Tauchsieder
Applaus für sich selbst? Chinas Staatsoberhaupt Xi Jingping. Quelle: REUTERS

Na bravo, China!?

Xi Jinping riskiert die Zukunft Chinas. Seine Seidenstraße mündet in einer Sackgasse. Seine Verachtung für die USA bremst das Wachstum. Seine Coronapolitik treibt europäische Unternehmen aus dem Land.

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Niemand weiß allzeit besser, was das Beste für China ist, als: Präsident Xi Jinping. Als im März vor vier Jahren 2956 von 2958 sogenannten Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses Präsident Xi ergebenst baten, er möge ihnen die Gunst erweisen, bis an sein Lebensende Staat, Nation und Volk zu führen, nahm Präsident Xi das Ansinnen mimisch ungerührt, mit gleichsam kaiserlicher Huld auf. Einerseits. Andererseits verbeugte er sich gestisch vor einem klassischen Stilmittel des Kaderkommunismus: Xi gewährte den Sendboten aus der Provinz die Gnade seines Gunsterweises, indem er ihrem Applaus applaudierte – mithin die Emissäre und sich selbst, mit Beifall bedenkend, für die Weisheit ihrer Bitte um Führung belobigte.

Das ist Vulgärrousseau und Neoludwig XIV. im Quadrat, plus je eine Prise Platon und Hegel: Man will der Welt signalisieren, dass der absolut gesetzte Gemeinwille regiert in Peking, der von allen ausgeht und auf das Wohl aller zielt, sonnenköniglich repräsentiert durch Xi den Großen, der kraft philosophenköniglicher Reife paradoxerweise an der Spitze dieses egalitären chinesischen Idealstaates steht – eines Staates, in dem Führer und Volk ununterscheidbar sind als vernunftvertraglich miteinander verschweißte Applausgemeinschaft, die in Dauerschleife sich selbst gratuliert: „Volonté générale“ meets „L’État c’est moi“ – weil „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“, dass Xi als eine Art waltender Weltgeist allgemein gewollte Zwecke verwirklicht…

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Und Weltgeist – das ist unbedingt wörtlich zu verstehen, weil „Geschichte“ in China noch als etwas Wurzelndes und Wesendes verstanden wird, das sich dank Xi jetzt segensreich vervollkommnet: Die chinesische Antike zum Beispiel wird Schülern in Peking und Shanghai von klein auf als Referenz und Leitstern einer modernen „Pax Sinica“ vor Augen geführt, als Beispiel für eine Weltinnenpolitik der Kooperation und Koexistenz, geprägt von einem gütigen Hegemon, dessen unwiderstehliche Anziehungskraft sich seiner natürlichen Superiorität und Systemüberlegenheit verdankt. Die zentrale Vokabel in dieser schmeichelnden Selbsterzählung heißt „tianxia“, eine Art Harmonieideal, das sich auf „alles unter dem Himmel“ erstreckt: keine „greifbare Ordnung“, so der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel, vielmehr „ein Lebensgefühl hierarchischer Geborgenheit“.

Zumindest theoretisch. Denn praktisch meint „tianxia“ eine robuste Interessenpolitik, die die KP Chinas Vertragspartnern als Win-win-Konstellationen unterjubelt: als Partnerschaften, die sich am besten in hierarchischen Verhältnissen und Tributbeziehungen realisieren lassen – so viel Einsicht muss sein. Anders gesagt: Für den inferioren Rest der Welt geht es aus Sicht Chinas vor allem darum, die Autorität des „tianxia“-Inhabers im Wege der freiwilligen Unterwerfung anzuerkennen, seine kulturellen Vorzüge assimilierend zu genießen, seiner politischen Meisterschaft Gehorsam zu bezeigen – sich in den „Mahlstrom“ seiner segensreichen Zentripetalkräfte ziehen zu lassen.

China versteht das als faires Angebot an die Welt, als weltpolitischen Masterplan für die „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ (Präsident Xi). Der gütige Hegemon strebt, so der chinesische Philosoph Zhao Tingyang, das „konfuzianische Optimum“ allseitiger Nutzenmaximierung an, die „Inklusion der Welt“ – und die Überwindung aller situativen und sonder-interessen-geleiteten Interventionspolitik, aller asymmetrischen Machtverhältnisse, aller kolonialen Herr- und Knecht-Beziehungen. Eine Vielvölkerfreundschaft zum Wohle des Weltfriedens, darum geht es: unter Chinas Himmel. Es ist ein Entwurf, der die Priorisierung westlicher Werte (Konkurrenz, Individualität, Menschenrechte) scharf in Frage stellt und das Paradox einer totalen Weltinnenpolitik zum Wohle (und Wohlstand) des größten denkbaren Kollektivs feiert: der Menschheit eben.

Aus Chinas Sicht können sich diesem Projekt natürlich auch Länder anschließen, die es mit der Demokratie, dem Rechtsstaat und dem Schutz der Menschenrechte nicht so genau nehmen: Der gute Tyrann versteht sich schließlich nicht nur als Anwalt der Mehrheit, sondern ist volksdemokratisch eins mir ihr: ganz Utilitarist, der auf das größte Glück der größten Zahl baut und nur an Ergebnissen interessiert, er hält sich nicht mit Nörglern und Bremsern auf und schon gar nicht mit demokratischen Prozeduren. Warum auch? Eine Regierung für das Volk arbeitet womöglich besser als eine Regierung durch das Volk, zumal heute: Wozu noch Wahlen, wenn sich Stimmungen und Meinungen im Stundentakt algorithmisch abschöpfen, wenn Bevölkerungen sich datenpolitisch klug bewirtschaften lassen?

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Die „Belt and Road Initiative“ („Neue Seidenstraße“) Chinas ist so etwas wie die konsequente Materialisierung dieser Staatsphilosophie – und der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) traf den Nagel auf den Kopf, als er in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 konzedierte: China ist derzeit „das einzige Land der Welt mit einer wirklich globalen, geostrategischen Idee“: Das Projekt markiert die Bemühungen Chinas, den maritim überlegenen USA im Falle einer Konfrontation auf den Weltmeeren nicht ausgeliefert zu sein (Blockade der Handelswege), die Infrastruktur seines Warenverkehrs zu diversifizieren (rund 90 Prozent Seefracht) - und Europa ein wenig aus dem transatlantischen Bündnis heraus zu lösen, es halbwegs zu neutralisieren mit Blick auf eine mögliche Zuspitzung des G-2-Konflikts (USA versus China).



Diese Zuspitzung nimmt längst Konturen an. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist (nicht nur) in Chinas Lesart eine verständliche Reaktion auf die Osterweiterung der Nato und die notorische Übergriffigkeit der USA – viele in China und Indien, in weiten Teilen Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens schauen schulterzuckend darauf, dass halt jetzt auch mal wieder in Europa Krieg herrscht. Die chinesischen Staatsmedien urteilen täglich die Doppelmoral der Vereinigten Staaten ab (Irak) und bauschen das Risiko einer Bedrohung Chinas durch den übergriffigen Weltpolizisten auf. Und das siebenseitige Dokument des chinesisch-russischen Freundschaftsbündnisses vom Februar 2022 zeugt auf fast schon groteske Weise von der aufopferungsvollen Pflege eines gemeinsamen Feindbildes: „die USA und der Westen“.

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