Bionik Die Natur als Erfinder

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Vorbild für die Oberfläche von Solaranlagen war die Haut der Sandfische Quelle: Laif

Doch damals war es nur das grobe Äußere, das imitiert wurde. Heute lassen sich dagegen auch biologische Strukturen bis auf den milliardstel Millimeter genau nachbauen – im sogenannten Mikro- und Nanometerbereich.

Das beste Beispiel: der Lotus-Effekt. Schon in den Siebzigerjahren hatte der in Bonn lehrende Botaniker Wilhelm Barthlott entdeckt, dass viele Pflanzenblätter eine stark selbstreinigende Wirkung besitzen: Das Wasser perlt von ihren mit Wachs überzogenen Oberflächen samt Schmutzpartikeln ab. Doch erst 20 Jahre später konnten Forscher den Effekt imitieren.

Der Grund: Die Nanostruktur der Blattoberfläche muss ein bestimmtes Muster besitzen, damit der Schmutz nicht haften bleibt. Seit diese Strukturen sich mit dem Rasterelektronenmikroskop sichtbar machen ließen, konnten die Wissenschaftler den Effekt zwar erklären. Doch bis die Entwickler ihn erfolgreich auf Lacke, Oberflächenbeschichtungen und Farben für Autos, Häuser, Geschirr oder Kloschüsseln übertragen hatten, dauerte es bis Ende des vorigen Jahrtausends.

Mit Mikrorillen gegen Staub

Auch Bioniker Rechenberg begegnete seinem Wüstensandfisch schon vor 16 Jahren zum ersten Mal. Beduinen empfahlen ihm damals allerdings, die Echse zu Pulver zu zerreiben – als Potenzmittel. Der Ingenieur interessierte sich aber schon 1994 mehr für die besonderen Eigenschaften der Haut des Reptils.

Im Labor stellte er fest: Das Tier ist glatter als polierter Stahl und besitzt einen unglaublich niedrigen Reibungswiderstand. Die Schuppenhaut ist nämlich übersät mit feinen Querrillen – Rechenberg nennt sie Abstreifkämme –, auf denen Sand und feinere Tonpartikel einfach abrutschen. Wie beim Lotusblatt sind es mikrokleine Strukturen, die den Effekt verursachen.

Wozu solch eine superglatte Oberfläche nützlich sein kann, wurde Rechenberg klar, als er vom Wüstenstrom-Projekt Desertec hörte: Dabei sollen in einigen Jahrzehnten riesige solarthermische Kraftwerke in der Sahara Strom für Europa produzieren. Das Problem: „Wenn die Solarspiegel dort ungeschützt stehen, sind sie nach kurzer Zeit blind“, sagt Rechenberg.

Das Problem sind weniger die Sandkörner, die vom Wind umhergeweht werden und an den Spiegeln kratzen, als die feinen Tonmineralien, die zwischen den Sandkörnern mitfliegen und sich wie eine Lackschicht auf die Spiegeloberflächen absetzen. Wie die Sandfischhaut das Problem lösen kann, hat Rechenberg im vergangenen Sommer getestet: Der Freiburger Nano-Oberflächen-Spezialist Holotools hatte eine Kunststofffolie mit entsprechenden Mikrorillen im Programm. Sie ist ursprünglich den Längsrillen in der Haihaut nachempfunden, wo diese für ein möglichst schnelles und verwirbelungsfreies Vorbeigleiten des Wassers beim Schwimmen sorgen. Solche bionischen Riblet-Folien werden seit einigen Jahren auf die Tragflächen von Flugzeugen geklebt, damit die Luft leichter vorbeigleitet. Denn das spart Treibstoff.

Rechenberg wollte Wind und Partikel aber nicht sanft vorbeigleiten lassen, sondern abstreifen. Er brauchte keine Längsrillen wie beim Hai, sondern Querrillen wie beim Sandfisch. Also drehte er die Folie um 90 Grad und klebte sie quer zur Windrichtung auf mehrere Versuchsglasscheiben. Die stellte er eine Woche in den Wüstenwind. Das Ergebnis sei fantastisch gewesen: „Mit Folie waren die Scheiben klar und durchsichtig.“ Gläser ohne Folie waren dagegen stumpf und hellgelb vom Wüstenstaub, sagt der Forscher.

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