Urteil gegen Chodorkowskij Berlin zweifelt an Rechtsstaatlichkeit Russlands

Das harte Strafmaß gegen den Kremlkritiker Michail Chodorkowskij hat Empörung bei der Bundesregierung ausgelöst. Kanzlerin Angela Merkel sieht in dem Urteil einen Rückschritt auf dem Weg der Modernisierung Russlands. Außenminister Westerwelle und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wurden noch deutlicher.

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Chodorkowskij (l.) und Lebedew im Gerichtssaal. Quelle: dpa

HB MOSKAU. Der Kremlkritiker Michail Chodorkowskij kommt erst 2017 wieder auf freien Fuß. Ungeachtet scharfer internationaler Kritik verurteilte ein Moskauer Gericht den Erzfeind von Regierungschef Wladimir Putin am Donnerstag zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren. Im aktuellen Prozess wegen Geldwäsche und Unterschlagung erhielt Chodorkowskij 13,5 Jahre Haft.

Eine Strafe von acht Jahren aus einem ersten Verfahren werde darauf aber angerechnet, sagte Richter Viktor Danilkin nach Angaben der Agentur Interfax. "Es lebe unser unabhängiges russisches Gericht", rief Chodorkowskij sarkastisch nach der Verkündung des Strafmaßes.

Der frühere Chef des mittlerweile zerschlagenen Ölkonzerns Yukos hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Eine Begnadigung durch Kremlchef Dmitrij Medwedjew lehnte er ab. Nach Ansicht von Beobachtern will die russische Führung den noch immer einflussreichen und finanzstarken Chodorkowskij über die Präsidentenwahl 2012 hinaus politisch kaltstellen.

Die Bundesregierung kritisierte das Urteil als Rückschritt auf dem von Präsident Medwedjew eingeschlagenen Weg der Modernisierung Russlands. Berlin sei über das Urteil besorgt und werde den weiteren Verlauf des Falles mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans. "Das Verfahren und das Strafmaß werfen erhebliche Fragen hinsichtlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf."

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) reagierte besorgt. "Die erneute Verurteilung von Michail Chodorkowskij ist der bedauerliche Schlusspunkt eines von vielen Zweifeln begleiteten Prozesses", erklärte er. "Die Umstände des Verfahrens werfen ein kritisches Schlaglicht auf die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Russland und die Bemühungen um eine Modernisierung des Landes." Es liege im russischen Interesse, die Sorgen der internationalen Öffentlichkeit zu dem Ergebnis und Ablauf des Prozesses ernst zu nehmen.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete das Urteil als "eindeutig politisch motiviert". Dass Chodorkowskij "auf Jahre eingesperrt bleiben wird, erklärt sich nur dadurch, dass ein Chodorkowskij in Freiheit offensichtlich von den Mächtigen in Russland als politische Konkurrenz empfunden wird", sagte die FDP-Politikerin. Es sei völlig inakzeptabel, dass Chodorkowskij für den gleichen Sachverhalt noch einmal zu einer Strafe von nunmehr insgesamt 14 Jahren verurteilt wurde.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), zeigte sich "schockiert und zutiefst persönlich betroffen" über das Urteil. "Nun müssen wir in Europa überlegen, wie wir die russische Zivilgesellschaft, die Leute, die für Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen, in Zukunft besser unterstützen können", sagte Löning am Donnerstag in Berlin. Die russische Führung müsse sich Fragen zur Rechtsstaatlichkeit in dem Land stellen lassen.

Bereits der Schuldspruch Chodorkowskijs am Monatg war international scharf kritisiert worden. Das russische Außenministerium hatte dies als inakzeptabel zurückgewiesen.

Der 47-jährige Chodorkowskij saß während des Prozesses in einem Käfig aus kugelsicherem Glas. Seine Mutter verfluchte den Richter und dessen Nachfahren. Spezialeinheiten der Polizei riegelten das Gebäude weiträumig ab und verhinderten damit Demonstrationen von Regierungsgegnern, wie sie es Anfang der Woche während der Verkündung des Schuldspruchs gegeben hatte. Richter Danilkin hatte Chodorkowski und dessen Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew, der dasselbe Strafmaß erhielt, bereits am Montag schuldig gesprochen. Sie sollen Öl im Wert von 892 Milliarden Rubel (rund 22,5 Milliarden Euro) gestohlen haben. Chodorkowskij war im Herbst 2003 bei einem Zwischenstopp mit seinem Privatjet in Nowosibirsk festgenommen worden. Weder Putin, der kürzlich live im Staatsfernsehen eine Verurteilung Chodorkowskis gefordert hatte, noch Medwedjew haben sich seitdem zu dem Verfahren geäußert. Chodorkowskij selbst hatte angekündigt, das Urteil notfalls vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzufechten.

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