Wahljahr 2009 Das Superwahljahr der Berliner Krisenmanager

Wer kämpft am überzeugendsten gegen die Krise? An dieser Frage entscheiden sich die Stimmergebnisse. Gewählt wird im Bund, in Europa, in vielen Ländern und Gemeinden, auch der Bundespräsident ist dran. Eines steht bei all den Wahlen dennoch jetzt schon fest: Im Wahljahr 2009 ist für Unsicherheit und somit ausreichend Spannung gesorgt.

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Rund 25 Prozent aller Wähler legt sich erst kurz vor der Wahl fest - für Spannung im Wahljahr 2009 ist somit gesorgt. Quelle: Archiv

BERLIN. Eigentlich beginnt das Superwahljahr 2009 schon am 5. Januar. An diesem Tag gibt zwar niemand einen Stimmzettel ab. Aber die Große Koalition will dann beraten, ob sie ihr Konjunkturpaket noch einmal aufschnürt oder nicht.

Was das mit den Wahlen zu tun hat? Sehr viel, denn der Erfolg der Parteien 2009 wird unmittelbar davon abhängen, wer im Jahr der Wirtschaftskrise die beste Antwort auf den Abschwung findet. Im Angesicht "einer dramatischen Krise der internationalen Finanzmärkte" wird 2009 "ein Jahr der schlechten Nachrichten" werden - auf diese Melodie in Moll hat Bundeskanzlerin Angela Merkel uns ja schon unmissverständlich eingestimmt.

Mehr denn je gilt deshalb für die Serie der Wahlentscheidungen im neuen Jahr der Klassiker aus dem Zitatenschatz der US-Kampagnen: "It?s the economy, stupid" - es kommt auf die Wirtschaft an, Dummkopf!

Bis zum Herbst 2008 lief es zumindest in der Realwirtschaft in Deutschland ganz ordentlich, aber das wird der Kanzlerin und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier bei der Bundestagswahl im kommenden Herbst wenig nutzen.

Nach allen Untersuchungen der Demoskopen und Wahlforscher nämlich lassen sich die Bürger in der Wahlkabine kaum davon leiten, ob die Bundesregierung das Land in den vorangegangenen Aufschwungjahren gut oder eher mäßig geführt hat. Die Wähler blicken in der Regel nicht zurück. Ihre Stimme für eine Partei stellt deshalb auch keine Belohnung für gute Politik dar, sondern ist eher eine Art Vertrauensvorschuss.

Mit Wahlentscheidungen verhält es sich im Prinzip wie mit Aktienkäufen: Man investiert vor allem in die Zukunft, also in die Erwartung, dass ein Unternehmen sich gut entwickeln wird oder dass ein Politiker die richtigen Entscheidungen treffen wird. In Krisenzeiten verdichtet sich deshalb alles auf die Frage: Kann die Kanzlerin Deutschland aus dem Tal der Tränen führen, oder traut man diese Aufgabe eher anderen Politikern zu?

Die Erfahrung lehrt, dass sich die Menschen in schwierigen Phasen tendenziell stärker anlehnen wollen und sich um ihre Führer scharen. Im reißenden Strom wechselt man nicht die Pferde. Schon Konrad Adenauer hat mit Blick auf die vorsichtige, ja ängstliche Wesensart der Deutschen den erfolgreichen Slogan geprägt: "Keine Experimente!" Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Große Koalition auch nach der Bundestagswahl am 27. September politisch weiter verwendet wird als zwar sperriges, aber auch stabiles Ruhekissen des zaghaften deutschen Michel.

Den Auftakt zum Superwahljahr 2009 geben am 18. Januar die Hessen. Nach dem Wortbruch von Andrea Ypsilanti und nach ihrem Wiesbadener Waterloo im Kampf gegen die vier roten Abweichler steht der wundersamen Wiedergeburt des schwarzen Comeback-Kid Roland Koch und seines liberalen Wunschpartners wohl kaum noch etwas entgegen.

Mindestens ebenso interessant dürfte bei der Hessen-Wahl das Abschneiden der Linken werden: Nachdem sie zuletzt mit 5,1 Prozent knapp die Zielmarke erreicht hatte, könnte Oskar Lafontaines versprengter Truppe jetzt das parlamentarische Aus drohen - ein möglicher Fingerzeig dafür, dass der Vormarsch der Linken in den westdeutschen Flächenländern zumindest verlangsamt wird.

Eine Weichenstellung wird auch die Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai bedeuten. Die Partei, die ihren Kandidaten im Schloss Bellevue durchbringt, hat bisher immer auch die nachfolgende Bundestagswahl gewonnen. Da die Mehrheit in der Bundesversammlung nach den Wahlen in Bayern klar zugunsten des amtierenden Kandidaten ausfällt, kann Horst Köhler sich aller Wahrscheinlichkeit nach für weitere fünf Jahre im Präsidialamt einrichten.

Nur zwei Wochen später, am 7. Juni, folgt mit den Wahlen für das Europaparlament und für die Rathäuser und Landkreise in gleich acht Ländern eine Art vorgezogener Stimmungstest. Sosehr die Ebenen zwischen den Kommunen und dem Straßburger EU-Parlament auch auseinanderfallen, so stark fällt doch die Tatsache ins Gewicht, dass die ganze Republik an die Urnen gebeten wird - und fast die Hälfte der Bürger wegen der zusammengelegten Wahlen zweimal abstimmen darf.

Für die Strategen der SPD ergibt der Wahl-Kalender kein schönes Szenario: Hessen geben die Genossen bereits verloren, Köhlers Gegenkandidatin Gesine Schwan ebenfalls, und bei den Europawahlen im Juni liegen die Sozialdemokraten schon wegen der höheren Wahlbeteiligung bürgerlicher Schichten tendenziell hinter der Union. Da die gleichzeitige Kommunalwahlserie in sechs CDU-regierten Ländern abgehalten wird, sieht auch diese Prognose für Sozialdemokraten wenig verlockend aus. Fazit: Bis zur Sommerpause 2009 droht der SPD eine Niederlage nach der anderen. "Da kann leicht ein Abwärtstrend für uns entstehen", sorgt sich ein altgedienter SPD-Abgeordneter deshalb. "Es muss uns dann nach den Sommerferien gelingen, diesen Trend umzukehren."

Wie gut das gegen alle Erwartungen gelingen kann, hat bei der letzten Bundestagswahl 2005 Gerhard Schröder bewiesen. Während Union und FDP schon über die Verteilung der Kabinettsposten stritten, pflügte Wahlkampfmaschine Schröder durch das Land. Zu Merkel fehlte ihm am Ende nur noch ein Wimpernschlag.

Dieser Schock, den sicher geglaubten Sieg am Wahlabend um ein Haar verpasst zu haben, sitzt bei der CDU und ihrer Vorsitzenden immer noch ganz, ganz tief. Jede Art von leichtfertiger Zuversicht wird deshalb von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sofort unterbunden. "Die Wahl ist erst am 27. September um 18 Uhr entschieden", trommelt der Parteimanager deshalb. Auch die FDP ist vorsichtig. Guido Westerwelle will natürlich mit der Union "einen echten politischen Wechsel", aber der Vorsitzende der Liberalen hält sich "wie ein guter Kaufmann auch andere Optionen offen".

Schwer zu prognostizieren sind die drei Landtagswahlen, die am 30. August auf dem Kalenderblatt des Superwahjahres stehen. Am sichersten ist noch die Einschätzung, dass der neue Ministerpräsident Stanislaw Tillich in Sachsen die Vorherrschaft der CDU in der Großen Koalition in Dresden verteidigen kann - sofern er keine groben Fehler macht und ihm die notleidende Chipindustrie in Silicon Saxony nicht zusammenbricht. Während die sächsische SPD mehrheitlich einer Fortsetzung der Großen Koalition an der Seite der CDU zuneigt, muss sich in Thüringen der CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus echte Sorgen machen. Wenn die SPD in Erfurt stärker aus der Landtagswahl hervorgeht als die Linke, werden die Sozialdemokraten in Thüringen ein rot-rotes Bündnis unter ihrer eigenen Führung anstreben - andersherum sieht es dann eher nach Großer Koalition mit der CDU aus.

Tendenziell ähnlich ist die Ausgangslage im Saarland. Zwar sind die Linken dort bei weitem nicht so stark wie in den Ost-Ländern Sachsen und Thüringen. Aber unter Führung des Saar-Napoleons Oskar Lafontaine gilt ein Sieg der Linken über die Saar-SPD nicht als ausgeschlossen - ein hochspannender Kampf zwischen den verfeindeten roten Brüdern.

Nur vier Wochen nach dieser Wahl biegt die Republik dann auf die politische Zielgerade ein. Während der Ausgang der Bundestagswahl noch völlig offen ist, rechnen die Beobachter für die gleichzeitig stattfindende Landtagswahl in Brandenburg mit wenig Überraschungen. SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck ist beliebt, lehnt eine Koalition mit den Linken im Lande standhaft ab und schaut in Ruhe zu, wie sich die CDU in der Mark Brandenburg mit internen Ränkespielen selbst aufreibt. Alles andere als die Fortsetzung der Großen Koalition zwischen starker SPD und schwacher CDU in Potsdam wäre eine echte Überraschung.

Ob Angela Merkel diesmal die angestrebte "echte Wende" mit der FDP schafft, ist offener denn je. Das Desaster der Schwesterpartei CSU in Bayern wird von den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus als Menetekel gewertet. Liegt die CSU bei der Bundestagswahl wieder nur bei 43 Prozent, kann Merkel die bürgerliche Option vergessen. Ohne die überproportional vielen Stimmen der bayerischen CSU-Wähler sieht die Union bundesweit eher blass aus.

Allerdings kann Merkel jetzt auf ihren Amtsbonus als Kanzlerin vertrauen. Und anders als 2005 tritt sie nicht gegen den fast genialen Wahlkämpfer Schröder an, sondern gegen dessen früheren Sachwalter im Kanzleramt, Frank-Walter Steinmeier. Der Außenminister gilt nicht als großer Redner und Magnet der Massen. Allerdings ist auch Merkels Rhetorik eher sachlich und schnörkellos. Vielleicht müssen sich die Bundesbürger ja 2009 an einen etwas trockeneren Wahlkampf gewöhnen.

Anders als Merkel tritt Steinmeier jedoch im Team an. Finanzminister Peer Steinbrück hat sich als kompetenter Retter und Feuerwehrmann in der Finanzkrise empfohlen, und Franz Müntefering hält die Seele der SPD zusammen. Die Wirkung dieses Dreier-Bündnisses auf verschiedene Wählergruppen ist nicht zu unterschätzen. Allerdings liegt die SPD auch mit diesem Dreigestirn in den Umfragen mehrheitlich immer noch unter 30 Prozent - das Kanzleramt ist da noch weit entfernt.

Da sich mittlerweile rund 25 Prozent der Wahlberechtigten erst zwei Tage vor der Wahl tatsächlich festlegen, ist für ausreichende Unsicherheit und damit für Spannung jedenfalls gesorgt.

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