Ein gutes Beispiel für Big Data im Mittelstand ist eine Bäckereifilialkette in Norddeutschland, die jeden Tag eine Vielzahl an Retouren aus den einzelnen Filialen verbuchte. Ein externer Dienstleister wertete im Auftrag der Kette umfassende Wetterdaten aus, die Rückschlüsse auf das Kaufverhalten der Kunden in den einzelnen Filialen zuließen. Bei 30 Grad und Sonnenschein kauft niemand eine massige Cremetorte und wenn es kalt ist und regnet, haben die Kunden weniger Appetit auf leichte Obststückchen. Gleichzeitig konnte aufgezeigt werden, wie Flohmärkte, Sommerfeste oder Baustellen in der Nähe der jeweiligen Filialen den Absatz veränderten. Auf diese Weise konnte man nicht nur die Retouren verringern, sondern auch deutlich bessere Personalpläne zu erstellen.
Um eine verlässliche Analyse der Mitarbeiter zu erstellen, braucht es natürlich eine ganze Menge an Daten. Doch auch wie bei der französischen Bahn oder der norddeutschen Bäckerei sind die meisten davon bereits vorhanden - sie stehen in den Personalakten. "Viele HR-Basis-Daten wie zum Beispiel Betriebszugehörigkeit, Alter oder Geschlecht sind schon heute bei fast allen Unternehmen vorhanden und können in ersten Pilotprojekten genutzt werden", bestätigt Semet.
Doch bislang tun das noch die wenigsten: Eine Umfrage von Coleman Parks Research unter knapp 800 Informations-Managern aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Spanien und Ungarn hat ergeben, dass 52 Prozent der europäischen Unternehmen nicht wissen, wie sie Big Data am besten nutzen. 21 Prozent haben auch gar nicht vor, sich damit auseinanderzusetzen.
Computer kann Entscheidungen nicht allein treffen
Mit ein Grund dafür mag die Sorge um den Datenschutz sein. So sagte beispielsweise Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, in einem Interview, dass er davon abrate, Big Data im Recruiting einzusetzen. Neben der Gefahr, dass sensible Daten missbräuchlich genutzt werden könnten, seien die Analysen gar nicht besser, als das Urteil eines Menschen, sagte Weichert gegenüber dem Personalmagazin Haufe. "Es gibt viel zu viele weiche Faktoren im Personalbereich, die per digitale Daten nur oberflächlich gehandhabt werden können", so Weichert.
Dabei haben zahlreiche Studien belegt, dass der Wettstreit Computeralgorithmus gegen menschliches Urteilsvermögen sehr oft zu Ungunsten des Menschen ausgeht. Erst kürzlich bewiesen Forscher der Universitäten Cambridge und Stanford, dass Computer uns nur anhand von Facebook-Likes besser beschreiben können, als Freunde, Familie oder Partner. Und auch hier gilt: Je mehr Likes, desto präziser die Analyse der Persönlichkeit. Klar ist aber auch, dass nicht allein der Computer Personalentscheidungen treffen kann. "Sicherlich müssen die finalen Einstellentscheidungen dann immer noch erfahrene Führungskräfte und HR Experten leisten", sagt auch Semet.
Trotzdem kann es nicht schaden, die Informationen, die ohnehin vorliegen - nämlich das Profil der Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen haben, auszuwerten. Die Kunden beziehungsweise der Markt, auf dem ein Unternehmen agiert, werden schließlich auch analysiert - ohne dass jemand befürchten muss, dass seine Persönlichkeitsrechte verletzt werden oder die Analyse nicht so verlässlich ist, wie das Bauchgefühl des Chefs.
Vorsicht mit sensiblen Daten
Doch sogar persönliche Daten wie das Surfverhalten der Mitarbeiter oder E-Mails können einen Erkenntnisgewinn liefern. Sind die Hälfte der Mitarbeiter ständig bei Jobportalen unterwegs? Dann wird es Zeit, etwas an der Arbeitsatmosphäre zu verändern oder die Angestellten zum Gespräch zu bitten.
Allerdings geht bei solchen Daten nichts ohne Fingerspitzengefühl, wie auch Semet von IBM sagt. Und natürlich ist eine Anonymisierung unerlässlich. "Individuelle Analysen sollten ohne die Zustimmung der Mitarbeiter selbstverständlich nicht gemacht werden", betont er. Und weiter: "Datenschutz spielt eine große Rolle und die vorhandenen Gesetze müssen berücksichtigt werden." Wer seine Mitarbeiter ausspäht, um exakte Protokolle eines jeden Einzelnen zu erstellen, hat sonst schneller die Kündigung auf dem Tisch und eine Klage am Hals, als er "Datenanalyse" sagen kann.
Den "gläsernen Angestellten" könne man mit einem HR-Analysetool ohnehin nicht schaffen, so Semet. Jedenfalls nicht, wenn man, wie er empfiehlt, nur die Daten analysiert, die die Mitarbeiter freiwillig zur Verfügung stellen. "Außerdem können wir noch lange nicht die Gedanken der Mitarbeiter lesen und analysieren - was auch gut so ist." Sinnvoll ist die Analyse der Daten allerdings erst ab 300 bis 500 Mitarbeitern. Wer nur drei Angestellte hat, muss selbst darauf kommen, warum sie den Job hinwerfen.