Abrüstung Wie Russland mit deutscher Technik Atom-U-Boote abwrackt

Abrüstung bewegt wieder die Weltpolitik. Auf dem U-Boot-Friedhof in Murmansk helfen deutsche Ingenieure, die Reste des Kalten Kriegs zu beseitigen. Ein Knochenjob für Mensch und Maschine.

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Atom-U-Boot

Totenstill, kalt und dunkel ist der Polarwinter im Norden Russlands. Allenfalls für einige Stunden pro Tag spendiert die Natur bei minus 30 Grad ihr schummriges Nordlicht. Starke Scheinwerfer hüllen die Piere in gruseliges Neon-Grell. Wie Bühnenstars beleuchten sie die rostigen Reste zerlegter Atom-U-Boote.

Schauplatz ist die Saida-Bucht, anderthalb Fahrstunden nördlich von Murmansk. Auf dem größten U-Boot-Friedhof der Welt verwest der Stolz sowjetischer Großmannssucht: Unterwasserboote aller Klassen, die im Kalten Krieg als atomare Erstschlagswaffen in den Weltmeeren patrouillierten, werden hier im Wasser der Fjorde zu einer gefährlichen Hypothek. Die schwimmenden Schrottberge stecken voller radioaktiver Strahlung, die die Umwelt belasten.

Herr über den Anlegehafen ist Wasgen Ambarzumjan. Der Armenier, der unter wirrem graumeliertem Haar eine Hornbrille mit lupengroßen Gläsern trägt, kennt jedes U-Boot samt seiner Geschichte. Früher war der 52-Jährige als Offizier auf Atom-U-Booten im Einsatz. Heute ist er Chef des Langzeit-Zwischenlagers in Murmansk – der Friedhofsdirektor sozusagen. Doch diesen Vergleich hört Ambarzumjan gar nicht gern. „Das ist kein Friedhof“, sagt der Chemie-Ingenieur, „was Sie hier sehen, ist eines der sichersten und modernsten Atommüll-Zwischenlager der Welt.“

Vor wenigen Wochen erst hätten Militärexperten aus Amerika die Anlage besucht – und gestaunt, sagt Ambarzumjan: In den USA sei es üblich, Reaktorkerne in der Wüste von Nevada zu parken. Bei ihm nicht. Hier in Murmansk werden die Stahlkolosse zerlegt, einbetoniert, hermetisch versiegelt. Mit reichlich Know-how aus Deutschland.

Schmutziges Geschäft

Bis heute messen sich Russland und die USA an Superlativen. Früher waren die Sowjets stolz, dass sie vor den Amerikanern das größte U-Boot der Welt gebaut hatten. Heute loben sie ihr modernes Lager für dessen radioaktive Wracks. Doch in Murmansk zeigt sich auch, wie schmutzig das Geschäft mit der Abrüstung ist. Das Zerlegen der Wracks ist gesundheitsgefährlich für die Arbeiter, die Sicherung der verstrahlten Reaktoren zugleich technisch hochkomplex.

Auf der weltpolitischen Bühne merkt man davon wenig. Gerade treten die Abrüstungsverhandlungen zwischen Russland und den USA in die heiße Phase: Auf das im Dezember ausgelaufene Start-I-Abkommen soll ein neuer Vertrag folgen, der die Zahl der strategischen Offensivwaffen begrenzt. US-Verhandler stört, dass Russland die neue Rakete Bulawa testet, die Atomsprengköpfe per Satellit ins Ziel lenken könnte.

Die russischen Unterhändler, meint Sicherheitsexperte Ruslan Puchow vom Moskauer Zentrum für Strategie- und Technologieanalyse, wollen die „vorbildliche Lagerung“ ihres Atomschrotts in die Verhandlungen einbringen – auch, um die Amerikaner zu überzeugen, dass bei aller Abrüstung der Bau moderner Waffensysteme wie Bulawa gestattet ist.

Unkalkulierbares Risiko

Gerade die Deutschen forcieren die Diskussion. Abrüstung ist ein Lieblingsthema der FDP und steht ganz oben auf der Agenda von Außenminister Guido Westerwelle. Vordenker aller Parteien, darunter Exbundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) und Altkanzler Helmut Schmidt (SPD), treffen sich am 2. und 3. Februar mit US-Strategen wie Henry Kissinger, um die deutsche Position vorzutragen.

Bei Russlands U-Boot-Sauriern reicht den Amerikanern als Abrüstung, dass die Nuklearraketen aus dem Torpedoraum entfernt und vernichtet werden. Die Europäer aber geben sich mit der bloßenEntwaffnung der Flotte nicht zufrieden. Die schwimmenden Atomkraftwerke, die in den Häfen der Barentssee verrotten, sind für sie ein unkalkulierbares Risiko. Deshalb hat neben Norwegen, Italien und Großbritannien auch die Bundesregierung Geld lockergemacht. Bis 2012 sollen allein aus deutschen Kassen 600 Millionen Euro in die russische U-Boot-Verschrottung fließen.

Murmansk Quelle: Igor Starkov für WirtschaftsWoche

In der Region Murmansk, wo Autofahrer durchaus mal von Braunbären überrascht werden und nachts Wölfe heulen, ist Detlef Mietann einer der wichtigsten Experten. Der deutsche Ingenieur hat früher für die Energiewerke Nord (EWN) im pommerschen Lubmin einen DDR-Reaktor abgebaut. Im Oktober 2003 beauftragte das Wirtschaftsministerium die EWN mit dem Murmansk-Projekt. Mietann übernahm den Job vor Ort.

Mit Mietanns Hilfe zerlegten die Partnern vom Moskauer Kurtschatow-Institut für Atomenergie bereits 39 U-Boote auf der Nerpa-Werft im Militär-Städtchen Sneschnogorsk, 25 Kilometer nördlich von Murmansk. Die ersten 33 verpackten, 13 Meter hohen Reaktorteile stehen bereits im Zwischenlager, einem ummauerten Hof unter freiem Himmel zwischen den Felsen in der hügeligen Saida-Bucht.

Salzwasser treibt das Gefahrenpotenzial in die Höhe

Bis 2014 soll einige Hundert Meter weiter in Richtung Festland ein Entsorgungszentrum in Betrieb gehen, eine riesige Halle aus Stahlbeton, ausgestattet mit einem speziellen Entlüftungssystem. Hier soll Atommüll aus dem gesamten Nordwesten Russlands gesammelt werden. Die Bauarbeiten laufen.

Solch ein Endlager wird dringend gebraucht: „Überall, wo U-Boote stationiert oder gebaut wurden, liegt heute radioaktiv verseuchtes Material herum“, sagt Kurtschatow-Chef Anatoli Warnawin. Strahlendes Kühlwasser zum Beispiel, das in Bottiche gekippt und im Erdboden versenkt wurde. Oder Werkzeug, das zur Instandhaltung des Reaktors diente und in Lagerhallen liegen blieb. Der strahlende Müll findet sich quer durch das ganze Land: in Häfen von Wladiwostok oder Murmansk, in Werften wie Komsomolsk am Amur oder Sewerodwinsk am Nordmeer.

Doch die größte Gefahr sind die U-Boote selbst. 87 Wracks rosten in den Fjorden der Barentssee, „und die können uns große Probleme machen“, sagt Oleg Jerin von der Nerpa-Werft. Jerin ist ein bulliger Mann, mit kahl geschorenem Kopf und Doppelkinn. Er sieht aus, als sei er noch selbst beim Militär. Dabei arbeitet der 42-Jährige als Kaufmann auf der Werft und ist für internationale Angelegenheiten zuständig. Wenn die Boote im Wasser liegen, sei die Reaktorstrahlung zwar für Menschen vorerst ungefährlich, sagt er. Doch sie könne Fische und Pflanzen töten. Zudem zerfrisst das Salzwasser die Außenhaut und legt den Reaktor langsam frei, was die Strahlendosis und damit das Gefahrenpotenzial in die Höhe treibt.

Krebsfälle bei den Arbeitern

Alle paar Monate nimmt Jerin am Trockendock der Werft einen Unterwasserkoloss in Empfang. Braune Algen kleben am Rumpf des Riesen, wenn er ins Trockendock gezogen wird. Die Brennelemente sind zu diesem Zeitpunkt schon per Castor-Zug auf dem Weg ins Zwischenlager Majak bei Osjorsk am Ural. Zurück bleiben verstrahlte Wracks, die Jerins Arbeiter mit Schweißbrennern binnen sechs bis acht Monaten zerlegen.

Ein gefährlicher Job: „Natürlich gibt es unter den Kollegen Krebserkrankungen“, sagt Jerin, doch einen Zusammenhang mit der Arbeit an den U-Booten will er nicht sehen. Trotzdem zahlt die Werft ihren Schweißern eine Risikozulage.

Die Nerpa-Werft hat mit der größten U-Boot-Abwrackaktion der Geschichte bis dato rund 50 Millionen Euro verdient. Allein das Zersägen der Stahlkolosse kostet drei bis fünf Millionen Euro.

Rostende U-Boote klein Quelle: Energiewerke Nord

Die U-Boote in der Werft zu zerlegen ist nur der erste Schritt. Anschließend werden die Rumpfteile in den Fjorden des Murmansker Gebiets gelagert, oft über Jahre. So lange, bis Länder wie Norwegen oder Deutschland die weitere Verarbeitung finanzieren. Anders als vor ein paar Jahren fehlt es den Russen zwar nicht mehr an Geld, um die Verschrottung zu bezahlen. Doch für die Regierung hat das Thema keine Priorität. Also liegen die Bootsteile so lange im Wasser, bis Geld aus dem Ausland kommt. Erst dann können die Ingenieure des Kurtschatow-Instituts mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnen: der Verpackung der Reaktoren.

Hierbei sind die Russen auf deutsches Know-how angewiesen. Der 67-jährige Warnawin ist ein alter Hase im Atomgeschäft. Als Experte für Reaktorsicherheit hat er früher in Kernkraftwerken gearbeitet: „In Russland wissen wir, wie man Atomanlagen baut, aber nicht, wie man sie wieder unschädlich macht.“

Wenn es darum geht, strahlende Anlagen abzubauen, sind deutsche Ingenieure weltweit führend. Schließlich steht in Lubmin bei Greifswald ein Kraftwerk, an dem sie üben konnten: Der fünfte Block des Meilers war noch nicht hochgefahren worden, als die DDR zusammenbrach und deren Atompläne eingestampft wurden. So konnten deutsche Ingenieure in der Realität lernen, wie man Atomreaktoren sicher wieder abbaut.

Sicherheit für die nächsten Jahrzehnte

Warnawin war mit seinen Kollegen bereits zwölfmal vor Ort. Über Wochen verfolgte er den gesamten Reaktorabbau, um festzustellen: Die Liquidierung der schwimmenden Atomkraftwerke der Barentssee läuft nach ähnlichem Muster ab.

Inzwischen weiß Warnawin, wie Reaktoren versiegelt werden müssen, damit ein U-Boot-Wrack für die nächsten Jahrzehnte keine Gefahr mehr darstellt: Zunächst betonieren Arbeiter die Zisterne unter dem Reaktor zu. Anschließend wird eine 27 Zentimeter dicke Platte am Reaktorboden befestigt, die je nach dem Grad der Verstrahlung aus Beton, Blei oder Stahl besteht. Auf das Metall, das durch Regenwasser rosten kann, kommt eine Schutzschicht aus Speziallack, die regelmäßig erneuert werden muss.

Tagsüber kontrollieren die Projektleiter Mietann und Warnawin die Sicherheit und den Baufortschritt im Zwischenlager der Saida-Bucht. Den Abend verbringen sie in Murmansk – gezwungenermaßen. Richtig wohl fühlt sich keiner von beiden im Hotel Meridian, wo die Abwracker Quartier beziehen. Ins Restaurant, wo Fischsuppe und Hacksteaks aus der Kühltruhe auf der Karte stehen, gewährt ein stämmiger Wachmann nur Einlass, wenn Besucher den Mantel an der Garderobe abgelegt haben. Rüdes Personal, viel Bürokratie, kleine Zimmer – das Hotel wird den Mief der Sowjetunion nicht los.

Angst vor rostenden Reaktoren

Was den 56-jährigen Mietann aber viel mehr stört, ist, dass die Bauarbeiten nicht vorankommen. Die Fertigstellung des Zwischenlagers hinkt ein halbes Jahr dem Zeitplan hinterher. Auf dem Hof liegen zwar Reaktoren, aber die Wartungshalle ist noch nicht ausgestattet. Der russische Zoll hat Lieferungen nicht zügig durchgelassen. Entlüfter, die radioaktive Partikel aus der Luft filtern, konnten noch nicht montiert werden. Dabei wird die Anlage dringend benötigt: „Zwei Reaktorsektionen müssen schleunigst in die Halle, damit wir sie neu konservieren können“, sagt Mietann. Der Lack blättert.

Die Reaktorteile im Zwischenlager werden daher Tag und Nacht von Sicherheitskräften der Atombehörde Rosatom überwacht. Ständig patrouillieren Wachleute über das Gelände. Kein Unbefugter soll sich den Behältern nähern.

Das Zwischenlager ist Endstation für ausrangierte U-Boote, den einstigen Stolz der Sowjetunion. „Wer auf diesen Booten gedient hat, zählte zur Elite der Kriegsmarine“, sagt Ambarzumjan. Einem Patrioten schmerzt das Herz beim Blick auf die Wracks sowjetischen Rüstungsstolzes. Ambarzumjan aber ist kein Patriot, sondern Chemiker. Der Friedhofsdirektor ist erst zufrieden, wenn sein Hafen leer ist. Er weiß: Es wird noch Jahre dauern. Und keiner kann sagen, ob er den Job jemals vollenden wird. 

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