Wirtschaftskrise Chinas Ochsentour im Jahr des Ochsen

Was für deutsche Ohren traumhaft klingt, ist für ein aufstrebendes Schwellenland eine Katastrophe: Im kommenden Jahr muss sich China mit fünf Prozent Wachstum begnügen. Die Regierung in Peking steht vor einer völlig neuen Herausforderung. Sie muss den Bürgern die Krise erklären und ihnen neuen Mut machen.

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In der Krise ist China-Ware nicht mehr gefragt: Für 2009 wird ein Exportminus von bis zu 15 Prozent erwartet. Quelle: dpa

PEKING. Auf dem Pekinger Blumenmarkt Laitai konnte man sich vor Weihnachten an den Folgen der weltweiten Rezession erfreuen. Auf dem kleinen Weihnachtsbasar gab es neben blinkenden Merry-Christmas-Sternen diesmal auch Räuchermännchen, Nussknacker und Rausche-Engelchen. Die Ware stamme aus Südchina und sei eigentlich für den Export produziert worden, lautete die Auskunft der Verkäuferin. Doch die Bestellungen wurden in letzter Minute storniert. "Wegen der Krise", habe sie gehört. Und so landete der Erzgebirgsschmuck "made in China" nicht in Berliner Kaufhäusern, sondern auf dem Markt in Peking.

Die Botschaft der Engel vom Laitai-Markt: China, die weltweit viertgrößte Wirtschaftsmacht, kann sich von der globalen Rezession nicht abkoppeln. Und Chinas Wirtschaft ist auch nicht stark genug, um den Rest der Welt aus der Krise zu befreien.

Das Land habe von der wirtschaftlichen Globalisierung in den vergangenen Jahrzehnten am meisten profitiert, sagt Andy Xie, Analyst in Schanghai. "Daher sind die Auswirkungen der globalen Krise besonders groß." Das Reich der Aufsteiger steht damit jedoch vor neuen Problemen. Denn weltweit wollen die Kunden plötzlich keine China-Ware mehr: Im November gingen erstmals seit sieben Jahren die Exporte gegenüber dem Vorjahr zurück.

Für 2009 wird nun ein Exportminus von bis zu 15 Prozent befürchtet. Für Chinas Planer ist das eine verkehrte Welt: In den vergangenen fünf Jahren waren die Ausfuhren jährlich im Schnitt um 28,5 Prozent gewachsen. Vor allem Exporte waren bislang die Jobmaschine in den Küstenprovinzen. Zudem machen sie einen erheblichen Anteil des Wachstums aus, das in den vergangenen Jahren stets zweistellig war.

Alles Vergangenheit. Für 2009 hat die Weltbank ihre China-Prognose bereits kräftig auf 7,5 Prozent nach unten korrigiert. Viele Experten halten auch diesen Wert noch für zu optimistisch. Der Internationale Währungsfonds befürchtet sogar, dass das Wachstum auf fünf Prozent sinken könnte. Das mag zwar für deutsche Ohren noch traumhaft hoch klingen, doch ist dieser Wert für das aufstrebende Schwellenland China vergleichbar mit einer Rezession in einem Industrieland. Chinas Führung steht damit vor neuen Herausforderungen. Denn mit solch einem Wachstum wird China erstmals nicht ausreichend Arbeitsplätze schaffen können. Schon in den vergangenen Monaten haben im Perlflussdelta, dem Hinterland von Hongkong, Tausende von Fabriken dichtgemacht, mussten Millionen Arbeiter die Küstenregion verlassen. Und das war erst der Auftakt, befürchten die Experten.

Was noch vor einem halben Jahr als schlechter Witz gegolten hätte, ist nun die Aussicht für 2009: Das chinesische Wirtschaftswunder gerät ins Wanken. Korrekt verweisen die Chinesen darauf, dass sie nicht der Auslöser der Krise sind. Doch das hilft wenig. Und mit dem Abschwung offenbaren sich die Versäumnisse der Pekinger Politik und des chinesischen Wirtschaftssystems. Zu sehr wurde auf den billigen Exportboom und auf staatliche Investitionsprogramme gesetzt. Der oft angekündigte Umbau der Wirtschaft, hin zu mehr Innovation, Qualität und Privatwirtschaft, fand in der Realität kaum statt. Alles wurde dem schnellen Erfolg geopfert. Peking bleibt darum nun kaum eine andere Wahl, als sich mit Investitionsprogrammen der Superlative über die Krise zu retten.

China muss sich neu erfinden, doch für einen Umbau und für Reformen ist in der Krise keine Zeit. Doch die Führung muss schnell handeln, wenn sie den Absturz verhindern will. Das eilig aufgelegte Konjunkturprogramm aber, das mit einem Volumen von 460 Mrd. Euro weltweit für Schlagzeilen und Beifall sorgte, lässt viele Fragen offen. Nur ein Drittel der Summe entfalle auf neue Projekte, schätzen Analysten. Finanzierung und Zeitplan sind unklar. Und: Der Konsum wird mit Brücken und Autobahnen kaum angekurbelt.

Doch genau das Ziel hat sich Pekings Führung als oberste Priorität für 2009 auf die roten Fahnen geschrieben. Die Gleichung ist simpel: Mehr inländischer Verbrauch soll den Exportrückgang ausgleichen. Doch die Chinesen halten aus Angst vor dem Absturz ihr Geld momentan lieber zusammen. Das ist nicht überraschend, war auch vor der Krise schon so: Der Anteil des Konsums am Bruttoinlandsprodukt sank in den letzten Jahren deutlich auf 37,1 Prozent. In Amerika liegt er fast doppelt so hoch.

Wenn es China in den fetten Jahren trotz immens hoher Sparquote nicht geschafft hat, den privaten Verbrauch anzukurbeln, wie soll dies nun in Krisenzeiten gelingen? Der Konsum werde kaum zulegen, meint darum auch Stephen Green, Ökonom von Standard Chartered. Denn für den Spardrang der Chinesen gibt es gute Gründe: Es mangelt an sozialer Absicherung. Im Reich der Mitte ist nur Bares eine Versicherung gegen Alter, Krankheit oder Unfall.

Die Regierung müsse erst ein vernünftiges Sozialsystem aufbauen, wenn sie das Vertrauen der Verbraucher gewinnen wolle, meint David Dollar, China-Chef der Weltbank in Peking. Doch selbst wenn Chinas Führung durch den Druck der Krise das Thema nun anpackt, dauert es Jahre, bis so ein System funktioniert. Und dann braucht es weitere Zeit, bis sich die Menschen abgesichert fühlen. Erst dann, so die Experten, werden sie ihr Erspartes für den Kauf von Computern, Möbeln und Autos nutzen.

China wird also 2009 kaum den erhofften Konsumboom erleben. Für den Westen ist das keine sehr gute Nachricht zum Jahreswechsel. Und die Chinesen selbst reagieren zunehmend verunsichert auf die sich ausbreitende Krise. Sie sind nach 30 Jahren Boomwirtschaft und Vorwärts-Propaganda auf solch eine Situation schlichtweg nicht eingestellt. Überall stehen junge Leute nun bei Job-Börsen Schlange. Die Fluktuation in der Belegschaft, in China bislang immer sehr hoch, sei zum Stillstand gekommen, erzählt ein deutscher Unternehmer in Peking. Die Angst vor der Zukunft hat sich ins stabile Reich geschlichen.

"China muss ein Mindestwachstum von acht Prozent erreichen", lautet noch immer die mutige Parole der Staatsmedien. Doch an solch einen Zuwachs glaubt kaum noch jemand. Das Jahr des Ochsen, das für die Chinesen Ende Januar beginnt, wird eine echte Ochsentour werden. Chinas Konjunktur werde erst einmal massiv einbrechen, heißt es bei Morgan Stanley, bevor es Ende 2009 wieder bergauf gehe.

Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking-Universität, hält sogar einen längeren Absturz für möglich. Er zieht eine historische Parallele: 1929 habe Amerika ebenfalls satte Handelsüberschüsse und die höchsten Währungsreserven weltweit gehabt, so Pettis: "Waren die USA immun gegen die Krise? Nein, Amerika war am stärksten betroffen." Das könnte auch China blühen.

Chinas Regierung ist sich dieser Gefahr bewusst und bereitet das 1,3-Milliarden-Volk für 2009 schon mal auf das Schlimmste vor. Die Tageszeitung "China Daily" lässt bereits "frostige Winde der globalen Rezession" übers Land fegen, und seit Wochen warnen Politiker vor steigender Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen.

Vom Kurs der Regierung im neuen Jahr hänge die Zukunft der Wirtschaftsmacht ab, ist Weltbank-Experte Dollar überzeugt. Für die viertgrößte Volkswirtschaft könnte 2009 als Jahr der Entscheidung und als Meilenstein in die Geschichtsbücher eingehen. Aufstieg oder Absturz - 30 Jahre nach der Öffnung unter Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping steht China erneut vor einer Zeitenwende.

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