US-Wirtschaft Enttäuschte Hoffnungen

Die amerikanische Wirtschaft nimmt etwas Tempo auf. Doch bei den Arbeitnehmern kommt davon noch nichts an. Ökonomen und Politik streiten über Abhilfe.

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Eine Baustelle in Atlanta, Georgia. Die US-Wirtschaft läuft wieder besser – doch bei den Arbeitnehmern kommt noch nichts an. Quelle: dpa

New York Vier Jahre nach dem offiziellen Ende der Rezession im Juni 2009 hat sich die wirtschaftliche Lage der USA scheinbar deutlich verbessert: Die Häuserpreise steigen, Unternehmen machen hohe Gewinne und stellen verstärkt ein, Aktien steigen. An einer Gruppe jedoch scheint die Erholung vorbeizugehen: an den Arbeitnehmern, mithin an der Mehrheit der Bevölkerung.

Das National Employment Law Project (NELP), eine unabhängige gemeinnützige Organisation, verglich die mittleren Stundenlöhne von 2012 in rund 800 Berufen mit denen von 2009. Demnach sanken die Stundenlöhne kaufkraftbereinigt im Durchschnitt dieser 800 Berufe um 2,8 Prozent. Für die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten war der Stundenlohn im Jahr vier des Aufschwungs geringer als in der vermeintlichen Talsohle der Konjunktur. Die größten Einbußen mussten mit über fünf Prozent unter anderem Köche, Küchenhelfer, Zimmermädchen und Pflegehilfskräfte hinnehmen.

Dass die Situation auch 2013 nicht viel besser geworden ist, zeigt eine Analyse von Sentier Research in Annapolis. Ihre Monatsstatistik weist von Januar auf Februar ein leicht sinkendes mittleres Einkommen aus; seither herrscht Stagnation. "Obwohl wir uns technisch in einer Erholung befinden, zeigen die Zahlen, dass es keinen Aufwärtstrend bei den mittleren Jahreseinkommen gibt", sagt Sentier-Chefökonom Gordon Green.

Zusätzliche Härten kommen auf Geringverdiener zu, wenn sich im Kongress die Republikaner damit durchsetzen, die Hilfe zum Lebensunterhalt zu kürzen. Die Lebensmittelmarken von rund 133 Dollar im Monat beziehen derzeit fast 48 Millionen Amerikaner, 70 Prozent mehr als vor der Finanzkrise.

Laut einer Studie der regionalen Federal Reserve Bank in St. Louis vom Mai dieses Jahres haben amerikanische Familien im Durchschnitt erst 45 Prozent des Vermögens wiedergewonnen, das sie vor der Finanzkrise besaßen. "Junge, schlecht ausgebildete und nicht-weiße Familien verloren einen größeren Teil ihres Wohlstands als andere", sagt James Bullard, Präsident der St. Louis Fed. Denn von den staatlichen Hilfen für überschuldete Hausbesitzer profitierten vor allem die mit solidem Einkommen und guten Perspektiven. Arme und Arbeitslose mussten in die Zwangsversteigerung. Bullard sieht die ungleichgewichtige Entwicklung nicht nur als soziales Problem, sondern auch als Bremse für den Aufschwung.


"Konzeptionelle Verwirrung"

Zwar wächst die Wirtschaft, anders als in Europa. Doch weniger als 200 000 neue Jobs pro Monat sind angesichts der wachsenden Bevölkerung zu wenig für einen raschen Abbau der Unterbeschäftigung. Im Juli schufen die Unternehmen, wie am Freitag bekanntgegeben wurde, nur 162 000 neue Stellen. Zwar sank die Arbeitslosenquote innerhalb des vergangenen Jahres von über acht auf 7,4 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen aber stieg nicht. Das heißt: Der Rückgang ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich weniger Menschen arbeitslos meldeten - etwa weil sie resignierten oder in Rente gingen.

Vom Kongress beschlossene automatische Haushaltskürzungen lasten auf der Konjunktur. Deshalb hat der Internationale Währungsfonds vor kurzem seine Wachstumsprognose auf 1,7 Prozent nach unten korrigiert. Bei einem Bevölkerungswachstum von knapp einem Prozent ist das nicht viel.

Derweil sind, was Konzepte zur Abhilfe angeht, die Fronten zwischen den Ökonomen so verhärtet wie in der Politik. Eine "konzeptionelle Verwirrung" konstatiert Alan Blinder. Der Princeton-Ökonom und ehemalige Notenbankvize wirft seinen Kollegen vor, das kurzfristig Gebotene - Nachfrageförderung - und das langfristig Notwendige - Schuldenabbau - nicht auseinanderzuhalten. Stattdessen tobe ein unnötiger Glaubenskrieg um Nachfrageförderung versus Konsolidierung: "Jede Nation kann beide Strategien verfolgen", betont Blinder. Doch die Debatte in Washington und unter konservativen Ökonomen in den USA läuft anders. Da geht es nur darum, wann und wie stark die Ausgaben gesenkt und geldpolitische Impulse zurückgefahren werden sollen.

Bisher unterstützt die Notenbank die Konjunktur mit Nullzinsen und dem Kauf von Anleihen für monatlich 85 Milliarden Dollar. Monetaristen wie Allan Meltzer, der 85-jährige einflussreiche Notenbankhistoriker, halten das für falsch. "Arbeitslosigkeit ist ein reales, kein monetäres Problem", sagt er.


"Man muss Prioritäten setzen"

Selbst Paul Krugman, Nobelpreisträger und Dauer-Apologet für neue Konjunkturprogramme und Geldmengenausweitung, bestreitet nicht, dass niedrige Zinsen Spekulationsblasen begünstigen können. Jedoch: "Dieser Schaden wäre trivial verglichen mit dem Effekt, den steigende Zinsen auf die Arbeitslosigkeit haben." Man müsse eben manchmal Prioritäten setzen.

Die in diesem Jahr in Kraft getretenen automatischen Budgetkürzungen sind in weiten Teilen der Bevölkerung populär; wenn sie die Konjunktur nicht abwürgen, könnten sie den Republikanern als Vorbild für weitere Sparrunden dienen. Doch Blinder warnt davor, das Defizit schon jetzt aggressiv zu reduzieren. "Stattdessen sollten Strukturreformen beschlossen werden, die das Defizit in einigen Jahren verringern - dann, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht", fordert er. Bis dahin sollte Amerika seine Infrastruktur sanieren. An schlechten Straßen und baufälligen Brücken mangelt es nicht. Erst im Mai wurden wieder Menschen verletzt, als zwei Brücken plötzlich einstürzten.

Ausgerechnet in Berlin fand der New Yorker Ökonomieprofessor Robert Frank ein Vorbild. "Mir schien, dass die ganze Stadt im Aufbau war. In jeder Himmelsrichtung Kräne und anderes Baugerät", notierte er. Und das, obwohl die Deutschen fürs Sparen bekannt sind. Zurück in New York, mahnte Frank seine Landsleute: "Deutschland zeigt uns, wie wir in unserer festgefahrenen Debatte weiterkommen können."

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