Abrüstung Wie Russland mit deutscher Technik Atom-U-Boote abwrackt

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Rostende U-Boote klein Quelle: Energiewerke Nord

Die U-Boote in der Werft zu zerlegen ist nur der erste Schritt. Anschließend werden die Rumpfteile in den Fjorden des Murmansker Gebiets gelagert, oft über Jahre. So lange, bis Länder wie Norwegen oder Deutschland die weitere Verarbeitung finanzieren. Anders als vor ein paar Jahren fehlt es den Russen zwar nicht mehr an Geld, um die Verschrottung zu bezahlen. Doch für die Regierung hat das Thema keine Priorität. Also liegen die Bootsteile so lange im Wasser, bis Geld aus dem Ausland kommt. Erst dann können die Ingenieure des Kurtschatow-Instituts mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnen: der Verpackung der Reaktoren.

Hierbei sind die Russen auf deutsches Know-how angewiesen. Der 67-jährige Warnawin ist ein alter Hase im Atomgeschäft. Als Experte für Reaktorsicherheit hat er früher in Kernkraftwerken gearbeitet: „In Russland wissen wir, wie man Atomanlagen baut, aber nicht, wie man sie wieder unschädlich macht.“

Wenn es darum geht, strahlende Anlagen abzubauen, sind deutsche Ingenieure weltweit führend. Schließlich steht in Lubmin bei Greifswald ein Kraftwerk, an dem sie üben konnten: Der fünfte Block des Meilers war noch nicht hochgefahren worden, als die DDR zusammenbrach und deren Atompläne eingestampft wurden. So konnten deutsche Ingenieure in der Realität lernen, wie man Atomreaktoren sicher wieder abbaut.

Sicherheit für die nächsten Jahrzehnte

Warnawin war mit seinen Kollegen bereits zwölfmal vor Ort. Über Wochen verfolgte er den gesamten Reaktorabbau, um festzustellen: Die Liquidierung der schwimmenden Atomkraftwerke der Barentssee läuft nach ähnlichem Muster ab.

Inzwischen weiß Warnawin, wie Reaktoren versiegelt werden müssen, damit ein U-Boot-Wrack für die nächsten Jahrzehnte keine Gefahr mehr darstellt: Zunächst betonieren Arbeiter die Zisterne unter dem Reaktor zu. Anschließend wird eine 27 Zentimeter dicke Platte am Reaktorboden befestigt, die je nach dem Grad der Verstrahlung aus Beton, Blei oder Stahl besteht. Auf das Metall, das durch Regenwasser rosten kann, kommt eine Schutzschicht aus Speziallack, die regelmäßig erneuert werden muss.

Tagsüber kontrollieren die Projektleiter Mietann und Warnawin die Sicherheit und den Baufortschritt im Zwischenlager der Saida-Bucht. Den Abend verbringen sie in Murmansk – gezwungenermaßen. Richtig wohl fühlt sich keiner von beiden im Hotel Meridian, wo die Abwracker Quartier beziehen. Ins Restaurant, wo Fischsuppe und Hacksteaks aus der Kühltruhe auf der Karte stehen, gewährt ein stämmiger Wachmann nur Einlass, wenn Besucher den Mantel an der Garderobe abgelegt haben. Rüdes Personal, viel Bürokratie, kleine Zimmer – das Hotel wird den Mief der Sowjetunion nicht los.

Angst vor rostenden Reaktoren

Was den 56-jährigen Mietann aber viel mehr stört, ist, dass die Bauarbeiten nicht vorankommen. Die Fertigstellung des Zwischenlagers hinkt ein halbes Jahr dem Zeitplan hinterher. Auf dem Hof liegen zwar Reaktoren, aber die Wartungshalle ist noch nicht ausgestattet. Der russische Zoll hat Lieferungen nicht zügig durchgelassen. Entlüfter, die radioaktive Partikel aus der Luft filtern, konnten noch nicht montiert werden. Dabei wird die Anlage dringend benötigt: „Zwei Reaktorsektionen müssen schleunigst in die Halle, damit wir sie neu konservieren können“, sagt Mietann. Der Lack blättert.

Die Reaktorteile im Zwischenlager werden daher Tag und Nacht von Sicherheitskräften der Atombehörde Rosatom überwacht. Ständig patrouillieren Wachleute über das Gelände. Kein Unbefugter soll sich den Behältern nähern.

Das Zwischenlager ist Endstation für ausrangierte U-Boote, den einstigen Stolz der Sowjetunion. „Wer auf diesen Booten gedient hat, zählte zur Elite der Kriegsmarine“, sagt Ambarzumjan. Einem Patrioten schmerzt das Herz beim Blick auf die Wracks sowjetischen Rüstungsstolzes. Ambarzumjan aber ist kein Patriot, sondern Chemiker. Der Friedhofsdirektor ist erst zufrieden, wenn sein Hafen leer ist. Er weiß: Es wird noch Jahre dauern. Und keiner kann sagen, ob er den Job jemals vollenden wird. 

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