Die Schweinegrippe und das Golfkriegssyndrom Krisenkommunikation per Kettenmail

Das Tempo, mit dem sich eine einzige ziemlich windige Ketten-Email zur Schweinegrippe-Impfung und einem angeblichen Zusammenhang zum Golfkriegsyndrom über die Republik ausbreitet, ist atemberaubend und ein Lehrstück dafür, wie Krisenkommunikation im Internet-Zeitalter funktioniert – oder auch nicht funktioniert, findet WirtschaftsWoche-Redakteurin Susanne Kutter.

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Ein Schild weist am Dienstag Quelle: dpa

Ich kenne die Email der Frankfurter Ärztin Juliane Sacher inzwischen fast auswendig: Sie stellt einen Zusammenhang her zwischen den beiden Schweinegrippe-Impfstoffen, dem darin enthaltenen Squalen und dem so genannten Golfkriegssyndrom.

Sacher zieht den Schluss: „Wenn die Bundesregierung ihren Willen durchsetzt und 35 Millionen Menschen geimpft werden, ist damit zu rechnen, dass acht bis neun Millionen Bundesbürger für die nächsten Jahrzehnte unter chronischer Müdigkeit und Fibromyalgie leiden werden.“

Und sie fordert in ihrer Mail, die wie die Warnung vor Computerviren daher kommt, jeden Leser auf: „Geben Sie dieses Email bitte an möglichst viele ihrer Bekannten weiter.“

Das haben offensichtlich Heerscharen von Menschen getan, denn die Warnung verbreitete sich in atemberaubendem Tempo über die  Republik.

Allein auf meinem Rechner tauchte diese Mail mit dem Anreißer-Text „Schweinegrippe-Nebenwirkungen, wer es noch nicht weiß“ in den vergangenen Tagen x-Mal auf. Erst bekam ich sie von einer Freundin, die gerade entbunden hat und deren Hebamme sie mit Hinweis auf die Frankfurter Ärztin warnte. Wie ich aus eigener Erfahrung als Mutter von drei Kindern weiß, stehen viele Hebammen Impfungen gegenüber sehr ablehnend gegenüber. Insofern wunderte mich der Text nicht sonderlich.

Doch dann funkte mich meine Steuerberaterin mit dem identischen Wortlaut an. Und kurz darauf bekam ich ihn von Kollegen und Lesern geschickt – jeweils mit einem Mega-Verteiler und einer Mail-Historie, die ganz klar erkennen lässt: Offensichtlich hat jeder, der die Mail bekam, sie an alle ihm  bekannten Menschen gesandt. Inzwischen wird sie offensichtlich im Sekundentakt verschickt, so dass ich es kaum noch bis zum Kopierraum schaffe, ohne dass mich ein Kollege darauf anspricht.

Kaum einer scheint den Wahrheitsgehalt der Mail zu zu hinterfragen

Was mich dabei so wundert: Kaum einer scheint den Wahrheitsgehalt der Mail zu hinterfragen, bevor er seinen Freundes- und Bekanntenkreis damit befeuert und ihn in Aufruhr versetzt.

Eine Ärztin als Absender scheint als Garant für die Stichhaltigkeit jedweder Argumente auszureichen.

Ich war mir zunächst nicht sicher, ob es diese Juliane Sacher wirklich gibt, oder ob sie ein Phantom ist. Doch sie scheint wirklich zu existieren, hat zumindest eine Praxis-Adresse und eine Telefonnummer. So mailte ich sie an – mit ein paar Worten zu meiner sehr anderen und eher positiven Einschätzung der Impfufng sowie einigen Web-Links auf meine Artikel zum Thema.

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