Zahnarztkrimi um Uniklinik Düsseldorf Gerichtssaal statt Behandlungszimmer

Winkelzug zum Prozessauftakt: Wolfgang Raab soll als Chef der Uniklinik Düsseldorf wissenschaftliche Mitarbeiter privat eingesetzt haben. Sein Verteidiger hält die Anklage für fehlerhaft. Sie wurde trotzdem verlesen.

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Ein Whistleblower gab detailliert zu Protokoll, wie Raab sein Schattenreich betrieben haben soll. Quelle: Handelsblatt

Düsseldorf Der Professor hatte Urlaub. Statt im Behandlungszimmer in der Zahnklinik saß Wolfgang Raab am Mittwoch in Saal E. 127 des Düsseldorfer Landgerichts. Dunkler Anzug und graue Krawatte statt weißer Arztkittel. Anstelle von Patienten saßen ihm zwei Staatsanwälte gegenüber. Denn Raab, der frühere Vorstandschef der Uniklinik, ist angeklagt.

Bohren statt Forschen und Lehren

Er soll über Jahre hinweg Rechnungen in Millionenhöhe gestellt aber dafür kaum gearbeitet haben. Stattdessen ließ er einen wissenschaftlichen Mitarbeiter die Patienten behandeln, den die Uni Düsseldorf eigentlich für Forschung und Lehre bezahlte. So jedenfalls sieht es die Staatsanwaltschaft – und wirft dem Zahnarzt in ihrer 280 Seiten starken Anklage Untreue im besonders schweren Fall vor. Angeblicher Schaden für die Universität: Rund 350.000 Euro.

Zum Prozessauftakt erklärte Raabs Verteidiger Sven Thomas, dass er die Anklage für unzureichend halte. Auf den ersten Blick war es das übliche Geplänkel, mit dem Anwälte in Wirtschaftsstrafverfahren versuchen, die Justiz mürbe zu machen. Auf den zweiten Blick war es ein Winkelzug.

Thomas warf der Staatsanwaltschaft vor, ihre Anklage nicht konkret genug gefasst zu haben. Die Strafverfolger hatten zunächst neben der Untreue auch wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs ermittelt. Diesen Teil des Verfahrens stellte die Staatsanwaltschaft jedoch später ein. Das war bislang ein üblicher Vorgang in Strafverfahren, um unnötigen Aufwand zu vermeiden, wenn ein anderes Delikt – hier die Untreue – schwerer wiegt. Laut Verteidiger Thomas hätte die Anklage dennoch mehr Einzelheiten auch zum Abrechnungsbetrug enthalten müssen. Nur so könne sichergestellt werden, dass sein Mandant nicht Gefahr läuft, wegen einer Tat zwei Mal verurteilt zu werden.

Es geht um 2.195.073,50 Euro

Der vorsitzende Richter der 14. großen Strafkammer, Volker Geißels, ließ die wesentlichen Punkte der Anklage dennoch verlesen. Nur so könnten sich auch die Schöffen ein ausreichendes Bild machen. Und so erfuhren die rund 50 Zuschauer im Saal erste Details aus dem Fall, der nach einer Razzia der Sonderkommission „Paola“ (Privatabrechnung ohne Legitimation) im Frühjahr 2012 an die Öffentlichkeit kam.

Raab habe in seiner Privatpraxis insgesamt 2.195.073,50 Euro abgerechnet, aber nur 0,139 Prozent der Leistungen selbst erbracht, erklärte der Staatsanwalt. Raab stützte den Unterarm auf den Tisch und hielt sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn. Über die Randlose Brille hinweg blickte er, die Stirn krausgezogen, den Staatsanwalt an.


Der Professor geht mit einem Lächeln

0,139 Prozent? Raabs Rechnungen an die Patienten lasen sich ganz anders: „Für meine ärztlichen Bemühungen erlaube ich mir, den Betrag (…) in Rechnung zu stellen“, lautete ein Formschreiben an Patienten. Dann bat der Professor um Überweisung auf ein Konto bei der Stadtsparkasse. Die Rechnungen enthielten Positionen vom Anlegen eines Spanngummis für 8,42 Euro bis zur Compositefüllung mit Mehrschicht-Technik und Lichthärtung für 106,08 Euro. Das Handelsblatt sprach 2015 mehrere Patienten auf ihre Rechnungen an. Die meisten sagten damals, sie hätten Raab nicht zu Gesicht bekommen.

Muss die Justiz ihre Praxis ändern?

Nachdem der Staatsanwalt die Anklage verlesen hatte, unterbrach Richter Volker Geißels die Verhandlung. Am kommenden Freitag soll es weitergehen. Bis dahin klärt die Strafkammer, wie sie mit dem Antrag der Verteidigung umgeht. Folgt sie Sven Thomas, müsste die Staatsanwaltschaft eine neue Anklage formulieren. Und nicht nur das: Womöglich müsste die Justiz in ganz Deutschland ihre Praxis ändern – dieses Szenario erscheint aber eher unwahrscheinlich.

Ungeachtet dessen ging der Verteidiger nach dem Auftakttermin zur Tagesordnung über. Noch im Gerichtssaal verteilte Sven Thomas eine Presseerklärung. Raab weise die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück, heißt es darin. „Die zuständigen Gremien der Universität und des Klinikums waren sowohl über die Existenz der Privatambulanz als auch über die Vertretung von Professor Dr. Raab durch Ärzte des Klinikums bei der Behandlung von Patienten informiert. Gleiches gilt – selbstverständlich – für die Patienten selbst.“

Tür an Tür mit dem Belastungszeugen

Der Professor selbst verließ den Gerichtssaal am Vormittag mit einem Lächeln. Am Donnerstag will er den dunklen Anzug wieder gegen den weißen Arztkittel tauschen. Die Uni Düsseldorf beurlaubt ihn nur für die Prozesstage. In der Zahnklinik arbeitet er damit weiter Tür an Tür mit seinem Hauptbelastungszeugen und trifft regelmäßig Mitarbeiter, die schon bald öffentlich über ihn aussagen könnten. Das Gericht plant bis zum 13. Dezember zunächst mit fünf weiteren Verhandlungstagen.

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