Geht Ikea künftig so? Kunden kreieren am heimischen PC aus einem elektronischen Katalog ihren ganz persönlichen Designertisch. Per Mausklick gehen ihre Aufträge an eine Armada von 3D-Druckern.
Die bauen bei einem Dienstleister oder im Ikea-Geschäft selbst die Möbel Schicht für Schicht auf, wahlweise aus holzartigem Material oder einem schicken Kunststoff. Zwei Tage später holt der Kunde sein Wunschstück ab.
Käme es so, wären Deutschlands Wohnstuben nicht wiederzuerkennen. Konfektionierte Einheitsware verschwände, stattdessen verliehen individuelle Möbel dem eigenen Heim eine persönliche Note. Ikea müsste keine riesigen Fabriken mehr betreiben, sondern produzierte vor Ort.
Tatsächlich sind das keine Fantastereien mehr. Der 3D-Druck, bei dem Kunststofffäden, Metallpulver oder Keramiken Schicht für Schicht zu Gegenständen verschmelzen, erklimmt gerade die nächste Evolutionsstufe. Erst entstanden in den Maschinen vor allem Prototypen; jetzt erobert die additive Fertigung, so das Fachwort, die Serienproduktion. Mithilfe von Druckerfarmen, wie sie Logistikkonzerne, etwa UPS, FedEx und TNT, gerade aufbauen. Oder indem die Geräte Eingang in die Produktionsstraßen von Autobauern und Waschmaschinenherstellern finden.
Grund für die neuen Möglichkeiten sind die gewaltigen Fortschritte der Technik: Die Maschinen können nicht mehr nur Kleinteiliges drucken – Brillengestelle, Handyschalen oder Spielzeug –, sondern jetzt eben auch Großformatiges wie Tische, Frontpartien für Busse oder sogar Hauselemente. Und das immer schneller. Überdies können sie jetzt Farben kombinieren, verschiedene Materialien nutzen und Elektronik integrieren.
All dies wird die Herstellprozesse vieler Produkte radikal ändern, etwa von Schuhen und Kleidung. Mit weitreichenden Folgen. So könnte es sich wieder lohnen, diese in Deutschland statt an Billigstandorten in Vietnam oder Bangladesch zu produzieren.
Ein Wegbereiter dieser Entwicklung ist das Berliner Start-up BigRep. Dessen Kopf ist René Gurka. Der Mann mit dem leicht angegrauten Haupthaar und modischer Hornbrille residiert im vierten Stockwerk eines Kreuzberger Gewerbehofs. Die Fläche quillt über mit riesigen Druckern, in denen aus Kunststoffen Objekte von mehr als einem Meter Höhe und Breite heranwachsen. Größer kann derzeit niemand – weshalb sich Gurka als Vorreiter der Marktumwälzungen sieht.
Produkte entstehen immer häufiger vor Ort
Und billiger ebenfalls nicht. Gemessen an den Preisen vergleichbarer Spitzendrucker von einer Million Euro und mehr, ist das Monstergerät aus Berlin geradezu ein Schnäppchen. 50.000 Euro verlangen die „Punks aus Kreuzberg“, so Gurkas Selbstbezeichnung, was viele Produkte aus dem 3D-Drucker erstmals rentabel macht.
Kein Wunder, dass die Nachfrage floriert. Waren es vergangenes Jahr 65 Geräte, will BigRep dieses Jahr schon 200 absetzen und den Umsatz von 1,8 auf bis zu 8,0 Millionen Euro treiben. Selbst das führende US-Technikmagazin „Wired“ ist auf die Deutschen aufmerksam geworden und adelte sie als das „Ikea der Zukunft“.
Wer nicht mitmacht, ist schnell raus
Wichtiger für die Gründer: Auch Investoren begeistern sich für ihre Maschinen und spendierten vergangenen November sieben Millionen Euro. So gestärkt wollen die Berliner den Druckerboom weiter befeuern. Durch ihn entsteht gerade ein Markt für additive Fertigung, der 2018 rund 11,3 Milliarden Euro groß sein soll, so die Beratung Bain & Company. Und der das Potenzial hat, Branchen umzustürzen. Schon warnt Rainer Gebhardt, Leiter Additive Manufacturing beim Maschinenbauverband VDMA: Wer jetzt nicht mitmache, sei in ein paar Jahren raus.
Auswahl von 3D-Druck-Verfahren
Ähnlich der "Heißklebepistole" wird Material aufgetragen, das anschließend aushärtet.
Ähnlich wie beim Tintendrucker wird Material tröpfchenweise aufgebracht und ausgehärtet - zum Beispiel wird Kunststoff durch UV-Strahlung polymerisiert.
Ein Bindematerial wird auf eine Materialschicht (zum Beispiel Sand) aufgebracht - später wird das ungebundene Material abgenommen und die gewünschte Kontur bleibt stehen.
Eine Pulverschicht wird durch Wärme (Laser) verschweißt. Nach dem schichtweisen Aufbau kann das lose Material abgenommen werden und es bleibt die gewünschte Kontur stehen.
Direktes Materialschmelzen - ähnlich dem Pulverbett-Schmelzen, allerdings wird das Material bereits gezielt am gewünschten Ort aufgetragen und verschmolzen.
Die Gefahr ist real. Hörgeräte sind ein Beispiel. Nur die Hersteller haben überlebt, die auf Gehäuse umgestiegen sind, die der 3D-Drucker für jeden Träger passgenau herstellt. Als Nächstes könnten Uhren, T-Shirts, Elektromotorräder und Roboter ihre konventionell hergestellten Pendants verdrängen.
Erste Anbieter ergreifen die Chance. Philips-Kunden konnten jüngst erstmals Form, Farbe und Größe ihrer Rasierer personalisieren. Der Brite Galahad Clark will ab 2017 passgenaue Modelle seiner legendären Schuhmarke aus dem 3D-Drucker anbieten.
Auch die Logistikkonzerne rüsten sich für eine Zukunft, in der Produkte immer häufiger vor Ort entstehen, statt um die halbe Welt gekarrt zu werden. Besonders aktiv ist UPS. Der Konzern hat in den USA Druckerfarmen mit mehreren Hundert Geräten eingerichtet, die rund um die Uhr Werkstücke für GE Aviation oder Whirlpool fertigen.
Und das ist nur der Anfang. Ulli Klenk, der bei Siemens das Kompetenzzentrum für additive Fertigung leitet, ist überzeugt: Die vielseitigen Drucker werden schon bald Teil regulärer Produktionslinien. Doch dafür müssen die Geräte sich so hoch automatisiert bedienen lassen wie heute Fräsmaschinen und Drehbänke. Der niederländische Spezialist Additive Industries hat mit seiner MetalFab1 eine solche Anlage gerade vorgestellt.
Sogar Gurkas Traum vom Ikea der Zukunft könnte schneller Realität werden als gedacht. Der schwedische Möbelriese plant zumindest schon einmal Ersatzteile für alte Möbel zu drucken.