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Studie Kurzfristiges Denken schadet der Wirtschaft

Schnelle Gewinne, nächstes Quartalsergebnis, Jahresbonus: Auf ausschließlich diesen Dreiklang hin ist das Tun vieler Manager ausgerichtet. Die Folge sind Entscheidungen, die langfristig dem Unternehmen schaden können.

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Manager verschieben Investitionen, um Quartalsergebnisse besser aussehen zu lassen. Quelle: fotolia

Köln Wären Andrew Haldane und Richard Davies Ärzte, sie würden reihenweise Brillen verschreiben. Für Manager, für Anleger, für Fondsmanager. Denn sie alle sind kurzsichtig, lautet die Diagnose der beiden, die ihr Geld als Volkswirte bei der Bank of England verdienen.

Haldane und Davies gehören zu den ersten Ökonomen, die handfeste empirische Belege für ein Phänomen liefern, über das sich bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise hauptsächlich Kapitalismuskritiker beklagt haben: ein zu kurzfristiges Denken in der Wirtschaft. Schnelle Gewinne, das nächste Quartalsergebnis, der Jahresbonus – das ist es, was für viele Manager zählt. Die Folge sind Entscheidungen, die langfristig dem Unternehmen schaden.

Shareholder-Value in der Kritik

Eine Reihe von wirtschaftswissenschaftlichen Studien zeigt: Diese Kritik ist zumindest zum Teil berechtigt. So verschieben Manager Investitionen, um Quartalsergebnisse besser aussehen zu lassen, und verzichten teilweise sogar auf die Wartung von Maschinen. Aktionäre und Fondsmanager verlangen immer höhere Dividenden und halten Aktien oft nur noch kurz im Portfolio.

Beides zusammen führt zu einem gefährlichen Kreislauf, in dem selten über das nächste Quartal hinaus gedacht wird. „Wir leben in einer Wirtschaft, in der wir Sklaven der sehr kurzfristigen Finanzgeschäfte sind“, diagnostiziert der italienische Ökonom Leonardo Becchetti (Tor-Vergata-Universität, Rom).

Auf der Suche nach Spuren für kurzfristiges Denken analysierten Haldane und Davies Aktienkurse und Dividenden von 624 Firmen in den USA und Großbritannien  über einen Zeitraum von knapp drei Jahrzehnten. Dabei stellten sie fest, dass die Anleger immer ungeduldiger geworden sind. In den 80er- und 90er- Jahren bewerteten Investoren Aktien, bei denen erst in einigen Jahren Kursgewinne anfallen würden, als lohnende Investitionen. Ab der Jahrtausendwende setzten sie hingegen meist auf Aktien, die schnelle Gewinne versprachen.

Besonders kurzsichtig sind Investmentfonds, hat der US-Investor John Bogle festgestellt: Sie behalten Aktien immer kürzer in ihrem Portfolio, weist er in einem Papier nach. Zwischen 1940 und 1955 hielten Fondsmanager ein Wertpapier im Durchschnitt sieben Jahre – heutzutage verkaufen sie Aktien meistens nach spätestens einem Jahr wieder.

Die Kurzsichtigkeit der Geldgeber ist hochgradig ansteckend – sie greift schnell auf Manager von börsennotierten Unternehmen über und führt zu Entscheidungen, die dem Unternehmen langfristig oft schaden. So würden 80 Prozent der Manager ein lohnendes Projekt auf Eis legen, wenn die Investitionen den angestrebten Quartalsgewinn gefährden würden, stellte ein Forscherteam um John Graham (Duke University) in einer Umfrage unter 400 Führungskräften fest. Auch nötige Neueinstellungen und sogar die Wartung von Maschinen würden sie auf die lange Bank schieben, damit die Quartalszahlen stimmen.


Wenn nur noch Ergebniskosmetik hilft

Als Grund für die Entwicklung sehen viele Ökonomen den Siegeszug des Shareholder-Value-Denkens. Manager sollen demnach bei ihren Entscheidungen vor allem die Steigerung des Aktienkurses im Sinn haben. Der US-Managementforscher Alfred Rappaport hat diese These in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre erstmals propagiert. Die Forscher um Graham stellen fest: Dies führt dazu, dass sich die Manager als Getriebene des Aktienmarkts fühlen – und alles versuchen, um den Wunsch nach steigenden Kursen zu befriedigen.  

„Der Shareholder-Value-Ansatz trägt entscheidend zum kurzfristigen Denken in der Wirtschaft bei“, ist daher Roger Martin überzeugt, Dekan der Rotman School of Management im kanadischen Toronto. Martin: „Er führt dazu, dass Manager ihre Aufgabe darin sehen, den Aktienkurs zu erhöhen, egal wie hoch er bereits ist.“ Das werde schnell zum Problem – zum Beispiel, wenn die Aktie überbewertet und die Luft nach oben dünn ist.

Dann hilft nur noch Ergebniskosmetik, wie sie die Forscher um John Graham beobachtet haben. „Manager, die dem Shareholder-Value-Ansatz folgen, treiben den Kurs oft durch kurzsichtiges Handeln nach oben und verlassen das Unternehmen, bevor die Kurse einbrechen“, kritisiert auch Martin. Wenn sich das kurzfristige Denken rächt, etwa weil das Unternehmen wegen der fehlenden Forschungsinvestitionen Marktanteile verliert, haben die dafür verantwortlichen Topmanager das Unternehmen schon wieder verlassen.

Alfred Rappaport diskutiert all diese Probleme nicht weg – sieht die Schuld aber nicht bei seinem Konzept, sondern bei den Managern, die es falsch anwenden. „Unternehmen haben Shareholder-Value nicht verstanden“, schreibt er in einem neuen Buch mit dem Titel „Saving Capitalism from short-termism“. Sein Konzept sehe auch Investitionen vor, die sich erst nach einigen Jahren auszahlen. „Manager, die den Shareholder-Value-Ansatz ernst nehmen, erhöhen den langfristigen Unternehmenswert, nicht den kurzfristigen Aktienkurs.“

Dass es in der Realität oft anders läuft, erklärt Rappaport mit falschen Anreizsystemen. Gewinnabhängige Boni und Aktienoptionen würden die Manager kurzsichtig machen. „Für Bonuszahlungen wird meistens der Jahresgewinn als Messgröße genommen“, schreibt er. Das verführe dazu, Investitionen zu verzögern, um kurzfristig die Kennzahlen zu schönen.

Abhilfe schaffen könnten vor allem neue Gehaltsmodelle. Manager müssten gezwungen werden, ihre Aktienoptionen länger zu halten. Wer erst nach mehreren Jahren verkaufen könne, behalte die langfristigen Interessen der Firma im Sinn.

Rotman-Dekan Martin dagegen hat einen weit radikaleren Rat: Er plädiert dazu, Aktienoptionen einfach komplett abzuschaffen.

Download der im Text zitierten Studien über handelsblatt.com/link

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