Wunsch, den Einfluss der politischen Kontrolleure in den Staatsunternehmen zurückzudrängen, dürfte also vorerst nichts werden. Vielmehr wird der scheidende Präsident Putin weiter versuchen, auch in seiner künftigen Rolle als Premierminister sowohl Silowiki wie Liberale in der Balance zu halten. Mit beiden Lagern muss Medwedew auskommen. Dass Subkow, sein Nachfolger an der Spitze der mächtigen Gazprom, aus dem gegnerischen Lager kommt, macht es für ihn nicht einfach. Auch mit Setschin steht ein Silowiki dem Aufsichtsrat von Rosneft vor. Damit werden die beiden wichtigsten Unternehmen des Landes von Gegnern Medwedews kontrolliert.

Wie unerbittlich in Moskau um die Macht über die strategischen Branchen gekämpft wird, zeigt der tiefe Fall des Michail Chodorkowski, einst reichster Mann und größter Ölbaron Russlands. Chodorkowski verspielte durch politische Ambitionen und allzu vertraulichen Umgang mit amerikanischen Ölkonzernen die Sympathien der Kreml-Herrscher. Nach einem Prozess gegen ihn wurde sein Konzern Jukos zerlegt und mittels Zwangsversteigerungen größtenteils Rosneft zugeschanzt. Medwedew mischte sich in den Fall zwar nicht ein, war vom Umgang der Justiz mit Chodorkowski, der in Sibirien eine achtjährige Haftstrafe verbüßt, jedoch nicht begeistert. „Eines der Schlüsselelemente unserer Arbeit in den nächsten vier Jahren wird sein, die Unabhängigkeit unseres Rechtssystems von der Exekutive und der Legislative zu sichern“, versprach der Kandidat für das Präsidentenamt. Wenn das ernst gemeint war, kann das nur heißen: Einen zweiten Fall Chodorkowski wird es unter Medwedew nicht geben.

Auch ausländische Energiekonzerne wie Shell und BP, die unter Putin häufig im Visier der Justiz waren, könnten dann mit milderer Behandlung rechnen. Eine weniger willfährige Justiz stünde jedoch in provokantem Gegensatz zu Setschins – und teilweise auch Putins – Überzeugung. Danach haben Richter und Staatsanwälte den Interessen der Staatswirtschaft und des russischen Staatsapparats zu dienen, namentlich gegenüber ausländischen Profiteuren und unzuverlässigen Oligarchen.

Wie riskant es in Russland für Angehörige des Justizsystems sein kann, sich ungebeten in Geschäftsinteressen einzumischen, zeigte erst kürzlich der Mord an Jewgenij Grigorjew. Der ranghöchste Staatsanwalt aus der Region Saratow wurde beim Verlassen seines Dienstwagens vor seinem Haus aus nächster Nähe erschossen – viele Indizien sprechen dafür, dass es ein Auftragsmord war. Grigorjew hatte – ganz im Sinne Medwedews – versucht, das Gesetz auch gegen korrupte Politiker und Unternehmer anzuwenden. Im Sommer 2007 sorgte er dafür, dass der ehemalige Verkehrsminister der Region wegen Amtsmissbrauchs zu viereinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde. Ein ehemaliger Landwirtschaftsminister war auf Betreiben des Staatsanwalts wegen Bestechlichkeit zu sechs Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Der Mord an dem liberalen Staatsanwalt gilt Beobachtern als Beispiel dafür, mit welcher Entschlossenheit die alten Garden sich noch immer zur Wehr setzen können.

Zu den alten Problemen des neuen Präsidenten kommt nun noch ein neues hinzu: In der russischen Wirtschaft wächst die Angst davor, dass die globale Finanzkrise doch noch auf Russland übergreifen könnte. Womöglich sind die russischen Banken stärker betroffen als sie bislang zugaben. So wies die russische Zentralbank Mitte Februar die Geschäftsbanken an, ihre Liquiditätsrücklagen deutlich zu erhöhen. Eine solche Anweisung gab es zuletzt vor zehn Jahren, als Russland in eine Zahlungskrise geriet. Auch jetzt verbirgt sich hinter der Anordnung die Angst vor einem massiven Kapitalabfluss ins Ausland.

Und noch eine andere Sorge treibt die Mächtigen in der russischen Wirtschaft um: Der nachlassende Energiebedarf einer schwächer expandierenden Weltwirtschaft könnte die Weltmarktpreise für russische Öl- und Gasexporte drücken. Russlands beachtlicher Wirtschaftsaufschwung, der fast ausschließlich auf dem Export von Rohstoffen basiert, wäre bedroht. Russland liefe Gefahr, sich nicht mehr so viele Importe leisten zu können wie bisher. Auf diese ist die russische Wirtschaft jedoch dringend angewiesen, weil es ihr bisher nicht gelungen ist, eine breite, leistungsfähige und international wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen.

Ein Präsident, der sich im Kampf um die Staatskonzerne aufreibt, während die Konjunktur einbricht und die Strukturschwächen der russischen Wirtschaft schonungslos zutage treten – das wäre eine Konstellation, in der Wladimir Putin sich wieder einmal als Mann der Stunde präsentieren könnte: als starker Führer und Einiger. Als Meister des Ausgleichs zwischen Silowiki und Liberalen. Als Retter Russlands.

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