Bildung und Forschung Von China lernen, heißt siegen lernen

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Kleine Forscher

Ein Blick in die renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften zeigt zudem, dass die Produktivität in der Breite inzwischen auch zu Höchstleistungen an der Spitze führt. In der innovativen Stammzellenforschung gilt China weltweit als Vorreiter, mit der Entdeckung einer neuen Methode zur Früherkennung von multipler Sklerose gelang dem Land jüngst ein unerwarteter Durchbruch. Sogar wenn es um Erfindungsreichtum, die klassische Domäne der kreativen Köpfe in freiheitlich orientierten Staaten, geht, ist China auf der Überholspur: Nirgendwo sonst steigt die Zahl der angemeldeten Patente schneller als in China. Dass hinter der Masse auch Klasse steckt, zeigt unter anderem die interne Patentstatistik von Siemens. Jedes Jahr zeichnet der Konzern zwölf Mitarbeiter, die für außergewöhnliche Patente verantwortlich sind, als „Erfinder des Jahres“ aus. Lange war dieser Preis überwiegend in der Hand deutscher Mitarbeiter, 2010 fanden sich bereits zwei Chinesen unter den Erfolgstüftlern.

Kellner wird Koch

Man kann über solche Ergebnisse staunen, sie zerreden – oder sich Sorgen machen. Das chinesische Bildungssystem erreicht in der Breite bei Weitem noch nicht europäisches Niveau. Doch während Chinas wissenschaftlicher Nachwuchs mit höheren Prozentsätzen zunimmt als das Bruttoinlandsprodukt, nahm in Deutschland allein im Februar die Fachkräfte-Lücke in den besonders wachstumsrelevanten MINT-Fächern um mehr als 20 000 zu. Weder die Umstellung der Studienordnung auf Bachelor und Master noch die Debatte über Schulreformen seit der ersten Pisa-Studie 2000 haben substanzielle Verbesserungen gebracht. So erklären Bildungsexperten die jüngsten Erfolge beim internationalen Bildungsvergleich eher mit verbesserter Vorbereitung auf die Testaufgaben als mit einer systematischen Verbesserung der Unterrichtsqualität. Der Chef des Maschinenbauverbandes VDMA Thomas Lindner sieht Deutschland inzwischen hinter China, was die Wertschätzung von Bildung anbelangt.

„Seit der großen Bildungsexpansion in den Siebzigerjahren sind die Bildungsergebnisse in Deutschland konstant geblieben“, sagt Ludger Wößmann vom ifo Institut. Der Bildungsökonom hat die Ergebnisse der Pisa-Studie mit ähnlichen Vorgängeruntersuchungen verglichen, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Aus Wößmanns Sicht bedeutet der Stillstand, mittelfristig auch den wirtschaftlichen Anschluss an die boomenden Ökonomien des Fernen Ostens zu verlieren. „Im Moment nutzt die gute Ausbildung dort den westlichen Unternehmen bei der Personalauswahl und der Beschaffung von Vorprodukten“, sagt Wößmann. Je weiter der Nachwuchs daheim allerdings zurückfalle, desto mehr könne sich das Verhältnis zwischen Koch und Kellner wenden.

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